CCS: Denkt Habeck weiter?

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Dass die Einführung von Verschlechterungen, etwa im sozialen Bereich, denjenigen politischen Kräften überlassen wird, von denen es die Bevölkerung am wenigsten erwartet, ist eine bewährte Methode, um den Widerstand klein zu halten. Der betroffene Teil der Bevölkerung kann es gar nicht fassen, dass die Partei, die er immer gewählt hat, etwas so Schlechtes vorhat und ist verunsichert. So wurde der in den frühen 2000er-Jahren geplante Sozialabbau dem SPD-Kanzler Schröder überlassen. Seine „Agenda 2010“ wurde zwar heftig kritisiert, aber nicht verhindert. Wären die gleichen Vorhaben von der CDU eingebracht worden, wäre der Protest von Gewerkschaften und Sozialorganisationen überwältigend gewesen.

Hinsichtlich „Energiewende-Abbau“ können wir ein analoges Geschehen beobachten. Auch CDU-Wirtschaftsminister Altmaier bemühte sich bereits, den Wechsel zu den Erneuerbaren auf eine Wende von der Kohle zum Erdgas umzumünzen. Doch hielt er seine Aktivitäten eher im Hintergrund. Sie fanden zum großen Teil im Mittelmeerraum statt und wurden in Deutschland nur eingeschränkt wahrgenommen. Sein Nachfolger mit dem grünen Parteibuch hält sich nicht zurück. Der haut auf die Pauke. Vor unseren Augen und in unserem Land lässt er die Strukturen für ein auf LNG beruhendes System aufbauen. Die Mitglied- und Wählerschaft seiner Partei ist damit wohl nicht glücklich, akzeptiert aber die Entschuldigung mit dem Ukraine-Krieg – obwohl gerade dieser das stärkste Argument darstellt, das es für einen maximal forcierten Ausbau der Erneuerbaren überhaupt geben kann. Wenn die Politik, die Habeck macht, von einem CDU-Minister versucht worden wäre, hätte dem der Wind ins Gesicht geblasen.

Habeck aber sieht sich ermutigt, nun das nächste Kettenglied des Energiewende-Abbaus anzupacken: die CO2-Verpressung (Carbon Capture and Storage, CCS), woran CDU und SPD von den umwelt- und klimaschützenden Teilen der Bevölkerung bisher gehindert wurden.

CCS fällt den erneuerbaren Energien in den Rücken

In den 2010er-Jahren wurde CCS als kompletter Gegenentwurf zur Energiewende dargestellt. Die Stromerzeugung durch per CCS „klimafreundlich“ gemachte Kohlekraftwerke sei billiger als der Aufbau einer Versorgung durch Erneuerbare. Als diese Behauptung angesichts überwältigender wissenschaftlicher Widerlegungen nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, trat man einen Teilrückzug an, der gerade auch von den Grünen befürwortet wurde. Oliver Krischer schlug ein „kleines“ CCS-Gesetz vor, wonach CO2 nicht aus Kohlekraftwerken, sondern nur aus industriellen Prozessen unterirdisch endgelagert werden sollte.

Unter Verweis auf andere technische Möglichkeiten, wie etwa die Stahlherstellung mit Hilfe von Wasserstoff oder die verstärkte Nutzung von Holz als Baumaterial, lehnten die CCS-Gegner auch dies entschieden ab. Zusätzlich prophezeiten sie, dass, wenn „Industrie-CCS“ etabliert wäre, auch Kohlekraftwerke angeschlossen würden. Dass die Erwartung eines solchen scheibchenweisen Vorgehens realistisch war, kann man heute etwa am Atomausstieg sehen: Erst wurde er als unumstößlich hingestellt, dann erfolgte der sogenannte Streckbetrieb, und jetzt wird darüber diskutiert, die AKWs längerfristig am Netz zu lassen.

Wenn Habeck heute sagt, dass CCS nur für industrielle Emissionen eingesetzt werden soll, ist das noch weniger verlässlich als die damalige Aussage Krischers. Denn es gibt heute – über die Industrie hinaus – mehr „Kandidaten“ für CCS: die Gasverbrennung wird im großen Stil hochgefahren, zusätzlich wird Bedarf von „blauem Wasserstoff“ kreiert, der auf CCS basiert, und wie es mit dem Kohleausstieg wirklich weiter geht, muss sich auch noch herausstellen.

Die Einführung von CCS würde allemal das Terrain der Verbrennung fossiler Energieträger ausweiten und festigen und im gleichen Maß den erneuerbaren Energien in den Rücken fallen. Der derzeit laufende Steuererlass für Photovoltaik-Investitionen lenkt davon zwar ab, ist gegenüber den großen Linien der deutschen Energiepolitik aber von untergeordneter Bedeutung.

CCS hat mit Klimaschutz nichts zu tun

Nach dem deutschen CCS-Gesetz ist alle vier Jahre ein Evaluierungsbericht fällig. Da es 2012 in Kraft trat, wäre der erste Termin 2016 gewesen. Der wurde auf 2018 verschoben, da es zuvor vermutlich keinen Stoff gab. Der aktuelle Bericht präsentiert sich zwar in dem stolzen Umfang von über 200 Seiten, doch sind diese nicht etwa mit neuen Erkenntnissen gefüllt.

Wie auch schon in den 2010er-Jahren dienen die meisten als Belege erfolgreichen CCS-Betriebs aufgeführten Anlagen (nach dem aktuellen Evaluationsbericht weltweit 21 von 30) dem „Enhanced Gas Recovery“ (EGR) oder „Enhanced Oil Recovery“ (EOR). Hierbei wird das CO2 in die Lagerstätte gepresst, um dort den Druck zu erhöhen, so dass Gas oder Öl besser durch die Bohrlöcher aufsteigen – wobei natürlich auch dem CO2 sogleich der Weg nach oben offen steht. Hier von „Carbon Capture  and Storage“ zu reden, ist schlicht unzutreffend. Speicherung wird gar nicht intendiert. Das ganze Verfahren ist das Gegenteil von Klimaschutz, da fossiles Material in größerem Umfang und schneller seiner Verbrennung zugeführt wird. Dafür zahlt der Öl- oder Gasförderer für das angelieferte CO2 dann auch einen Preis, mit dem der ganze Aufwand finanziert werden kann.

Altbekannt ist auch die Auflistung von CCS-Projekten, die „geplant“ oder „im Bau“ seien. Bei diesen vom Global CCS Institute zusammengestellten Angaben lässt sich bei genauerem Hinsehen vermuten, dass man für CCS werben will und daher Probleme nicht an die große Glocke hängt. Diese Tendenz scheint auch im Evaluierungsbericht selbst spürbar. Dort heißt es auf Seite 19: „Widerstände aus der Zivilgesellschaft führten bereits bei der Diskussion des ersten Entwurfs des KSpG [Kohlendioxid-Speicherungsgesetz] zu Anpassungen. … Aus diesen Gründen sind in Deutschland über einzelne Pilotprojekte hinaus keine CCS-Projekte realisiert worden.“ Genannt werden die angeblich realisierten „einzelnen Pilotprojekte“ nicht. Allgemein bekannt ist jedenfalls nur ein einziges: der „Reagenzglasversuch“ in Ketzin, wo 67.000 Tonnen CO2 verpresst wurden.

Auch zum Kardinal- und Grundsatzproblem der ganzen CCS-Idee, nämlich der Dichtigkeit der sogenannten „geologischen Speicher“, hat der Evaluierungsbericht nichts Neues zu vermelden. So liest man auf Seite 115:

„Wenn CO 2 oder salzreiches Formationswasser aus dem Speichergestein entweicht und entlang von  Migrationswegen (z. B. undichte Bohrungen oder Störungen) aufsteigt, könnte oberflächennahes Grundwasser durch CO 2 oder salzreiches Formationswasser beeinträchtigt werden….
Das migrierte CO 2 kann sich im Grundwasser lösen und Kohlensäure bilden, wodurch der pH-Wert absinkt und das Grundwasser versauert. Wenn dann Minerale durch die Versauerung gelöst werden,  können sich einzelne Elemente, z. B. Eisen oder Arsen … oder Spurenelemente, z. B. Schwermetalle … als Feststoffphase oder gelöst im oberflächennahen Grundwasser anreichern.
Der Zutritt von verdrängtem salzreichem Formationswasser kann zu einer Erhöhung der Salzfracht (Versalzung) des oberflächennahen Grundwassers führen. Je nach Zusammensetzung des zutretenden Formationswassers können auch Schwermetalle oder andere potenziell schädliche
Substanzen, z. B. Kohlenwasserstoffverbindungen, mobilisiert werden ….

Auch der Boden kann durch aufsteigendes CO 2 oder salzreiches Formationswasser beeinträchtigt werden. Neben Schwankungen von Grund- und Oberflächenwasser kann es zu Änderungen   des pH-Wertes und des Redox-Potenzials im Boden selbst kommen. Dabei könnten beispielsweise kohlensaure Lösungen zu Schäden an Gebäuden oder Infrastrukturelementen führen. Zudem können Mensch und Umwelt beeinträchtigt werden, z. B. durch die Mobilisierung von Schwermetallen aus dem Boden und deren Anreicherung in Grund- und Oberflächenwasser.“

Dass sich ausgetretenes CO2 in Gruben und Senken sammeln kann, wird angesprochen (Seite 116). Dass dies ab einer Konzentration von 7 Prozent in der Luft für Mensch und Tier durch Sauerstoffentzug tödlich ist, wird jedoch verschwiegen. Statt dessen werden nur gesundheitliche Gefahren durch Beistoffe des CO2 benannt.

Ansonsten ist die obige Darstellung zutreffend – sofern man das Wörtchen „kann“ durch „wird“ ersetzt! Die aufgeführten Auswirkungen sind nämlich zwangsläufig. Indem sie durch das „kann“ als bloße Möglichkeit hingestellt werden, wird die Situation gezielt verharmlost.

Man vergleiche dies mit den Ausführungen, die der Geologe Ralf E. Krupp am 06.06.2011 vor dem Bundestagsausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zum gleichen Thema machte:

„Das schwerwiegendste Problem der Verpressung von CO2 in saline Aquifere (salzwasserführende Gesteinsschichten) liegt in der Verdrängung der zumeist hoch salzhaltigen (bis 350 Gramm Salz pro Liter) Formationswässer. Bei einer Dichte des CO2 von ca. 0,6 t/m³ verdrängen 0,6 Tonnen CO2 jeweils einen Kubikmeter Salzwasser. Die Verdrängung ist unter realen geologischen Gegebenheiten der einzige relevante Mechanismus zur Raumschaffung für das CO2.

Das durch die Injektionsmaßnahme unter Überdruck gesetzte Formationswasser wird die  erste sich bietende Wegsamkeit (z.B. geologische Störung) nutzen um in Richtung geringeren Drucks, also nach oben, zu entweichen. … Die Verdrängung der salinen Formationswässer durch das CO2 ist keine hypothetische Möglichkeit oder ein „Restrisiko“, sondern sie ist eine zwingende physikalische Folge der CO2-Verpressung, die mit Sicherheit eintreten wird.

Wegen seiner gegenüber Süßwasser höheren Dichte wird sich das Salzwasser in den oberflächennahen, Süßwasser führenden Schichten ausbreiten, seinerseits Teile des Süßwassers verdrängen und durch Vermischung versalzen. Jeder Liter Salzwasser kann so, durch Überschreitung des Chlorid-Grenzwertes der Trinkwasserverordnung (250 mg/L Cl), bis zu 1000 Liter Süßwasser verderben. Nimmt man auf Grundlage der geschätzten deutschen CCS-Speicherkapazitäten (BGR, 2010) eine verpressbare Menge von rund 10 Mrd. Tonnen CO2 an, so wäre das verdrängte Salzwasser-Volumen etwa 17 Mrd. Kubikmeter oder 17 km³. Bei einem Versalzungspotential von 1:1000 könnten theoretisch bis zu 17 000 km³ Süßwasser vernichtet werden (Bodensee: 49 km³).“

Die Speicherundichtigkeit könnte denn auch geradezu als Leitmotiv des CCS-Gesetzes bezeichnet werden. In dessen 46 Paragraphen kommen die Begriffe „Leckagen und erhebliche Unregelmäßigkeiten“ mindestens 20-mal vor. Der Referentenentwurf verdeutlichte: „Die Leckagedefinition erfüllen sowohl geringfügige ‚schleichende‘ Leckagen als auch plötzlich auftretende große Leckagen“. Das Gesetz verlangt, diese unverzüglich zu beseitigen. Wie das technisch realisierbar sein soll, wird nicht gesagt.

Die CCS-Lobby selber hebt das Thema „Leckagen“ hervor: Nach der von ihr initiierten und im Januar 2014 vom EU-Parlament verabschiedeten CCS-Resolution soll der Betreiber im Fall von Leckagen keine CO2-Zertifikate zurückgeben müssen, da er durch seine „kostenintensiven Abhilfebemühungen“ schon genug benachteiligt sei und andernfalls das Interesse an CCS-Projekten schwinden könnte. Um mit der Problematik möglichst nichts zu tun zu bekommen, soll die Haftung für gefüllte Speicher frühzeitig auf den Staat, der sie genehmigt hat, abgeschoben werden.

Woher die Verfasser des Evaluierungsberichtes wissen „Insgesamt kann das mit CO 2 -Leckagen verbundene Risiko jedoch als gering eingeschätzt werden“ (Seite 23) verraten sie nicht.

Will Habeck CCS auf dem norddeutschen Festland wirklich?

Wenn CO2 in den Nordseeboden gepresst wird, verbleibt es dort nicht sicherer als in einer Formation an Land, aber einige Probleme, wie insbesondere die Kontaminierung des Trinkwassers, gibt es dort nicht. Außerdem bleibt der Öffentlichkeit verborgen, wo und wieviel CO2 entweicht, und Bürgerinitiativen haben praktisch keine Aktionsmöglichkeiten.

Wenn in den vergangenen Jahren von CCS die Rede war, ging es daher immer nur um CCS offshore. Dass Habeck nun anscheinend auch das norddeutsche Festland einbeziehen will, ist daher bemerkenswert.

Haben wir es mit der „Basar-Taktik“ zu tun: etwas planen, was in Wirklichkeit gar nicht gewollt ist – daran die zu erwartende Widerstandsbewegung sich abarbeiten lassen – dann dieser das Gefühl geben, einen Erfolg erreicht zu haben, indem man vom CCS onshore Abstand nimmt – dann ohne weitere Behinderung das geplante Vorhaben, CCS offshore, realisieren?

Oder will der Wirtschaftsminister tatsächlich das Grundwasser Norddeutschlands verderben? Dann müsste ein neuer Wirtschaftszweig aufgebaut werden, der trinkbares Wasser nach Norddeutschland schafft. Dieses hätte natürlich einen anderen Preis als das vor Ort geförderte, aber alle wären darauf angewiesen. Eine bisher immer noch mögliche teilweise Freiheit aufgrund frei verfügbarer Naturgaben wäre dann vorbei, ein weiterer Schritt in Richtung eines alle Lebensbereiche umfassend technisierenden Systems getan.

Lässt hier Klaus Schwab vom World Economic Forum mit seiner „Vierten Industriellen Revolution“ grüßen? Technisierung von allem, einschließlich von uns selbst, unseren Gefühlen, unserem Innenleben? Wird auch dieser Prozess gerade von der Partei vorangetrieben, die aus einer hingebungsvollen Verbeugung vor der Natur – ihren Geschenken und ihren Geheimnissen – entstanden ist?

— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Erneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende. —

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