Die geänderten Anforderungen beim Anlagenzertifikat sorgten in der jüngsten Vergangenheit dafür, dass viele Kraftwerke nicht ans Netz gehen konnten. Per Gesetz änderte sich die Leistungsgrenze für das Anlagenzertifikat von 950 auf 135 Kilowatt, die für den Netzanschluss dieses vorlegen müssen. Viele Betreiber waren mit den umfangreichen Anforderungen anfänglich eher überfordert, doch genauso viele Netzbetreiber und auch die Zertifizierer waren nicht ausreichend vorhanden. Viele Photovoltaik-Anlagen waren daher theoretisch fertiggestellt, durften aber nicht ans Netz. Mit dem EEG 2023 sind die Anforderungen etwas gelockert worden, so ist eine vorläufige Inbetriebnahme auch ohne finales Anlagenzertifikat möglich.
Die Krise betrachten Unternehmen jedoch auch als Chance. Dies gilt etwa für nue GmbH, das im Zuge des Venture Builders Enpulse, einer 100-Prozent Tochter der EnBW, entstand. Das Start-up aus Berlin hat eine Webplattform mit dem Namen „certflow“ geschaffen und bietet darüber einen digitalen Zertifizierungsprozess für industrielle und gewerbliche Photovoltaik-Anlagen an. Die Idee dahinter ist, die Energiewende zu beschleunigen gerade mit Blick auf den avisierten schnelleren Photovoltaik-Ausbau in den kommenden Jahren. Enpulse ist bei nue als Investor weiter an Bord und soll beim Ausbau des Teams und Kundenstamms unterstützen.
„Deutschland befindet sich bereits an der Kapazitätsgrenze bei der Inbetriebnahme von Photovoltaikanlagen, will aber den Ausbau bis 2027 vervierfachen. Neben neuen Fachkräften braucht es auch effizientere und digitale Prozesse, die helfen den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen“, erklärte Jelena Mrvelj, Geschäftsführerin von nue. Genau dort setze das Start-up mit seiner Plattform an. Diese solle Installationsbetriebe, Fachplaner und Zertifizierungsstellen zusammenbringen. Alle würden dabei schrittweise durch den Prozess geführt. Insgesamt gehe es um eine vollautomatisierte Bereitstellung von Daten und individuell geforderter Unterlagen, persönliche Hilfestellung, Plausibilitätschecks auf Basis von künstlicher Intelligenz sowie einheitliche Strukturen. Nach Angaben des Start-ups werde der Zeitaufwand um das Fünffache reduziert. So sei es gegenüber dem manuellen Zertifizierungsprozess möglich, das Anlagenzertifikat binnen weniger Wochen statt nach mehreren Monaten zu erhalten.
Nach aktuellen Schätzungen werden aktuell zwischen 3000 und 3500 Photovoltaik-Anlagen zwischen 135 und 950 Kilowatt in Deutschland jährlich ans Netz gebracht. Doch mit Blick auf das Ziel von 215 Gigawatt installierter Photovoltaik-Leistung bis 2030 muss und wird die Zahl in den kommenden Jahren steigen. Die Schätzungen liegen ab 2027 bei rund 15.000 neuen Anlagen in diesem Leistungssegment. Doch bereits aktuell gibt es einen großen Rückstau von Anlagen, die zwar fertiggestellt, aber nicht am Netz sind. Nach Angaben des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar) betraf dies 2022 rund 1000 Photovoltaik-Anlagen. Daher gab es dann auch die Anpassung im EEG 2023. „Für Anlagebetreiber gibt es derzeit eine Übergangsregelung. Sie können mit ihrer Anlage ans Netz und die Zertifikate nachreichen“, so Mrveli. „Das löst aber nicht das Problem, dass die Zertifizierung in ihrer jetzigen Form einfach zu aufwendig ist.“ Digitale Alternativen würden daher dringend gebraucht.
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Zu dem Thema muss man zwei Punkte „richtig stellen“
1. Anlagen über 135 kW (= Max. WR-Ausgangsleistung, nicht kWp!) brauchen nur dann ein Anlagenzertifikat, wenn der Netzanschlusspunkt in der Mittelspannung ist. Wenn z.B. eine Firma einen Trafo auf dem Grundstück stehen hat, hängt es davon ab, ob ihr der Trafo gehört, oder dem Netzbetreiber. Es sind damit keine technischen Kriterien, sondern eigentumsrechtliche, was sehr merkwürdig ist für eine Norm ( hier genauer: Anwendungsrichtlinie ) .
2. Die Regelung zur vorläufigen Inbetriebnahme bringt leider nichts, da sie auch alle wesentlichen Anforderungen des endgültigen Anlagenzertifikats hat, und vom Zertifizierer ausgestellt werden muss. Die Misere wird dadurch kaum besser. Gelobt wird sie deshalb nur von Leuten, die damit in der Praxis nichts zu tun haben.
Wieso macht es einen Unterschied, ob der Trafo der Firma selbst gehört? Ein Anlagenzertifikat ist doch davon unabhänig erforderlich. Vorallem da eine Anlage über 135 kW meist an der Mittelspannung angeschlossen wird.
Zur Eigentumsfrage am Trafo:
– gehört der Trafo dem Unternehmen, dann endet das öffentliche Netz in der Mittelspannung –> Anlagenzertifikat erforderlich über 135 kW
– gehört der Trafo dem Netzbetreiber, dann endet das öffentliche Netz in der Niederspannung am Trafo –> Anlagenzertifikat erst ab 950 kW nötig
Es ist nicht zutreffend, dass Anlagen über 135 kW meist in der Mittelspannung einspeisen. Die Grenze, bis zu der Netzbetreiber noch einen Anschluss in der Niederspannung zulassen, liegt bei 300kW, teilweise noch einiges darüber. Gilt für Volleinspeiseanlagen, die hier einen großen Anteil ausmachen!
Nur als Ergänzung zur Ausführung von ImMo zur Frage von vo:
Das ergibt sich aus der VDE-AR-N 4105 und 4110.
PV > 135 kW und Anschluss an NS-Netz (weil der Trafo dem Netzbetreiber gehört):
– es gilt die 4110 und es werden Einheitenzertifikate nach 4110 benötigt (Einheitenzertifikat nach 4105 ist nicht ausreichend)
PV > 135 kW (und <950 kW) und Anschluss an MS-Netz (weil der Trafo kundeneigen ist):
– es gilt die 4110 und es wird das Anlagenzertifikat Typ B benötigt)
Warum führt man die ein Megawatt Grenze nicht wieder ein? Das hat früher auch funktioniert. Dadurch würde eine Zertifizierung mit weit über 100 Seiten für viele wegfallen. Das ist der beste Weg der Bürokratie. Vereinfachung.
Hallo Herr Gruber,
die Anzahl der Anlagen in der Größenklasse von 135 kW bis 950 kW hat in den letzten Jahren zugenommen und macht mittlerweile mehr als 25% der angeschlossenen Leistungen aus. Damit Netzbetreiber die Netzstabilität weiterhin zusichern können, trotz einer großen und steigend Anzahl an dezentralen Anlagen, ist eine Prüfung aktuell nötig. Ziel bei der Einführung des Anlagenzertifikats Typ B und der VDE-AR-N 4110 (Mittelspannungsrichtlinie), ist die Gewährleistung der Systemsicherheit.
Die Festlegung der Typgrenzen zur Einteilung in Leistungsklassen geht auf die europäische EU -Verordnung zur Festlegung eines Netzkodex mit Netzanschlussbestimmungen für Stromerzeuger (2016/631) zurück.
Inwiefern die aktuellen Leistungsklassen und das Nachweisverfahren im aktuellen Umfang berechtigt sind, lässt sich diskutieren.
Ich bin dafür, dass wir ein Ministerium für Zertifizierung von PV-Anlagen von 135 kWp bis 950 kWp bekommen. Und ein weiteres für PV-Anlagen ab 951 kWp bis 2 MWp. Und die Zertifizierer sollten alle 2 Jahre eine 6-Wöchige Zertifizierung bestehen. Mit Prüfung natürlich. Und Zertifikat. Stattlich anerkannt und notariell beglaubigt natürlich. Haben wir bereits eine Zertifizierungskammer? Nicht?
Was ist mit Vergleichsportalen für die Zertifizierer? Habe ich jemanden vergessen? Die Makler vielleicht?