Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Deswegen verpflichtet der Gesetzgeber Inverkehrbringer von Benzin- und Dieselkraftstoffen, den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) um ein bestimmtes Maß, also die Quote, zu reduzieren. Diese Vorgabe kann erreicht werden, indem die quotenverpflichteten Unternehmen ihre Benzin- und Dieselkraftstoffe anteilig durch emissionsarme Kraftstoffe ersetzen. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit für quotenverpflichtete Unternehmen THG-Einsparungen zuzukaufen, wenn sie es nicht schaffen, die Quote selbst zu erfüllen.
Es steht eine Vielzahl emissionsärmerer Kraftstoffe zur Quotenerfüllung zur Verfügung. Diese Kraftstoffe werden jedoch bei der Quotenberechnung nicht gleichbehandelt. Strombasierte Kraftstoffe, also etwa Ladestrom oder Synfuels, können beispielsweise mit einem höheren Faktor angerechnet werden als Kraftstoffe aus Biomasse. Dadurch ergibt sich eine Diskrepanz zwischen tatsächlichen und berechneten THG-Emissionen.
Aus Klimaschutzsicht hat das THG-Quotenschema zwei weitere, wesentliche Schwächen: Erstens bringt die Elektromobilität keine neuen erneuerbaren Energien ins System. Vielmehr bindet sie die erneuerbaren Potenziale des Stromsektors im Verkehrssektor. Zweitens berücksichtigt die THG-Quote nicht, dass der Anteil erneuerbarer Energien im Ladestrom bereits im Stromsektor angerechnet wird. Dadurch wird die THG-Minderung in verschiedenen Sektoren und damit „doppelt“ berücksichtigt.
Zum einen ist Strom anrechenbar, der an öffentlich zugänglichen Ladepunkten entnommen wird. Zum anderen kann auch das nicht-öffentliche Laden angerechnet werden: Pro reinem Elektrofahrzeug ist ein pauschaler Schätzwert (Pkw 2000 Kilowattstunden, leichte Nutzfahrzeuge 3000 Kilowattstunden, Busse 72.000 Kilowattstunden anrechenbar. Diese pauschale Anrechnung von Strom aus nicht-öffentlichen Ladestationen birgt einige Schwächen: Sie kann auch für einspurige Elektrofahrzeuge wie Elektromotorräder oder Elektroscooter geltend gemacht werden, sofern diese (freiwillig) zugelassen sind. Das verzerrt die Bilanz, da diese leichten Kraftfahrzeuge pro Jahr deutlich weniger Strom verbrauchen als angerechnet werden kann. Zudem besteht vor allem bei Elektroscootern ein Betrugsrisiko. Diese können auf Antrag freiwillig zugelassen werden, wenn gewisse Zulassungsanforderungen erfüllt werden (§ 3 Abs. 3 FZV). Diese freiwillig zugelassenen Scooter müssen keiner regelmäßigen Hauptuntersuchung unterzogen werden (§ 29 STVZO). Es ist also möglich, nicht verkehrssichere Scooter zu kaufen, freiwillig zuzulassen und innerhalb weniger Jahre durch den Verkauf der THG-Einsparungen Gewinne zu erzielen. Fun fact: Es existieren Beiträge in Online-Foren in denen diskutiert wird, wie viele Elektroscooter auf eine Person zugelassen werden können.
Außerdem kann die pauschale Anrechnung von nicht-öffentlichen Ladestationen und die verbrauchsabhängige Anrechnung von öffentlichen Ladestationen zu einer Doppelzählung von Strom führen. Theoretisch wird argumentiert, dass der pauschale Schätzwert für nicht-öffentliche Ladestationen unter dem tatsächlichen Durchschnittsverbrauch eines Elektrofahrzeugs liegt und der durchschnittliche Strombezug von öffentlichen Ladestationen plus der pauschale Stromwert insgesamt den tatsächlichen Durchschnittsverbrauch von Elektrofahrzeugen widerspiegelt. Im Ergebnis soll dieser Mechanismus dazu führen, dass im Einzelfall zu viel Strom gutgeschrieben wird, wenn ein Elektrofahrzeug ausschließlich an öffentlichen Ladestationen geladen wird, umgekehrt aber Fahrzeuge, die gar nicht an öffentlichen Ladestationen geladen werden, die Bilanz nach unten korrigieren, weil ihnen zu wenig Strom gutgeschrieben wird.
In der Praxis birgt dieser Mechanismus folglich die Gefahr der Bereicherung Einzelner. So könnte ein Unternehmen, das auf seinen Parkplätzen halb-öffentliche Ladestationen installiert und seine eigene Elektrofahrzeugflotte auflädt, durch den Verkauf von THG-Einsparungen (pauschale Anrechnung pro Elektrofahrzeug + verbrauchsabhängige Anrechnung durch tatsächlich geladenen Strom) einen doppelten Gewinn erzielen.
Außerdem ist der Handel mit THG-Einsparungen betrugsanfällig. Durch die zeitliche Verzögerung zwischen der Bescheinigung der Einsparungen durch das Umweltbundesamt – mehr als ein Jahr ist möglich – und der Quotenkontrolle durch den Zoll könnten dubiose Zwischenhändler die THG-Einsparungen mehrfach an verschiedene Quotenverpflichtete weiterverkaufen. Sollte im Folgejahr bei einer Zollkontrolle ein Betrug aufgedeckt werden, könnten die Verantwortlichen gegebenenfalls nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. In diesem Fall ist unklar, wer für den Schaden aufkommen muss.
Für die Halter von Elektrofahrzeugen kann zum Problem werden, dass das Umweltbundesamt manuell die Bescheinigungen über THG-Einsparungen ausstellt und dafür in der Regel bis zu drei Monate braucht. Bei dem Verkauf eines gebrauchten Elektrofahrzeugs kann der Käufer erst dann sicher sein, dass bisher für das Kaufjahr noch keine THG-Prämie beantragt wurde, wenn die Prüfung durch das Umweltbundesamt stattgefunden hat.
Da eine zeitliche Verzögerung zwischen Beantragung und Auszahlung der Prämie üblich ist, besteht auch die Gefahr, dass unseriöse Zwischenhändler das ausnutzen, hohe Prämien versprechen und die Erlöse aus dem Verkauf der Einsparungen nie an die Halter auszahlen, sondern sich mit dem Geld absetzen. Auch ein solcher Betrug flöge erst mit Zeitversatz auf.
Der Referentenentwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung der „Verordnung zur Festlegung weiterer Bestimmungen zur Treibhausgasminderung bei Kraftstoffen“ adressiert diese Schwächen teilweise, jedoch nicht vollumfänglich. Aktuell besteht noch die Möglichkeit, unter anderem, in Form von Stellungnahmen auf das Gesetz Einfluss zu üben.
Über die Autoren:
Constanze Liepold (LinkedIn) und Paul Fabianek (LinkedIn) sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Energieökonomik der RWTH Aachen und als selbstständige Berater tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Dekarbonisierung des Gebäude- und Verkehrssektors.
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Wie wäre es, auf den Bürokratismus zu verzichten? Würde viel Geld und Arbeitskraft sparen, und jeder müsste dazu stehen, was er emittiert, statt sich schönrechnen zu können.
sinnvoller Vorschlag. Die Sektorziele sind doch aufgehoben, da kann man sich diesen Selbstbetrug für das Verkehrsministerium sparen. Wofür soll das Ganze gut sein?
Eigentlich sollte das ja nur helfen, die Treibhausgasemissionen herunter zu rechnen und so die Automobilindustrie zu schützen. Gelernt haben wir: Die Industrie erreicht die Flottenwerte. Als diese verschärft waren, waren auch die E-Autos der etablierten Hersteller da. Wenn die Bundesregierung 15 Mio. E-Autos will, dann muss sie allen Selbstbetrug, der den Druck auf die Erhöhung der E-Autoquote mindert, streichen. Die Industrie kann liefern.
Dann gibt es Zwischenhändler, die einfach Fahrzeuge beim UBA anmelden, die vor 4 Jahren dort mal einen Auftrag gegeben haben eine Prämie zu bekommen. Vor 3 Jahren haben wir ein E-Auto gekauft, im letzten Jahr durften dann auch Privatfahrer die THG-Prämie beantragen. Das hat auch funktioniert. Im Februar habe ich wieder eine Prämie beantragt und erhalten. Im Juni mußte ich meine Prämie zurückzahlen weil irgendein Zwischenhändler ohne mich den Besitzer zu Fragen. Nach 2 Wochen und mehrerer Emails habe ich nun endlich den Zwischenhändler ermittelt – die Höhe der im Februar erhaltenen Prämie ist nun weitaus geringer und das Problem noch immer nicht gelöst. Jetzt muß sich erst noch mein Vorbesitzer damit auseinandersetzen. – Also da läuft noch eine ganze Menge schief. Da wäre es schon sinnvoller als Autobesitzer direkt von der UBA eine Zertifikation zu erhalten
Das ist dann das Ergebnis des deutschen Datenschutzes:
– Man kann nicht auf Papier verzichten, auf dem unterschrieben werden muß
– Folglich keine elektronische Übermittlung und automatische Weiterverarbeitungsprozeß
– Folglich werden in Ämtern wieder Leute überarbeitet sein oder fehlen und die Prozesse stark verzögert
– Folglich ist Betrug einfacher auf Kosten der Allgemeinheit, siehe Maskendeals, Coronatest
Ich hätte auf die Prämie verzichtet, wenn sie sich der Staat bei Nichtbeantragung nicht selbst einverleiben würde. Insgesamt halte ich die Prämie für Greenwashing und gehört sofort abgeschafft, weil sie echte Maßnahmen zur CO2 Reduktion in den betroffenen Industrien unnötig macht oder nach hinten verschiebt und die Wirkung des Emmissionshandel aushebelt.