Fraunhofer ISE: Klimaneutralität bis 2045 erreichbar – Vermiedene Umweltschäden senken Mehrkosten

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Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 hat die Bundesregierung in ihrem novellierten Klimaschutzgesetz vom Juni 2021 festgeschrieben und damit um fünf Jahre vorgezogen. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE hat die Verschärfung in seinen Szenarien zur Studie „Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem“ nun berücksichtigt und mit seinem Modell „REMod“ komplett neu berechnet. Die gute Nachricht vorweg: Die Reduktionsziele bis 2045 sind in allen Szenarien noch erreichbar, allerdings auf unterschiedlichen Wegen und zu stark differierenden Kosten, wie die Freiburger Wissenschaftler am Montag veröffentlichten.

In ihren Neuberechnungen hat das Fraunhofer ISE die Ziele berücksichtigt, die CO2-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent und bis 2040 um 88 Prozent zu senken. Aus technischer und systemischer Sicht sei die dafür erforderliche Umstellung des Energiesystems machbar, erfordere jedoch schnelle und gezielte Investitionen in zielkompatible Technologien, wie die Wissenschaftler schreiben. Der ohnehin erhebliche Aufwand werde deutlich erhöht, wenn konventionelle Technologien weiterbetrieben oder gesellschaftliche Verhaltensweisen die Transformation hemmen würden.

In dem sogenannten Szenario „Beharrung“ geht das Fraunhofer ISE von Widerständen gegen neue Technologien im privaten Bereich aus. Daher werden hier Annahmen von hohen Importmengen synthetischer Energieträger getroffen und diese im Zuge der Neuberechnungen auf 1000 Terawattstunden erhöht. Die höchsten Mehrkosten fallen im Szenario „Inakzeptanz“ an. In diesem gehen die Wissenschaftler von starken Widerständen, etwa gegen den Ausbau der Windkraft aus. Daher würden höhere Investitionen in Photovoltaik, Batterien oder Elektrolyseure notwendig. Dagegen sieht das Szenario „Suffizienz“ schnelle Verhaltensänderung weiter Teile der Gesellschaft vor, die zu einer merklichen Minderung des Energieverbrauchs führen. Zum Vergleich hat das Szenario „Referenz“ erstellt, was weder günstige noch ungünstige Bedingungen enthält.

Im Ergebnis reichen die jährlichen Netto-Mehraufwendungen bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands des Jahres 2020 im Vergleich zu einer Entwicklung ohne Reduzierung der Emissionen für Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen für die Transformation zur Klimaneutralität im Energiebereich von 1 Prozent (Suffizienz) über rund 2,5 Prozent (Referenz) bis zu rund 3,0 bis 3,5 Prozent (Beharrung und Inakzeptanz). Allerdings könnten diesen Mehrkosten die Einsparungen von rund 2000 Milliarden Euro für vermiedene Umweltschäden gegengerechnet werden. Damit würden sich die die Netto-Mehraufwendungen je nach Szenario auf 340 Milliarden Euro (Referenz) bis 1300 Milliarden Euro (Inakzeptanz) reduzieren. Im günstigsten Szenario wäre die Rechnung sogar positiv. „Im Fall von Suffizienz werden sogar Kosten bis zu 1000 Milliarden Euro eingespart, was den maßgeblichen Einfluss gesellschaftlicher Verhaltensweisen und Einstellungen auf die Aufwendungen für den Umbau unseres Energiesystems unterstreicht“, sagte Christoph Kost, Gruppenleiter Energiesysteme und Energiewirtschaft am Fraunhofer ISE.

Die Freiburger Wissenschaftler gehen auch von unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Dekarbonierung der Sektoren aus. Die Energiewirtschaft werde demnach die CO2-Emissionen deutlich schneller senken als andere Bereiche. „Die beschleunigte Umstellung der Stromerzeugung von fossilen auf erneuerbare Energien ist eine Voraussetzung für den Klimaschutzgesetz-konformen Umbau des Energiesystems. In allen Verbrauchssektoren steigt die direkte oder – durch synthetische Energieträger aus erneuerbarem Strom – indirekte Nutzung von Strom“, ergänzte Julian Brandes, Hauptautor der Studie.

Die installierte Kapazität für Windenergie und Photovoltaik müssten dafür bis 2045 auf 550 bis 770 Gigawatt steigen. Dies stellt eine Verfünf- bis Versiebenfachung der aktuell installierten Leistung dar. Der hohe Anteil an fluktuierenden Energiequellen bedürfe zugleich eines Paradigmenwechsels – von einer bedarfsgerechten Bereitstellung hin zu einer flexiblen Nutzung von Energie. Zudem müsste eine stärkere Kopplung der Sektoren Energiewirtschaft, Gebäude, Industrie und Verkehr erfolgen. Dafür sorgen könnten Power-to-X-Technologien, Batteriespeicher und flexible Kraftwerke sowie die stärkere Einbindung in das europäische Stromnetz für die nötige Flexibilität.

Den Bedarf an Elektrolyse-Leistung beziffert das Fraunhofer ISE mit 40 bis 160 Gigawatt bis 2045. Dabei geht es gleichzeitig durch die starke Elektrifizierung der Verbrauchssektoren und die Sektorenkopplung von einem Absinken das Primärenergieaufkommen aus – von heute 3300 Terawattstunden auf 1850 Terawattstunden im Szenario „Suffizienz“ oder zumindest bis auf 2450 Terawattstunden im Szenario „Beharrung“. Eine effiziente Energienutzung könnte die Kosten zusätzlich reduzieren. „Unsere Studienergebnisse unterstreichen den großen Einfluss gesellschaftlichen Verhaltens auf den Aufwand, mit dem eine treibhausgasneutrale Energieversorgung zu erreichen ist“, sagte Hans-Martin Henning, Institutsleiter des Fraunhofer ISE.

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