Klimaneutrale Kompensation ist kein Beitrag zum Klimaschutz

Hans-Josef Fell

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Kürzlich flatterte mir eine Meldung ins Haus, wonach meine Frau und ich für unsere beiden E-Mobile je circa 300 Euro jährlich bezahlt bekommen. Irgendjemand, den wir nicht kennen – vielleicht ein Mineralölkonzern – zahlt uns diese 600 Euro, vermittelt durch einen Händler, den wir ich auch nicht kennen. Im Gegenzug erhält der Konzern ein Emissionszertifikat, das ihm erlaubt, weitere Treibhausgasemissionen auszustoßen. Und zwar genau die Menge, die unsere beiden E-Autos vermeiden.

Geworben wird für das Zertifikat mit dem folgenden Text:

„Neben der staatlichen Förderung für Dein Elektrofahrzeug und der passenden Ladestation bei Dir zuhause, kannst Du seit 2022 zudem ganz einfach mindestens 320 Euro mit dem Verkauf Deiner THG-Quote verdienen. Jedes Jahr. Voraussetzung ist lediglich, dass Du Halter*in des Fahrzeugs bist und dieses rein elektrisch betrieben wird. Du kannst die THG-Quote sowohl von Deinen privat wie auch gewerblich genutzten E-Fahrzeugen und E-Flotten (also auch für Elektro-Transporter, -Busse und -LKWs) an Mineralölkonzerne verkaufen.“

Grundlage dafür ist der Emissionshandel im Verkehr, der noch unter der letzten Merkel-Regierung eingeführt wurde. Der zugrundeliegende Kerngedanke ist, dass jemand, der selbst nicht in der Lage oder willens ist, seine eigenen Treibhausgasemissionen zu senken, die Senkung von Treibhausgasemissionen eines Anderen finanziert.

Nun war ich aber einfach baff. Wir hatten die zwei E-Autos gekauft, weil in meiner ländlichen Gegend der Personennahverkehr nicht funktioniert, und meine Frau und ich für die tägliche Mobilität emissionsfrei fahren wollen. Wir hatten also schon selbst die Emissionssenkung gegenüber einem Verbrennungsmotorauto finanziert und das schon vor vielen Jahren. Wir wollten einfach emissionsfrei fahren und brauchten dafür keine fremden finanziellen Anreize. Zudem ist unsere Mobilität mit E-Autos sowieso schon finanziell lukrativ, durch Steuerfreiheit, eine hohe staatliche Kaufprämie, wesentlich günstigere Energiekosten durch geringeren Stromverbrauch statt teurem Benzin oder Diesel.

Wir hatten uns also schon längst die E-Autos gekauft und nun sollen wir dafür auch noch einen Zertifikatspreis als „Anreiz“ bekommen, damit wir E-Autos anschaffen, die wir schon angeschafft haben. Die Klimaschutzwirkung dieses Zertifikats ist also gleich Null, weil wir die Autos bereits gekauft und bezahlt haben. Mit den je 300 Euro werden also gar keine Treibhausgase gesenkt. Aber der Konzern, der mir das Zertifikat bezahlt, darf nun weiter emittieren, denn er hat ja ein Zertifikat gekauft, womit er angeblich an anderer Stelle (durch meine E-Autos) Emissionen senkt. Was für ein Betrug! Was für eine Geschäftemacherei zum Schaden des Klimaschutzes!

Solche Emissions-Zertifikate wie unsere wird es nun zigtausende geben und keines wird ein Beitrag zum Klimaschutz sein. Im Gegenteil: Der CO2-Ausstoß wird nur verlagert und es kaufen sich diejenigen mit viel Geld die Erlaubnis, weiter hohe CO2-Emissionen machen zu dürfen.

Der Emissionshandel im Verkehr entpuppt sich als das, wovor Kritiker im Vorfeld der Einführung stets warnten: Das Klima wird nicht geschützt und viel schlimmer noch, die Emissionen werden bei den Käufern der Zertifikate stabilisiert anstatt dass diese das Geld, was sie für Zertifikate ausgeben, in die eigene Treibhausgasemissionssenkung investieren.

Das ist schlicht und einfach ein weiterer Beleg dafür, wie klimaschädlich der Emissionshandel ist. Schon längst sind solche Emissionshandelsgeschäfte, an denen sich viele (Händler, Zertifizierer, Mineralölkonzerne) eine goldene Nase verdienen, bekannt als klimauntaugliches Geschäft, das lediglich Treibhausgasemissionen aufrechterhält, statt sie zu senken.

Und diese Zertifikate schaffen erhebliche weitere Probleme, zum Beispiel Vertreibungen bei großen Staudammprojekten wie im chinesischen Bala Tal. Tatsache ist, dass ein solcher Staudamm ohnehin gebaut worden wäre. Doch weil er gegenüber einem Kohlekraftwerk CO2 einspart, wird der Verkauf von CO2-Zertifikaten ermöglicht. Diese sind wiederum eine willkommen geheißene Finanzierung für die chinesischen Staudammprojekte, die sowieso gebaut worden wären. Von einer Emissionsreduktionswirkung der Zertifikate keine Spur. Solche Zertifikate hat zum Beispiel auch RWE gekauft, denn dies war lukrativer, als selbst vor Ort im Kohlekraftwerk Niederaußern CO2 einzusparen. Dass damit aber auch Menschenrechtsverletzungen durch Vertreibung der Bauern im Bala Tal verbunden sind, hat RWE wohl nie gekümmert. Beschrieben wurden diese und andere abstruse Verhältnisse, die der Emissionshandel verursacht, schon 2010 in der Zeitschrift GEO. Der Artikel sollte immer noch zur Pflichtlektüre für alle gehören, die beim Thema Klimaschutzmaßnahmen mitreden wollen.

Doch gelernt haben die Verfechter des Emissionshandels aus diesen fundamentalen Missständen nichts. Von der deutschen Regierung, der UN-Klimakonvention, über RWE, bis hin zum Potsdamer Institut für Klimafolgenfoschung (PIK) und vielen Umweltverbänden. Selbst bei Fridays for Future glauben viele bis heute an die Effektivität des Emissionshandels trotz seiner üblen Auswirkungen und der Wirkungslosigkeit für den Klimaschutz.

Immer weiter wird der Zertifikatehandel getrieben und es wundert sich noch nicht mal jemand, warum die globalen Emissionen trotz des mächtigen Emissionshandelssystems immer noch nicht sinken. Und die Frage, ob der Emissionshandel nicht selbst auch eine Mitschuld daran hat, kommt erst gar nicht auf.

Allerdings werden die Effekte der Erdüberhitzung immer gravierender. Daher ist nun der Begriff „Klimaneutralität“ in aller Munde. Er impliziert, dass man weiter Emissionen machen könne, wenn man nur in gleicher Höhe Kohlenstoffsenken finanziert. Doch auch hier kommen die gleichen wirkungslosen Mechanismen, wie beim CO2-Emissionshandel, zum Tragen. Zum Teil haben diese auch erhebliche negative Auswirkungen – nicht nur für den Klimaschutz. So werden nun Unmengen Zertifikate zum Schutz von Urwäldern als Kohlenstoffsenken von zum Beispiel Kohle-oder Mineralölkonzernen aufgekauft, um sich mit dem Etikett Klimaneutralität zu schmücken. Jutta Kill hat die Missstände in einem Beitrag für XR bestens herausgearbeitet.

In zertifizierten Wäldern muss beispielsweise vor Ort dafür gesorgt werden, dass die Urwälder auch wirklich unberührt bleiben. Menschlicher Einfluss muss so wirken, dass sie ihre natürliche Funktion der Kohlenstoffsenke auch ausführen können. Nun führen manche Zertifikate dazu, dass in solchen Wäldern sogar indigene Völker vertrieben werden. Doch gerade diese indigenen Völker haben oft über Jahrtausende im natürlichen Einklang mit den Urwäldern gelebt. Sie haben eine Lebensweise entwickelt, die im Einklang mit der Natur die Wälder schützt. Genau diese nun zu vertreiben ist genauso eine Menschenrechtsverletzung, wie die Vertreibung indigener Völker durch das Abholzen der Regenwälder, wie sie aktuell massenhaft unter Präsident Bolzonaro in Brasilien stattfindet.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Emissionshandel und auch das Etikett „Klimaneutralität“ führen nicht zum Klimaschutz, dafür aber vielfältig zu Menschenrechtsverletzungen oder „nur“ zu Geschäftemacherei mit Scheinklimaschutzmaßnahmen. Dazu zählt eben auch das fragwürdige Zertifikat, welches ich nun für meine E-Autos bekommen soll.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

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