Um das Stromnetz bei steigendem Anteil erneuerbarer Energien stabil zu halten, wird Flexibilität in Form von anderen Stromerzeugern, Verbrauchern und Speichern benötigt. Glücklicherweise steht mit Elektroautos eine solche Flexibilität bereit. Die Ampel-Parteien planen mit 15 Millionen Elektroautos im Jahr 2030, was bei typischen Batteriegrößen von 20 bis 100 Kilowattstunden einer Gesamtspeicherkapazität von rund einer Terawattstunde entspricht. Nur zum Vergleich: Alle bis 2020 in Betrieb genommenen stationären Batteriespeicher haben eine Kapazität von knapp 2 Gigawattstunden und die deutschen Pumpspeicherkraftwerke insgesamt rund 40 Gigawattstunden, also nur etwas einem fünfhundertstel beziehungsweise 4 Prozent der theoretischen Kapazität der Elektroautos.
Um dieses Potential zu nutzen, gibt es verschiedene Ansätze, die sich grob in die Kategorien „Smart Charging“, „Vehicle-to-Home“ (alternativ auch „Vehicle-to-Building“) und „Vehicle-to-Grid“ zusammenfassen lassen. Bei ersterem wird geladen, wenn zum Beispiel gerade sehr viel erneuerbarer Strom erzeugt wird oder das Netz wenig belastet ist. Bei der zweiten Kategorie wird das Fahrzeug auch aus der eigenen Photovoltaik-Anlage geladen oder entladen, um beispielsweise Verbrauchsspitzen durch andere Geräte am selben Netzanschlusspunkt auszugleichen. Bei „Vehicle-to-Grid“ wird neben der Ladung aus dem Netz auch ins öffentliche Stromnetz entladen, um bei Stromknappheit zusätzliche Leistung zur Verfügung zu stellen. Diese Konzepte haben wir in unserem vorherigen Artikel im Detail beschrieben und halten uns daher an dieser Stelle kurz.
Eine zentrale Herausforderung gerade bei kritischen Aufgaben wie der Spannungs- und Frequenzhaltung ist aber zu wissen, wann und wo Flexibilität zur Verfügung steht. Da knapp 90 Prozent der Fahrzeuge in Deutschland in privater Hand sind, ist eine zentrale Planung von Verfügbarkeiten hier unrealistisch. Schließlich würden PKW-Halter und Halterinnen wohl kaum akzeptieren, dass ihr Fahrzeug nicht für eine spontane Fahrt wie beispielsweise zum Krankenhaus zur Verfügung steht. Stattdessen müssen Systeme entwickelt werden, welche prognostizieren, wie viele Fahrzeuge mit welcher Wahrscheinlichkeit in einem statistischen Ensemble ans Stromnetz angeschlossen sind. Darüber hinaus müssen diese Systeme abschätzen, wie der Ladezustand der Fahrzeuge ist und daraus eine verfügbare Energie und Leistung für die Netzstabilisierung unter Berücksichtigung von Sicherheitsreserven und den absehbaren Fahrten ableiten.
Für solche Vorhersagesysteme eignen sich datengetriebene Techniken des maschinellen Lernens besonders gut. Je nach Art der Eingangsdaten können solche Systeme dann zum Beispiel verstehen, was Gründe dafür sind, dass besonders viele oder wenige Fahrzeuge an das Stromnetz angeschlossen sind und diese Trends in die Zukunft fortschreiben. Im Projekt „BeNutz LaSA“ erproben wir eine solche Prognose mit öffentlicher Ladeinfrastruktur. Erste Ergebnisse zeigen, dass wir bereits heute die Verfügbarkeit mit einer hohen Genauigkeit abschätzen können. Darüber hinaus kann für jede Ladestation angegeben werden, wie wahrscheinlich eine zukünftige Belegung sein wird. Insbesondere wenn es mehrere Ladepunkte in unmittelbarer Umgebung gibt, kann die Verfügbarkeit eines Ladepunkts mit hoher Sicherheit vorhergesagt werden. Diese Informationen können beispielsweise auch für die Routenplanung verwendet werden, um die Wartezeiten zu minimieren. Ähnliches ließe sich auch für private Ladestationen und Fahrzeuge oder für Firmenparkplätze realisieren.
Mit dieser Information gewappnet können Netzbetreiber, Regelleistungsanbieter, Energieunternehmen und viele andere Kapazitäten für den Betrieb des Stromnetzes mit hoher zeitlicher Auflösung planen. Wird zum Beispiel erwartet, dass zu wenige Fahrzeuge zur Verfügung stehen, könnten andere und teurere Flexibilitätsoptionen wie zum Beispiel Kraftwerke oder Demand Response von industriellen Prozessen genutzt werden. Sind hingegen ausreichend Fahrzeuge an Ladestationen, könnte schon im Vorhinein eingestellt werden, wie stark die Fahrzeuge ihr Ladeverhalten an die aktuelle Situation im Stromnetz anpassen sollen. Auch könnten so unterschiedliche Angebotssegmente bespielt werden, weil einige Fahrzeughalter und -innen aus jeweils individuellen Gründen eine höhere Zahlung für die Nutzung der Batterie einfordern werden als andere.
Technisch sind vor allem sogenannte Ensemble-Lerner geeignet, um Vorhersagen zu treffen. Diese Modelle bestehen aus sehr vielen kleinen und einfachen Vorhersagemodellen, die dann gemeinsam ein Ergebnis erzeugen. In den gängigen Modellen wie „Random Forest“ oder „Gradient Booster“ sind die kleinen Modelle Entscheidungsbäume, die anhand von Kriterien wie dem Wochentag, der Uhrzeit, Ferienzeiten, langen Wochenenden, Wetter und Verkehr trainiert werden. Durch diese Algorithmen können gerade gegenüber der durchschnittlichen Belegung erheblich Vorteile in der Genauigkeit erzielt werden.
pv magazine Marktübersicht Elektroauto-Ladelösungen
Schwerpunkt zu Elektroauto-Ladelösungen für Wohngebäude und Gewerbe in der aktuellen pv magazine Ausgabe mit Beiträgen unter anderem zu (Premium Content, zum Shop):
- Der Begleitartikel zur Marktübericht Elektroauto-Ladelösungen enthält eine layoutete Übersichtstabelle und unter anderem Erläuterungen zu solaroptimierten Laden und Integration in Energiemanagementsysteme
- Treibhausgas-Minderungsquoten: Geldregen für Photovoltaikbetreiber mit Ladestationen?
- Wie gut können Elektroautos zur Netzstabilisierung genutzt werden?
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Damit solche Konzepte auch real umgesetzt werden können, gibt es einige Grundvoraussetzungen:
- Daten sind verfügbar
Um Konzepte wie hier dargestellt umsetzen zu können, werden der Zugang zu großen Mengen an Daten benötigt. Die Daten sind alleinschon wegen der Abrechnung der Ladevorgänge prinzipiell vorhanden. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass im neuen Koalitionsvertrag ein Mobilitätsdatengesetz vorgesehen ist. Das damit geschaffene Modell muss zu fairen Konditionen auch kleinen Akteuren Zugang zu relevanten Datenpools schaffen.
- Netzanschlussverträge belohnen Flexibilität
Theoretisch können auch Endverbraucher in Deutschland schon flexible Stromtarife nutzen. Die dafür notwendigen Smart Meter sind aber bisher in wenigen Immobilien verbaut. Entweder ein verstärkter Rollout von Smart Metern oder die Nutzung anderer Varianten wie Rundsteuerempfänger oder Messdaten direkt aus einer Ladesäule könnten hier einen Ausweg schaffen. Aber selbst wenn die technischen Möglichkeiten geschaffen wurden, muss die Flexibilität auch vergütet werden. Dafür fehlt es noch an Tarifstrukturen und Märkten.
- Kommunikationsprotokolle entsprechen allgemeinen Standards und sind zugänglich
Die Steuerung der Fahrzeuge kann über verschiedene Kanäle erfolgen. Zum einen stehen mit ISO 15118-20 oder CHAdeMO Protokolle bereit, die ermöglichen, dass die Ladesäule die Ladung des Fahrzeugs steuert. Alternativ ist eine Steuerung direkt über die Telematik des Fahrzeugs umsetzbar. Beides erfordert aber, dass auch innovative Drittunternehmen sich auf offene und stringent implementierte Protokolle verlassen können. Leider zeigen die aktuellen Entwicklungen beim Open Charge Point Protocol (OCPP) sowie dem ISO 15118, dass viele Hersteller einen eigenen „Dialekt“ der Protokolle implementieren, was den Aufwand für Drittanbieter stark erhöht.
Weitere Details zu den vorgestellten Konzepten finden Sie in unserem kürzlich veröffentlichten Artikel (open access).
Über die Autoren
Christopher Hecht ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. Seine Forschung konzentriert sich auf die Interaktion von Elektrofahrzeugen und dem Stromnetz mit besonderem Fokus auf die Nutzung von öffentlicher Ladeinfrastruktur.
Jan Figgener ist Abteilungsleiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Markt- und Technologieentwicklung, die Netzintegration und die Alterung von Batteriespeichern.
Dirk Uwe Sauer leitet den Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen und ist seit fast 30 Jahren im Bereich Batterien und Energiesysteme aktiv. Zusammen mit einem Team von 70 Angestellten fokussiert er sich auf Themen beginnend mit den elektrochemischen Prozessen in einer Batteriezelle bis zur Analyse ganzer Energiesysteme. Im Bereich der Batteriealterung werden verschiedene Modelle, Post-Mortem-Analysen, datengetriebene Methoden und vieles mehr genutzt, um die Nutzungsdauer und Sicherheit von Batterien zu erhöhen.
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Da sich wieder abzeichnet, dass der Strom-Markt unter wenigen Unternehmen aufgeteilt wird, wird es kostspieliger für den Verbraucher. Solange der Einzelne mit PV, E-Auto, Heim-Akku, Bidirektionalen Wall-Boxen und E-Fahrzeugen nicht vom großen Kuchen etwas abbekommt läuft die Energiewende gegen viele Hindernisse. Warum funktioniert es in Gemeinden, die ihre Energieversorgung selbst in die Hand nehmen so gut? Weil die Bürger die es selbst betrifft mitmachen und mitverdienen können. In solchen Gemeinden gibt es selten Widerstand gegen Windräder und PV-Anlagen.
Es gibt nur sehr wenige E-Autos die bidirektionales Laden beherrschen, genauso kenne ich aktuell keine Wallbox die Bidirektionalität beherrscht. Da gibt es noch viel Nachholbedarf. Und das betrifft jetzt nur das eigene häusliche „Netz“.
In jedem E-Auto ist eine SIM-Karte verbaut. Mit ihr kann dann über eine App z.B. der Ladezustand angezeigt werden. Die Datenverbindung ist also schon vorhanden und muss nur noch intelligent verknüpft werden. Vermutlich nur eine Frage der Software.
Um die Energiewende zu schaffen brauchen wir viel mehr Speicher. Mit einer zunehmenden Zahl an E-Autos steht uns eine immer größere Zahl an Speichern zur Verfügung. Man muss in nur nutzen wollen.
Kleine Ansätze von Heimspeichern zur Unterstützung des Stromnetzes von Siemens und Sonnen sind gerade gescheitert. Weiter wird von den Netzbetreibern / Energieversorgern verhindert eine Einspeisung von eigenen Heimspeichern zu ermöglichen. Klar, die Energieversorger wollen ihren Strom selber verkaufen und sehen sehr wohl das heimische PV-Anlagen zu einer Konkurrenz werden können. Wenn jetzt auch noch private Heimspeicher zur Versorgung dazukommen sehen sie langsam ihre Geschäftsmodelle davonschwimmen. Es geht nur ums Geld. Und die, die in der Vergangenheit schon gut damit verdient haben, haben auch die Marktmacht das Schiff in ihre Richtung zu steuern.
Jedem der die Möglichkeit hat seine Stromversorgung selbst in die Hand zu nehmen kann ich nur raten das zu tun. Die Energieversorgung wird billiger und der Selbstversorger ist vor börsennotierten Energiepreisschwankungen besser geschützt.
Man schaue nur in die nahe Vergangenheit. Was war das für ein Verzögerungstaktik bei der Zulassung von Balkonkraftwerken. Zum Schluss wurde noch ein neuer Stecker erfunden damit man noch mal etwas Zeit gewinnt. Im Erfinden von neuen Steckern sind die deutschen Ingenieure übrigens Spitze. Als Elon Musk um 2012/2013 bei den Energieversorgern / Ladesäulenbauern nachgefragt hat, ob jemand bei seinem Ladenetz (Supercharger) mitmachen will wurde das überheblich abgelehnt. Stattdessen wurde der Stecker Typ 2 erfunden und als Standard für die deutschen / europäischen E-Autos festgelegt. Die damals berechtige Angst war, dass man technologisch abgehängt wird. Also den Markt schützen und was Eigenes machen. So wurde auch der asiatische E-Automarkt beschnitten da die verfügbaren Ladesäulen mit CHAdeMO in Deutschland immer weniger wurden. Zusätzlich wurde der Ausbau der Ladesäulen vielen Investoren überlassen. Das hatte einen fürchterlichen Tarifdschungel zur Folge. Um auf die praktische Lösung, wie bei Tesla, zu kommen, einfach Stecker rein und laden, wird es noch ein paar Jahre dauern. In der Zwischenzeit ist es jetzt geplant das man auch mit EC-Karte statt Ladekarte eines Anbieters an der Ladesäule zahlen kann. Wir in Deutschland mit unseren Ingenieuren sind immer noch nicht so weit wie Tesla schon seit 9 Jahren. Es wird also noch weiter in kurzfristige Marktlösungen investiert bis es so einfach wird wie Telefonieren.
Die Bürger lassen sich diese Blockade der Energiewende nicht mehr gefallen. Das sieht man doch an dem Prozentzahlen der schwarzen Parteien bei der Wahl. Trotz riesiger Stolpersteine der Energieversorger sind bereits fast 60% des Strombedarfs grün. Wenn ich mein E Auto für 1,50 € pro 100km mit eigenem Strom fahren kann, dann wäre jeder mit einigermaßen Grips im Kopf sehr minderbemittelt, wenn er diese Möglichkeit hat und diese nicht nutzen würde, auch wenn der
Umweltgedanke ganz hinten steht. VW will bidirektionales Laden 2023 auf den Markt bringen. E3dc hat auch eine entsprechende serienreifen Wallbox im Angebot. Aber ich glaube sie haben erkannt, wenn diese Technik sich durchsetzt, dass das Heimspeichervolumen durch den Speicher im Auto kleiner wird. In das eigene Fleisch will man sich wohl nicht schneiden. Technisch stellt das keine Probleme da. Der Hyundai ionic 5 speist jetzt schon einphasig bis zu 3,6 kWh vom Auto zurück. Diese Technik muss sich durchsetzen. Dezentral Strom erzeugen und verbrauchen entlastet die Netze. Wenn die Grünen ihre Ziele nur einigermaßen erreichen, dann werden Solaranlagen und E-Autos ein Selbsläufer. Ölkonzerne und Stromkonzerne kaufen ganz massiv Solarparks und investieren Milliarden im zweistelligen Bereich, sonst schwimmen ihre Felle davon.