Das (unfreiwillige) Verdienst der Ampelkoalition

Teilen

Dass vor Wahlen und vor Regierungsbildungen die dominierenden politischen Kräfte Botschaften verbreiten, die in der Bevölkerung eine zuversichtliche Stimmung auslösen sollen, ist nicht neu. Die Bevölkerung ist auch schon daran gewöhnt, dass solche Ankündigungen sich nicht gerade durch Verlässlichkeit auszeichnen, so dass sich die Enttäuschung bei späterer Nicht-Einhaltung in Grenzen hält.

Im Zuge der Bildung der Ampel-Koalition war es dennoch anders. Die Erkenntnis, dass wir nun wirklich in die allerletzte Phase eingetreten sind, in der die Erderwärmung eventuell noch beeinflusst werden kann, hatte sich in der Gesellschaft denn doch verbreitet. Die junge Generation knallte die ihr gestohlene Zukunft der Öffentlichkeit vor die Füße. Das Bundesverfassungsgericht mahnte mehr Klimaschutz an, der IPCC schlug Alarm wie nie zuvor.  Dass diese zugespitzte Situation eine Steilvorlage für die Grünen darstellte und dass die Grünen dann auch tatsächlich zweitstärkste Kraft in einer Dreierkoalition wurden, ließ doch Etliche hoffen.

Im Ergebnis der Sondierungsgespräche durfte man denn auch lesen „Wir machen es zu unserer gemeinsamen Mission, den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen. Dazu werden wir Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen. … Bürokratische Hürden werden wir abbauen.“

Der Koalitionsvertrag bekräftigte: „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität. Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand. … Wir bringen neues Tempo in die Energiewende, indem wir Hürden für den Ausbau der erneuerbaren Energien aus dem Weg räumen. Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter“.

Der Referentenentwurf zur EEG-Novellierung ernüchterte dann allerdings schon. Der hierin vorgesehene Ausbau der Erneuerbaren verfehlt die in Paris vereinbarten Klimaziele um Meilen. Nach wie vor wird der Erneuerbaren-Ausbau gedeckelt. Wenige bürokratische Hürden wurden ein bisschen niedriger gestellt, insgesamt bleiben die Verfahren aber ein Hindernisparcours wie eh und je. Hier ein Schlaglicht aus der Praxis von Andreas Schmitz: https://www.youtube.com/watch?v=cYg0BC-TLdo

Und dann kam der Ukraine-Krieg. Er machte deutlich, dass die Abbremsung der rneuerbaren Energien durch die Bundesregierungen unter Angela Merkel seit 2010 nicht nur ein Verbrechen gegen den Klimaschutz war, sondern eines, das ganz direkt Tote, Verletzte und Flüchtlinge produziert. Da ein zügiger Umstieg auf erneuerbare Versorgung verhindert wurde, blieb Deutschland auf große Lieferungen fossiler russischer Brennstoffe angewiesen, deren Erlöse dem russische Präsident Putin den Aufbau seiner Militärmacht und letztlich den Überfall auf die Ukraine ermöglichten.

Statt dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aus dieser üblen Erfahrung lernen und gemäß dem Koalitionsvertrag nun alle Kräfte, alles Potenzial auf den Ausbau der Erneuerbaren fokussieren würde, legt er eine 180-Grad-Wende hin in einem Tempo, wie es selbst die kritischsten Grünen-Beobachter eher nicht für möglich gehalten hatten. Statt „Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität“ verkündet er nun: „Versorgungssicherheit geht vor Klimaschutz“. Und um den Bedarf an „Russen-Gas“ zu vermindern, setzt er auf Flüssiggas (LNG), den klima- und umweltschädlichsten Brennstoff, den es überhaupt gibt. So sieht „Beendigung des fossilen Zeitalters“ à la Habeck aus.

Starker Tobak. Den Politikerspruch „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ muss man für Habeck abwandeln in: „Was kümmert mich mein Geschwätz von vor fünf Minuten.“

Habeck hat damit aber überhaupt kein Problem. Im Gegenteil. Er vertritt seine neue Position mit einer Forschheit, über die man nur staunen kann. Auf Rechtfertigungsbemühungen wartet man vergebens. Stattdessen teilt er noch aus: Beim Besuch in Brunsbüttel, wo er ein LNG-Terminal entstehen lassen will, sagte er,  Deutschland müsse seine „Schlafmützigkeit“ und „Bräsigkeit“ (für Nicht-Norddeutsche: „Dickfelligkeit“) abschütteln. Damit kann er nur die Deutsche Umwelthilfe und viele weitere Verbände und Initiativen adressiert haben, darunter auch die Nord-Grünen, die seit Jahren gegen den beabsichtigten Klimafrevel kämpfen, und fordern, dass die immensen staatlichen Zuschüsse, ohne die die LNG-Anlagen nicht finanzierbar sind, in den Ausbau der erneuerbaren Energien fließen müssen. Doch Habeck hat inzwischen bestimmt neue Freunde gefunden, die ihm jetzt den Rücken stärken.

So schnell wie Habecks persönliche Wende soll es auch mit dem Bau des Terminals vorangehen. Habeck und der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, sind sich einig, dass Planung, Genehmigungsverfahren und Bau „synchronisiert“ werden, also parallel ablaufen sollen.

„Uns ist einiges eingefallen, es schneller zu machen“, sagte der Minister. Tempobegrenzender Faktor solle allein die Baukapazität sein. Die Verfahren seien so zu gestalten, dass sie die Geschwindigkeit des physikalischen Bauens nicht aufhalten.

Warum hat Habeck diese Idee nicht in die EEG-Novellierung eingebracht?  Als erstes mit dem Bauen von Windanlagen und Solarparks loslegen. Die Genehmigung kommt dann schon, spätestens wenn die Projekte fertiggestellt sind. Das wäre doch mal was!

Einstweilen ist er unterwegs, um Stoff für die LNG-Anlagen zu akquirieren. In Katar sei „großartigerweise“ eine „langfristige Energiepartnerschaft“ vereinbart worden. Ein dpa-Foto zeigt den sich tief vor seinem Kollegen in Katar verbeugenden deutschen Energieminister.

„Langfristige Energiepartnerschaft“ – wie lang soll NLG aus Katar geliefert werden und wie kommt Deutschland dabei auf den im Koalitionsvertrag vereinbarten „1,5-Grad-Pfad“?  Dazu äußert sich Habeck nicht.

Wie ist das nun – haben wir es hier mit mangelndem menschlich/charakterlichem Format zu tun oder muss man sich einen anderen Vers auf Habecks Verhalten machen? Ist man in der Funktion des Wirtschaftsministers vielleicht einem derartigen Druck von allen möglichen mächtigen Seiten ausgesetzt, dass es unmöglich ist, nicht davor zu kapitulieren? Habeck hat kapituliert, wie man nur kapitulieren kann. In der Öffentlichkeit präsentiert er sich als Macher, der nun mal nicht zimperlich sein darf: „Es sind eben außergewöhnliche Zeiten, entsprechend muss auch außergewöhnlich politisch agiert werden.“ So gefällt es den Kräften der konventionellen Energiewirtschaft und der konventionellen Wirtschaft überhaupt.

Und Letztere bestimmen nun mal immer noch die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft. Das (unfreiwillige) Verdienst der Ampelkoalition besteht darin, so deutlich wie nie zuvor gemacht zu haben: Nicht die gewählten Vertreter des Volkes herrschen, sondern diejenigen, die durch die Art der Waren und Dienstleistungen, die sie auf den Markt bringen und durch die Prozesse und die ganze komplexe, in sich verquickte Situation, die dadurch geschaffen wird, die Lebenswirklichkeit determinieren. Eine grundlegende Veränderung, wie die Energiewende sie darstellt, kann letztlich nicht durch Beschlüsse des Parlaments herbeigeführt werden, sondern erfordert autonomes alternatives wirtschaftliches Handeln wachsender Teile der Bevölkerung.

— Der Autor Christfried Lenz, politisiert durch die 68er Studentenbewegung,  Promotion in Musikwissenschaft, ehemals Organist, Rundfunkautor, Kraftfahrer und Personalratsvorsitzender am Stadtreinigungsamt Mannheim, Buchautor. Erfolgreich gegen CCS mit der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“, nach Zielerreichung in „Saubere Umwelt & Energie Altmark“ umbenannt und für Sanierung der Erdgas-Hinterlassenschaften, gegen neue Bohrungen und für die Energiewende aktiv (https://bi-altmark.sunject.com/). Mitglied des Gründungsvorstands der BürgerEnergieAltmark eG (http://www.buerger-energie-altmark.de/). Seit 2013 verfügt der stellvertretende Sprecher des „Rates für Bürgerenergie“ im Bündnis Bürgerenergie (BBEn) über eine 100-prozentige Strom-Selbstversorgung durch Photovoltaik-Inselanlage mit 3 Kilowattpeak. —

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion@pv-magazine.com.

Dieser Inhalt ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert werden. Wenn Sie mit uns kooperieren und Inhalte von uns teilweise nutzen wollen, nehmen Sie bitte Kontakt auf: redaktion@pv-magazine.com.

Popular content

Bayern will 0,3 Cent/kWh Abgabe für große Solarparks verbindlich machen
19 Dezember 2024 Photovoltaik-Freiflächenanlagen ab fünf Megawatt sowie Windkraftanlagen sollen unter die heute vom bayrischen Kabinett verabschiedete Regelung fallen...