Wasserstoff gilt als Champagner unter den Energieträgern – als so teuer wie wertvoll. Daher sollte er nur dort verwendet werden, wo es nicht wirklich eine Alternative gibt. Der Wärmemarkt gehört nicht dazu, sind viele Experten überzeugt. Eine neue, im Auftrag des Verbandes der Gasnetzbetreiber FNB Gas erstellte Studie von Frontier Economics kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis: Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein für die Dekarbonisierung des Wärmemarktes.
Beim Vergleich von Wärmetechnologien sei FNB Gas zufolge zu berücksichtigen, dass der Wärmebedarf in Deutschland starken saisonalen Schwankungen unterliegt. Die Erzeugungs-, Speicher- und Netzinfrastruktur müsse nicht nur die erforderliche maximale Wärmeleistung im saisonalen Verlauf erbringen, sondern auch in Extremwintern.
Bei einer umfassenden Elektrifizierung des Wärmesektors würde es in solchen Fällen zu massiven Herausforderungen kommen, so die Studienautoren: Die historische Strom-Spitzenlast von 80 Gigawatt würde sich allein durch die zusätzliche Bedienung des Raumwärme- und Warmwasserbedarfs mehr als verdoppeln. Das würde auch deutlich Stromnetzausbau verlangen.
Es bestehe daher das Risiko, dass das Tempo beim Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten zu niedrig ist, um die perspektivische Versorgungslücke aufgrund des zunehmenden Bedarfs bei zeitgleich rückläufigen konventionellen Kraftwerkskapazitäten zu decken, heißt es in der Studie. Dies gelte sowohl im Bereich erneuerbare Energien als auch bei der erforderlichen Infrastruktur der Transport- und Verteilnetze, den Speichermöglichkeiten sowie den gesicherten Kraftwerkskapazitäten.
Wasserstoff dagegen, so die Studie, kann solche Spitzenlasten im Wärmebereich gut auffangen. Eine zukünftige Wasserstoffinfrastruktur kann als Energiespeicher und -transporteur dienen und den weiteren Stromnetzausbau sowie damit verbundene gesellschaftliche Akzeptanzprobleme deutlich reduzieren. Gleichzeitig, so die Autoren, entfiele mit der direkten Nutzung von Wasserstoff im Wärmemarkt die Notwendigkeit, die zusätzliche Strom-Spitzenlast durch gesicherte Erzeugungsleistung abzusichern.
Wie viel Wasserstoff und wofür?
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15 Gigawatt pro Jahr und ein bisschen Wasserstoff
Das gesellschaftliche Klima hat sich fundamental geändert. Das zeigen nicht zuletzt das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts und die Vorlage der neuen Klimaschutzziele der Bundesregierung. Doch wie viel Photovoltaik, Windkraft, Batteriespeicher und Wasserstofferzeugung müssen wir jetzt zubauen?
Artikel unter anderem mit Informationen zu dem Ausbaukorridor, den das Pariser Klimaschutzabkommen nahe legt, mit Kosten der Wasserstofferzeugung in verschiedenen Ländern und zur Diskussion unter unabhängigen Instituten und Denkfabriken, die überwiegend der Einschätzung sind, dass Wasserstoff nicht zum Heizen eingesetzt werden sollte.
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Die Wasserstoffnetze könnten zum überwiegenden Teil aus dem bestehenden Gasnetz heraus entwickelt werden, wodurch die Kosten im Vergleich zum Neubau von Infrastrukturen moderat blieben. Spätestens ab Mitte dieser Dekade, heißt es in der Studie, wird die Heizungsbranche nur noch Geräte auf den Markt bringen, die Wasserstoffanteile bis 100 Prozent vertragen oder zumindest umrüstbar sind.
Die Autoren argumentieren, dass der Einsatz von Wasserstoff im Wärmesektor auch sozialpolitische Vorteile hat. Selbst wenn ein rechtzeitiger Ausbau der erforderlichen Stromerzeugungs-, Stromtransport- und Stromverteilungskapazitäten gelänge, ließen sich durch den breiteren Einsatz von klimaneutralen Gasen wie Wasserstoff die Systemkosten der klimaneutralen Energieversorgung senken. „Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass durch die direkte Nutzung klimaneutraler Gase wie Wasserstoff in allen Verbrauchssektoren weniger Kraftwerke, Stromspeicher und Stromnetze benötigt werden als in allein beziehungsweise primär auf elektrischen Anwendungen basierenden Versorgungsszenarien“, heißt es in der Studie. Zudem fielen geringere Anschaffungskosten für neue Heizungssysteme beziehungsweise geringere Sanierungskosten insbesondere in den unsanierten Bestandsgebäuden an.
Gasbranche, Stadtwerkeverband und Wohnungswirtschaft begrüßen Studie
Die Initiative H2vorOrt – 37 Unternehmen sowie der Gas- und Wasserwirtschaftsverband DVGW und der Stadtwerkeverband VKU – begrüßt die Studie. „Die Studie arbeitet deutlich heraus, dass die Stromerzeugungs- und Transportinfrastruktur nicht auf eine umfassende Elektrifizierung des Wärmesektors ausgelegt ist“, sagt Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW. Die Politik müsse jetzt die ordnungspolitischen Weichenstellungen vornehmen, damit Wasserstoff sein volles Klimaschutzpotenzial entfalten könne und die CO2-Emissionen des Heizungssektors wirksam gesenkt würden.
„Die Studie zeigt das große, auch langfristige Potenzial der Gasverteilnetze“, erklärt Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des VKU. In einem bunten Strauß unterschiedlicher Dekarbonisierungsvarianten stellten sie eine sehr leistungs- und anpassungsfähige Infrastruktur dar, mit der sich Versorgungssicherheit und eine sozialverträgliche Wärmewende absichern ließen.
Ähnlich sieht das Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW: „Die Ergebnisse der Studie zeigen einmal mehr, dass zum Erreichen von Klimaneutralität im Gebäudebereich alle Technologien fossilfreier oder erneuerbarer Energien genutzt werden müssen.“ Auch die energetische Sanierung sei ein wichtiger Baustein, weil sie die Nutzung erneuerbarer Energien ermöglicht. „Angesichts der Zeitknappheit und der bestehenden personellen und materiellen Engpässe im Baugewerbe werden die benötigten Sanierungsraten aber wohl kaum erreicht werden. Deshalb ist gerade für teilsanierte oder noch nicht sanierte Wohngebäude der Einsatz von Wasserstoff ein wichtiger Schritt zur Befreiung der der Wärmeversorgung von CO2“, so Gedaschko.
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Einerseits wird in dieser Studie von CO2 neutralen Gas gesprochen, andererseits aber auch, dass die Erzeugungsleistung für grünen Strom gar nicht hinterher kommt. Wenn das Ganze dann auf andersfarbigen Wasserstoff hinausläuft, dann macht das wenig Sinn. Ich habe noch von keiner Studie gehört, wo in Deutschland die Erzeugung von Strom und Wind gleichzeitig am effektivsten ist, um die Stundenzeiten pro Jahr für die Wasserstofferzeugung so hoch wie möglich zu halten. Wenn wir schon die Energiewende angehen, dann sollte diese Energie auch zumindest in Europa und überwiegend bei uns erzeugt werden um nicht wieder in Abhängigkeiten von Drittländern zu kommen. Diese 60 Milliarden € im Jahr, welche wir jährlich ins Ausland überweisen, können wir dann für die eigene Infrastruktur nutzen. Wir bauen leider auf über 2 Millionen Hektar Energiepflanzen an, aber der Energieertrag von Solaranlagen auf diesen Flächen liefert das zig fache an Strom. Bist eine vernünftige Infrastruktur für Strom und Wasserstoff in Deutschland existiert, solange haben wir nur die Chance Energie dezentral zu erzeugen. Windräder im Norden von Gemeinden mit einem Kilometer Abstand müssen dann auch in Bayern und Baden-Württemberg eine Selbstverständlichkeit werden. Die Themen Fledermäuse, Greifvögel, Flächenverbrauch und Verschandelung der Landschaft können wir uns nicht mehr leisten, sonst verschwinden diese Tierarten ohne unser Zutun von selber.
Ja, ja, … die Gas-Lobby mal wieder … !
Ein GuD macht aus einem kWh H2 0,6kWh Strom, eine WP mit AZ 3-4 könnte die 0,6 kWh Strom in 1,8 bis 2,4kWh Wärme umwandeln. Warum würde ich H2 dann direkt in einen Gasbrenner verfeuern wobei nur 0,9kWh Wärme freigesetzt wird? So bräuchte man weniger als die Hälfte der Menge H2.
Leider krankt auch diese Studie, glaubt man dem Artikeltext, daran, dass sie viel qualitativ rumschwafelt, den quantitativen Beweis ihrer Thesen aber schuldig bleibt.
So bleibt es jedenfalls hier weiter offen, wie Strommarkt, Wärmemarkt, schwankender saisonaler Bedarf und Angebot unter einen Hut gebracht werden können, und das noch preiswert.
Mir scheint immer noch das Modell KWK das erfolgversprechende, weil darin der Wert des Wasserstoff am besten erhalten wird, und trotzdem nur ein Gerät gebraucht wird: Die Turbine, deren Abwärme in ein Wärmenetz eingespeist wird. Ottos Modell braucht zwei Geräte: Turbine und Wärmepumpe. Das zweite Gerät könnte die Angelegenheit so verteuern, dass es nicht mehr sozial ist. Das teure an einer Wärmepumpe ist die Wärmequelle: Erdsonde, Kollektorfeld, Grundwasser oder Umgebungsluft.
Der weitere Vorteil der KWK ist die zeitliche Korrelation von Strom- und Wärmebedarf: In der kalten Jahreszeit, wenn der Wärmebedarf hoch ist, ist gleichzeitig das PV-Angebot niedrig und schon von daher ein regelmäßiger Stromerzeuger willkommen, der der PV andererseits im Sommer keine Konkurrenz macht. Natürlich wird es auch Wasserstoff-Direkt-Heizer geben, so wie es Stromdirektheizer geben wird. Aber die Regel sollte das eine wie das andere nicht werden, wegen der Wirkungsgradverluste. Sie können nur Randerscheinungen bleiben, wo sich Wärmenetz (KWK) oder Erschließung einer Wärmequelle (WP) überhaupt nicht lohnen. Die letzteren wird es natürlich auch geben, u.a., weil sie als Stromangebots gesteuerte Verbraucher zur Stabilisierung des Netzes beitragen können. Aber auch da gibt es ein Optimum, das die Obergrenze bei spätestens (schätze ich) 30% des Wärmemarktes haben wird.