Ursprünglich sollte die endgültige Entscheidung über die Aufnahme der beiden Technologien Atomkraft und Gas in die EU-Taxonomie am heutigen Mittwoch fallen. Die EU-Kommission hat jedoch mittlerweile die Frist für die Abgabe von Stellungnahmen der Mitgliedstaaten auf den 21. Januar verschoben. Von Deutschland ist Widerstand zu erwarten, der aber bei der endgültigen Entscheidung keine Rolle spielen wird. Stimmen weder EU-Parlament noch der Ministerrat der Mitgliedsländer gegen die Pläne, tritt die Vorgabe zügig in Kraft, da es sich dabei um einen delegierten Rechtsakt handelt. Da sich im Ministerrat eine qualifizierte Mehrheit 20 der 27 Staaten gegen das Vorhaben aussprechen müssten, ist dort ein „Nein“ unwahrscheinlich. Spannender wird es im Parlament, wo sich mittlerweile auch in der konservativen EVP-Fraktion einige Abgeordnete dagegen ausgesprochen haben. Bislang gilt aber auch hier die Zustimmung als gesichert.
In einer am Mittwoch veröffentlichten Analyse finden die Experten des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) klare Worte: Die EU-Kommission verstelle durch ihre Pläne den Blick darauf, dass Atomenergie nicht nachhaltig sei. Die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie sei „nicht nachvollziehbar.“ Das BASE führt mehrere Aspekte an, die gegen das Vorhaben sprechen. So werde die Entsorgung des Atommülls zu wenig beachtet. Viele Sicherheitsfragen beim Betrieb der Atommeiler seien offen. Atomkraft sei eine Hochrisikoenergie und berge die Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke. Auch sei es nicht richtig, dass beim Einsatz der Technologie kaum klimaschädliche Gase ausgestoßen würden. Denn die EU-Kommission betrachte nicht den gesamten Lebenszyklus und vernachlässige Aspekte wie Rückbau und Urangewinnung, die durchaus zur Emission von Treibhausgasen beitrügen. „Aus fachlicher Sicht ist die Einordnung von Atomkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung nicht haltbar“, sagte BASE-Chef Wolfram König der Nachrichtenagentur dpa. Er spricht zudem von erheblichen Lasten für kommende Generationen, die mit dem Anspruch der Generationengerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen seien.
Rechtsgutachten: EU-Taxonomie verfassungswidrig
Bereits am Montag hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ein Rechtsgutachten veröffentlicht, demzufolge die Pläne der EU-Kommission dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere dem Klimabeschluss, zuwiderliefen. Dabei gehe es nicht nur um die Atomenergie, sondern auch um die von Deutschland befürwortete Einstufung von Gaskraftwerken als nachhaltig. „Wird die Taxonomie dennoch in dieser Form verabschiedet, muss sich die Bundesregierung der von Österreich und Luxemburg angekündigten Klage gegen die Aufnahme der Atomkraft anschließen und diese um fossiles Gas erweitern“, fordert die Nichtregierungsorganisation.
Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, Autorin des Gutachtens, verweist auf Artikel 20a des Grundgesetzes, der einen Schutzauftrag bei der Mitgestaltung von Unionsrecht vorsehe: „Damit wäre es schwerlich vereinbar, seitens der Bundesregierung eine Mitverantwortung für das nicht rechtzeitige Beschreiten des 1,5 Grad-Pfades sowie für die Förderung von Laufzeitverlängerungen alter grenznaher ausländischer Atomkraftwerke zu übernehmen.“ Aus Juristenkreisen kommt allerdings auch Widerspruch zu Ziehms Einschätzungen.
Ob sich die Bundesrepublik einer Klage anschließen wird, ist noch offen. Das liegt auch an der Aufnahme von Erdgas in die Taxonomie, die gerade von Deutschland gefordert worden war.
Bürgerproteste
Zumindest stößt das Vorhaben der EU-Kommission in Deutschland auf Widerstand in der Bevölkerung. Innerhalb von vier Tagen sammelten mehrere Nichtregierungsorganisationen, darunter die Bürgerbewegung Finanzwende, BUND und Greenpeace, mehr als 220 000 Unterschriften gegen die Pläne. „Wenn auch klimaschädliche und hochriskante Energieträger als nachhaltig gelten, wird das ganze Label entwertet – das hätte eine fatale internationale Signalwirkung”, befürchten die Initiatoren.
Goldene Nase für Profiteure
Es geht um viel Geld. Denn gelten Atom- und Gaskraftwerke als nachhaltig, können Finanzierer das zur Verfügung gestellte Kapital in ihrem Nachhaltigkeitsbericht entsprechend ausweisen. EU-Binnenmarkt-Komissar Thierry Breton sprach von einem Investitionsbedarf bis 2030 für bereits existierende Atomreaktoren in Höhe von 50 Milliarden Euro. Ein großer Teil des Geldes wird in seinem Heimatland Frankreich benötigt. Dort stehen derzeit 15 von 56 Meilern wegen technischer Probleme und Wartungsarbeiten still. Weitere 500 Milliarden Euro werden laut Breton bis zum Jahr 2050 für den Bau neuer AKW benötigt. Er spricht von einer „industriellen Revolution von beispiellosem Ausmaß.“ (Jochen Bettzieche)
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