Die Lage wird zügig prekärer. Die Wetterextreme auf dem Globus mehren sich. Aus der Klimawissenschaft häufen sich die Meldungen, dass in wenigen Jahren das 1,5-Grad-Ziel überschritten wird. Man spürt quasi körperlich, wie das Zeitfenster, in dem die Klimakatastrophe noch abgemildert werden könnte, sich jetzt zügig schließt.
LNG statt Erneuerbaren-Ausbauschub
Die Politik lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Statt die durch den Ukraine-Krieg entstandene energiepolitische Situation als Steilvorlage für einen beispiellosen Ausbauschub erneuerbarer Energien zu nutzen, ist sie auf LNG umgestiegen.
Auf einer Bürgerversammlung in der Altmark ging es kürzlich um den Bau einer Agri-Photovoltaik-Anlage. Die Stimmung war positiv. Das Unternehmen führte die Untersuchungen, Gutachten, Genehmigungen und vieles mehr auf, die es beibringen muss. Voraussichtlicher Zeitbedarf: zwei Jahre. Am Schluss der Liste stand in großen Lettern das Wort „Baubeginn“. Ich musste an die LNG-Terminals denken. Dort ist es umgekehrt, dort steht der Baubeginn am Anfang, das Übrige kann nachgereicht werden.
Oder was die Allerkleinsten, die Photovoltaik-Balkonkraftwerke, betrifft: Jahre und Jahre hat die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie gekämpft, dass sie überhaupt zugelassen wurden. Gerade gab es eine Petition an den Bundestag mit der Forderung, sie von technisch völlig unnötigen Behinderungen und Einschränkungen zu befreien. In einer breit angelegten Kampagne aktivierten sich über 100.000 Menschen. Ob sie Erfolg haben, muss sich erst noch zeigen. Um jede winzige Minderung schikanöser Vorschriften mussten Organisationen und zahllose Menschen stets jahrelang hartnäckig kämpfen. Welch ein Kontrast zu LNG! Diesem wurden über Nacht durch das „Beschleunigungsgesetz“ sämtliche Unbequemlichkeiten aus dem Weg geräumt.
CCS-Einführung per Salami-Taktik
Und jetzt bekommen LNG, „blauer“ Wasserstoff und Co. noch eins obendrauf gesetzt: Durch Abscheidung und Verpressung des CO2 aus den Rauchgasen („Carbon Capture and Storage“, CCS) sollen sie als „klimafreundlich“ deklariert werden können.
Da CCS alles andere als einen guten Ruf hat, soll es zunächst für industrielle Emissionen, wie sie etwa bei der Zementherstellung anfallen, eingesetzt werden. Im Unterschied zur fossilen Energie, die durch Erneuerbare ersetzt werden kann, seien die Emissionen aus industriellen Prozessen „unvermeidbar“.
Doch was für eine Argumentation ist das? Die gleiche, wie am Anfang der Energiewende! Damals waren es die Kohle- und Atomkraftwerke, die angeblich unvermeidbar waren, da man behauptete, die Erneuerbaren könnten niemals mehr als 5 Prozent zur Stromproduktion beitragen. Heute wissen wir, dass die Fachwelt irrte.
Hinsichtlich Vermeidung industrieller Emissionen ist es kein bisschen anders! Um beim Beispiel „Zement“ zu bleiben: Es gibt alternative Bindemittel, die mit wesentlich weniger CO2-Emissionen auskommen. Die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Niemand bezweifelt, dass wir auf den Mars fliegen können – aber zur Entwicklung hervorragender und gleichzeitig klimafreundlicher Baustoffe sollen wir nicht in der Lage sein?
Man muss es allerdings wollen, und daran hapert es bei denen, die auf konventionelle Materialien eingespielt sind und daran gut verdienen.
An dieser Stelle wäre nun der Staat gefragt, klimaschützende Entwicklungen zu fördern, um das Problem an der Wurzel zu lösen. Das tut er aber nicht, sondern beabsichtigt, riesige Summen bereitzustellen, um die Symptome zu verdrängen. Ja genau, CCS ist eine Verdrängungstechnologie! Das Problem wird nicht gelöst, sondern in den Untergrund verdrängt. Der Vorgang hat exakt die gleiche Struktur wie die Verdrängung psychischer Probleme ins Unterbewusstsein. Dort verbleiben sie nämlich allenfalls zeitweise, und wenn eine entsprechende Situation eintritt, kommen sie eruptiv an die Oberfläche. Genauso verhält es sich mit dem CO2. Wenn es undichte Stellen erreicht, kommt es hoch, wobei es explosionsartig in großen Mengen ausbrechen und durch Verdrängung der Atemluft katastrophale Schäden anrichten kann. Dies gilt natürlich gleichermaßen für alles verdrängte CO2, unabhängig davon, ob es fossiler Verbrennung, industriellen Prozessen oder dem Entzug aus der Luft entstammt.
Kernproblematik wird hinter verschlossenen Türen gehalten
Hinter den Kulissen spielen diese Wahrscheinlichkeiten eine zentrale Rolle: Die Gaskonzerne sträuben sich nämlich mit Händen und Füßen gegen die Haftungsübernahme für verfüllte Endlager. In der Auseinandersetzung um die CCS-Gesetzgebung in Deutschland 2009 wollten sie die Haftung auf 20 Jahre drücken. In der Pro-CCS-Resolution des EU-Parlaments vom Januar 2014 werden in den Punkten 24 bis 28 deutlich weiter gehende Risikoübertragungen auf den Staat, also auf die Gesamtgesellschaft, gefordert.
Von der Öffentlichkeit wird diese Thematik natürlich ferngehalten. So posaunt das Bundeswirtschaftsministerium in einem Artikel zum CCS-Einsatz heraus: „In diese Speicher können große CO2-Mengen injiziert und sicher über geologische Zeiträume gespeichert werden.“
CCS: Eine Welt aus unzutreffenden Behauptungen
Unzutreffende Behauptungen sind in der Tat der Stoff, aus dem CCS durchgängig gemacht ist. Das fängt schon beim Namen an. Der Begriff „Storage“ (Speicherung) ist nämlich unzutreffend. Darauf hat schon Hermann Scheer im „Energethischen Imperattiv“ hingewiesen: „In einem Speicher bewahrt man etwas auf, das man für weitere Zwecke nutzen will. Beim CCS geht es jedoch um die endgültige Einlagerung von CO2, das nie wieder in die Atmosphäre gelangen darf.“
Die zutreffenden Begriffe „Endlagerung“ oder „Deponierung“ sollten aber vermieden werden, weil sie unsympathische Assoziationen mit sich bringen. Und noch aus einem anderen Grund: Sie hätten bewirkt, dass CCS unter das strenge Abfallrecht geraten wäre und dann keinerlei Chance auf Genehmigung gehabt hätte.
Auch der erste Teil des Namens „Carbon Capture“ ist schlicht unzutreffend. Eingefangen wird nicht Kohlenstoff, sondern Kohlendioxid – was schließlich einen grundlegenden Unterschied macht! Der Luft Kohlenstoff zu entziehen, wäre das, was wir brauchen! Es geschieht im großen Stil bei der Photosynthese: Das C aus dem CO2 der Luft nehmen die Pflanzen auf und bauen es in ihren Körper ein, das O2 geben sie in die Luft ab. Wenn CO2 mit technischen Mitteln entzogen und verpresst wird, werden mit jedem Kohlenstoffatom auch zwei Sauerstoffatome in den Untergrund verbracht, was keineswegs wünschenswert ist und mindernd auf den Sauerstoffgehalt der Atmosphäre wirkt.
Also: Auch das Industrie-CCS löst das Problem nicht, sondern verdrängt es – und auch das nicht einmal vollständig. Die Integrität ausgeförderter Gaslager, die für die CO2-Endlagerung als geeignet gelten, ist durch Erdbeben und Niveausenkungen, wie sie mit der Erdgasförderung einher gehen, vielfach gestört, so dass sich Wegsamkeiten gebildet haben, durch welche CO2 entweichen kann.
Vertrauensseligkeit gegenüber den Energiekonzernen ist unangebracht. Sie sind die wesentlichen Verursacher des Klimawandels. Zunächst bemühten sie sich, ihn weg zu lügen. Als das angesichts immer erdrückenderer Fakten nicht mehr ging, holten sie das CCS als angebliches Heilmittel aus der Schublade. Es kann aber nicht das Klima heilen, sondern soll die Kohlenstoffverbrennung beschönigen, damit die Fortsetzung der fossilen Energiewirtschaft für weitere Jahrzehnte akzeptiert wird.
Industrie-CCS als Vorstufe zur Großeinführung
Dass das Industrie-CCS nur der Einstieg in eine auch die fossile Energie einbeziehende CCS-Infrastruktur sein soll, lässt auch die Bundesregierung durchblicken. In seinem Artikel schreibt das Bundeswirtschaftsministerium weiter: „CCU/CCS: Baustein für eine klimaneutrale und wettbewerbsfähige Industrie“. CCS werde dabei „vor allem“ bei der Industrie und Abfallwirtschaft eingesetzt, während in der Energieerzeugung die erneuerbaren Energien „prioritär“ seien. Beide Formulierungen lassen erkennen, dass der CCS-Einsatz bei der Energieerzeugung keineswegs ausgeschlossen wird.
Falls es zu einem CCS-Einsatz kommen würde, wäre die Hochskalierung über die industriellen Emissionen hinaus auch nötig. Da die Technik sehr teuer ist, wäre eine dauerhafte Beschränkung auf den industriellen Bereich unwirtschaftlich. Auf der EU-Ebene wird dies in aller Selbstverständlichkeit erörtert. Bis 2030 soll eine Verpressung von jährlich 50 Millionen Tonnen CO2 erreicht werden. Hiermit könne sich die Industrie dekarbonisieren. Gleichzeitig würde man dabei Erfahrungen sammeln, um bis 2050 eine Steigerung auf jährlich 550 Millionen Tonnen mit geringem Risiko zu erreichen, worin dann die Energiewirtschaft einbezogen wäre, wie es in dem entsprechenden Vorschlag des EU-Parlaments und Rats zum „Net Zero Industry Act“ heißt.
Es macht also weiterhin Sinn, das Positionspapier „CCS: Stoppt den industriellen Hochlauf!“ zur Kenntnis zu nehmen und zu unterstützen!
— Der Autor Christfried Lenz politisiert durch die 68er Studentenbewegung, Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Bis September 2022 stellvertretender Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ und Mitglied des Aufsichtsrates im Bündnis Bürgerenergie (BBEn). Seit 2013 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak und Kleinwindrad. —
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