Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende zu. Wir wollen daher innehalten, über die vergangene Monate reflektieren und uns auf das vorbereiten, was uns das nächste Jahr bringen wird. Wir treten in eine Phase der Reflexion und Vorbereitung ein: Was haben uns die letzten 12 Monate gebracht und gelehrt? Die anhaltende Pandemie führte zu einer Unterbrechung der Versorgungsketten, während wir immer schwerwiegendere Auswirkungen der Klimakrise auf uns haben zukommen sehen. Europäer kämpfen in diesem Winter mit noch nie dagewesenen Energiekosten, die durch die weltweit extrem hohen Gaspreise verursacht werden. Dieses schwierige Jahr hat uns gezeigt, dass Europa mehr denn je den Einsatz erneuerbarer Energien beschleunigen muss, um unsere Wirtschaft mit zuverlässiger, preiswerter und sauberer Energie zu versorgen. Europa muss damit aber auch ein klares strategisches Interesse daran haben, den Wiederaufbau der Photovoltaik-Produktion auf dem Kontinent zu unterstützen. Dies muss Hand in Hand mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa gehen.
Die Halbleiterkrise im Jahr 2021 und die Folgen des enormen Drucks auf die Lieferketten unserer Automobil- und Wechselrichter-Industrie haben uns eines gelehrt: Eine Branche kann sich nur dann nachhaltig entwickeln, wenn sie eine klare strategische Vision für ihre Wertschöpfungskette hat. Der europäische Photovoltaik-Markt befindet sich auf einer exponenziellen Wachstumskurve, die die Solarenergie im nächsten Jahrzehnt zum wichtigsten Energieerzeuger machen wird. Um dieses Wachstum aufrechtzuerhalten, müssen in Europa umfangreiche Produktionskapazitäten für innovative Technologien aufgebaut und die Lieferketten für unsere Projektentwickler diversifiziert werden.
Wir bei Solarpower Europe möchten bis 2025 die Produktion von 20 Gigawatt entlang der Photovoltaik-Wertschöpfungskette sehen, vom Polysilizium bis zum Modul, und zwar in Abstimmung mit der Komponenten- und Anlagen-Industrie und in Anpassung an die Bedürfnisse unserer Projektentwickler. Dies ist das Ziel, das wir uns für die “European Solar Initiative” gesetzt haben. Dabei handelt es sich um eine Industrieallianz, die wir im Februar dieses Jahres ins Leben gerufen haben und die die Entwicklung von Industrieprojekten in Europa unterstützt. Derzeit gibt es in der EU in jedem der Segmente Ingot/Wafer und Zellen Kapazitäten von 1 Gigawatt oder weniger. Es gibt mehrere Hersteller von Modulen mit einer Gesamtkapazität von etwa 6 bis 7 Gigawatt, aber nur ein Silizium- und ein paar Wechselrichterhersteller können auf Gigawatt-Niveau produzieren. Wir haben uns unter den gegebenen Voraussetzungen ein ehrgeiziges Ziel gesetzt, aber Fakt ist: Nur mit Fabriken im Gigawatt-Maßstab kann Europa globale Wettbewerbsfähigkeit erreichen.
Gründe für Optimismus
Auch wenn das Jahr 2021 für die Solarindustrie mit Herausforderungen verbunden war, konnten mehrere Zell- und Modulhersteller bedeutende Fortschritte machen. Meyer Burger eröffnete zwei Produktionsstätten in Ostdeutschland mit einer jährlichen Produktionskapazität von jeweils 400 Megawatt für Solarzellen und -modulen und sicherte sich die Finanzierung, um bereits im nächsten Jahr eine Produktionskapazität von 1,4 Gigawatt für Zellen und 1 Gigawatt für Module zu erreichen. Auch Oxford PV wird seinen Standort in Brandenburg 2022 voll auslasten. Mit der strategischen Investition des globalen Photovoltaik-Investors Reliance wird es Nexwafe ermöglicht, 2022 mit der Produktion in Deutschland zu starten und bereits 2025 auf 3 Gigawatt aufzustocken.
Besonders interessant ist die Investitionswelle, die die vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette erreicht und die ersten Anzeichen für eine koordinierte Marktbewegung in der gesamten Branche bringt. Norwegian Crystal kündigte an, die Ingotproduktion in Europa auf 10 Gigawatt zu erweitern, während Norsun seine Ingot- und Waferproduktionskapazität auf 1 Gigawatt im Jahr 2021 verdoppelt hat. Wir sehen auch, dass sich die Industrie für Solarglas und Rückseitenfolien mobilisiert, um eine Reindustrialisierung der Solarbranche entlang der gesamten Wertschöpfungskette sicherzustellen.
Anerkennung und Honorieriung
Angesichts der bedeutenden Entwicklungen in der gesamten Wertschöpfungskette überrascht es nicht, dass die politischen Entscheidungsträger das Potenzial der europäischen Solarindustrie zunehmend anerkennen. In der überarbeiteten Industriestrategie der Europäischen Kommission, die im Mai veröffentlicht wurde, wird die Photovoltaik als eines der 14 wichtigsten industriellen Ökosysteme für die EU genannt und die bedeutende Rolle der “European Solar Initiative” hervorgehoben. In der zweiten Jahreshälfte 2021 wurde in dem von der EU-Kommission veröffentlichten Bericht „Fortschritte bei der Wettbewerbsfähigkeit sauberer Energietechnologien“ festgehalten, dass die Branche „mit unerwarteter Geschwindigkeit wächst“. Es wird zudem anerkannt, dass die EU in verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette, einschließlich Forschung und Entwicklung, Polysilizium-Produktion sowie Maschinen- und Anlagenbau für die Photovoltaik-Herstellung, weltweit führend ist.
Die Anerkennung auf politischer Ebene hat sich in verstärkter finanzieller Unterstützung für die europäische Industrie niedergeschlagen. Wir sahen 2021 mehrere bedeutende Ankündigungen. In Italien ist Enel Green Power eines der sieben Großprojekte, die im Rahmen des ersten EU-Innovationsfonds vergeben wurden. Mit den Mitteln wird die Erweiterung der bifazialen Heterojunction-Fabrik von Enel in Catania auf 3 Gigawatt finanziert. Die innovative Technologie ist ein perfektes Beispiel für den Mehrwert von Forschung und Entwicklung in Europa und bietet im Vergleich zu herkömmlichen Solarmodulen eine höhere Leistung.
Die nächsten Schritte
Ohne finanzielle Unterstützung, um das Risiko in die Investitionen in strategische Produktionskapazitäten zu verringern, wird die Branche Schwierigkeiten haben, ihr Potenzial zu maximieren und die Klimaziele des europäischen Kontinents zu erreichen. Die jüngste Erneuerung des “InvestEU”-Programms bietet eine ausgezeichnete Chance, die Europäische Investitionsbank EIB zum industriellen Investitionsinstrument der EU-Industriestrategie zu machen.
Neben der Finanzierung müssen wir auch dafür sorgen, dass unsere Hersteller im Vergleich zu ihren globalen Mitbewerbern nicht benachteiligt werden. Produzenten brauchen Zugang zu einem weltweit wettbewerbsfähigen Geschäftsumfeld, wie etwa wettbewerbsfähige Strompreise. Auch die Nachhaltigkeit von Photovoltaik-Produkten muss stärker gewürdigt werden, ohne die Wettbewerbsfähigkeit von Photovoltaik-Produkten zu gefährden. Gleichzeitig gilt es, einen gesunden Preiswettbewerb zu erhalten.
Mit diesen Voraussetzungen und einer geeinten europäischen Industrie können wir die Photovoltaik-Produktion in der EU auf die nächste Stufe heben. Mit Blick auf das nächste Jahr bietet sich mit der historischen Ankündigung einer Europäischen Solarstrategie durch die EU-Kommission eine weitere Chance. Wir werden mit unseren Mitgliedern und anderen Akteuren daran arbeiten, dass diese Mitteilung, die für das 2. Quartal 2022 geplant ist, das enorme Potenzial der europäischen Solarindustrie hebt und entlang der gesamten Wertschöpfungskette unterstützt.
— Die Autorin Walburga Hemetsberger ist CEO von Solarpower Europe. Sie ist für die Gesamtleitung des Verbandes verantwortlich. Zuvor leitete sie neun Jahre lang der EU-Vertretung von Verbund, war Beraterin für Finanz- und Kapitalmärkte beim Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands und beim Verband Öffentlicher Banken (VÖB / EAPB), Wettbewerbsanwältin bei Haarmann Hemmelrath, parlamentarische Assistentin eines österreichischen EU-Abgeordneten und arbeitete in der Task Force der GD Wettbewerb für Fusionskontrolle. Walburga Hemetsberger war auch Vorstandsmitglied von Hydrogen Europe. Sie hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre von der Leopold-Franzens Universität Innsbruck. —
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