Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2021 musste die Bundesregierung das deutsche Klimaschutzgesetz nachschärfen. Laut überarbeitetem Gesetz muss Deutschland bereits im Jahr 2045 klimaneutral und bis 2050 treibhausgasnegativ sein. Diese höheren Klimaambitionen bedeuten auch eine frühere Nutzung von erheblichen Mengen an negativen Emissionen. Welche Änderungen gab es in der Klimagesetzgebung und was sagen die jüngsten Szenarien zu Carbon Removal für Deutschland?
Wie in unserem letzten Artikel über die globale Dimension und Notwendigkeit negativer Emissionen versprochen, wollen wir dieses Mal einen genaueren Blick auf Deutschland werfen. Das Industrieland ist bei der Dekarbonisierung seines Energiesystems sowohl bezüglich Geschwindigkeit als auch Umfang weltweit mit führend. Erneuerbare Energien machen bereits 45 bis 50 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus. Im Jahr 2030 soll der Anteil 65 Prozent erreichen.
Aktualisiertes Klimaziel fordert Klimaneutralität bis 2045
Das deutsche Klimaschutzgesetz wurde im Juni 2021 aktualisiert, nachdem das Bundesverfassungsgericht Änderungen und ambitioniertere Maßnahmen gefordert hatte. Infolgedessen verschärfte die damalige Regierung die bisherigen Klimaziele hin zur Klima- oder Treibhausgasneutralität bis 2045. Ab 2050 soll Deutschland sogar treibhausgasnegativ sein. Abbildung 1 zeigt die historischen Emissionen, die im neuen Gesetz festgelegten Ziele und die möglichen netto-negativen Emissionen im Jahr 2050 gemäß der Studie Klimaneutrales Deutschland 2045 (Datenquellen: BMU, UBA, Agora Energiewende).
Für das Jahr 2021 rechnet Agora Energiewende mit dem stärksten jährlichen Anstieg der Emissionen seit 1990, mit einem Plus von knapp 50 Mt (Quelle: Agora Energiewende). Damit könnten die Emissionen in diesem Jahr wieder auf dem Niveau von 2019 vor Corona liegen. Die Emissionsreduktion um 40 Prozent gegenüber 1990, welche in 2020 knapp erreicht wurde, wäre damit wieder obsolet.
Sind negative Emissionen Teil der deutschen Klimastrategie?
Noch vor einigen Jahren waren negative Emissionen oder CCS nicht Teil der Diskussion um die Klima- und Emissionsminderungsstrategien in Deutschland, zumindest nicht im politischen und auch nur bedingt im wissenschaftlichen Kontext. Diese Sichtweise hat sich jedoch verändert:
- Es wird immer deutlicher, dass in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren (wie Industrie und Landwirtschaft) auch nach starker Emissionsminderung nicht vermeidbare Restemissionen bestehen bleiben werden.
- In Sektoren außerhalb des Stromsektors verläuft die Dekarbonisierung schleppend. Insbesondere die Sektoren Gebäude und Verkehr hinken hinterher. Sie könnten nach heutigem Stand nicht einmal die nötigen Emissionseinsparungen erbringen, um die alten und weniger ambitionierten Klimaziele zu erreichen.
- Die Klimaschutzbestrebungen sind gewachsen, da die Auswirkungen eines sich erwärmenden Planeten bereits deutlich sichtbar sind und auch von Seiten der Zivilgesellschaft stärkeres Handel gefordert wird. Auf EU-Ebene wurde das neue Ziel einer 55-prozentigen Emissionsreduzierung bis 2030 im Vergleich zu 1990 vereinbart, und Deutschland zog mit seinem neuen Klimagesetz nach.
Aus insbesondere diesen Gründen nehmen negative Emissionen in den jüngsten Szenarien und Studien zur Erreichung der deutschen Klimaziele wieder mehr Raum ein. Im Klimaschutzgesetz werden negativen Emissionen jedoch nur implizit im Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) erwähnt. Konkrete Ausbauziele für Technologien zur Generierung negativer Emissionen fehlen weiterhin.
Wie viele negative Emissionen braucht Deutschland?
In dieser Analyse präsentieren wir die Ergebnisse und Implikationen von drei detaillierten Veröffentlichungen der vergangenen drei Monate: die Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045″ von Agora Energiewende, die „Langfristszenarien für die Transformation des Energiesystems in Deutschland“ des Fraunhofer ISI im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums und das Arbeitspapier „Wissensstand zu CO2-Entnahmen“ des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).
In Abbildung 2 ist der prognostizierte Bedarf an negativen Emissionen gemäß der drei genannten Veröffentlichungen in Deutschland dargestellt. Alle Studien stimmen darin überein, dass in Deutschland bis 2050 negative Emissionen in der Größenordnung von mehreren zehn bis hundert Millionen Tonnen (Mt) CO2äq benötigt werden, um die nationalen Klimaziele zu erreichen.
Im Jahr 2020 emittierte Deutschland nach bisherigen Schätzungen etwa 740 Mt an Treibhausgasen. Wie Abbildung 2 zeigt, liegen die notwendigen negativen Emissionen zum Zeitpunkt der angestrebten Klimaneutralität in 2045 bei 67 bis 100 Mt CO2äq, also zwischen 9 und 13 Prozent der Emissionen in 2020. Die Skalierung von natur-basierten und technologischen Lösungen und Technologien ist bereits ab heute und in diesem Jahrzehnt erforderlich. Momentan ist der Einsatz von Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre vergleichsweise teuer. Zur Senkung dieser Kosten bedarf es massiver Investitionen in die technische und organisatorische Infrastruktur, und umfassender politischer und ökonomischer Förderung.
Das neue deutsche Klimaschutzgesetz berücksichtigt negative Emissionen bereits zu einem gewissen Grad. Es zielt auf einen Beitrag des LULUCF Sektors von 25, 35 und 40 Mt in den Jahren 2030, 2040 bzw. 2045. Allerdings leidet Carbon Removal in der Landnutzung und der Forstwirtschaft unter teilweise geringer Dauerhaftigkeit der Entnahme aus der Atmosphäre, schwieriger Bilanzierung und möglicher Reversibilität durch falsch ausgerichtete Managementpraktiken oder natürliche Ereignisse wie Waldbrände.
Alle drei Studien legen dar, dass zusätzlich zu den negativen Emissionen aus dem LULUCF Sektor als Teil der natur-basierten Carbon Removal-Lösungen voraussichtlich auch technologische Lösungen für negative Emissionen benötigt werden. In einem kommenden Artikel werden wir tiefer in die vorgeschlagenen Arten von Negativemissionstechnologien (NETs) zur Erreichung der deutschen Klimaziele eintauchen und das Potenzial einiger dieser Lösungen aufzeigen.
— Der Autor Simon Göß ist Ingenieur für erneuerbare Energiensysteme. Er ist Experte und Trainer zu Themen rund um die Energiewende und Energiemärkte, -handel und -politik. Derzeit baut er als Co-Founder von cr.hub eine Platform für die Skalierung von Carbon Removal und Negativemissionstechnologen auf. Mehr dazu unter https://cr-hub.org/ —
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Es wird alleine hunderte Milliarden Euro kosten in den nächsten 20 Jahren keine fossilen Stoffe mehr zu verheizen. Die Grossviehhaltung in Deutschland wird in 20 Jahren sicherlich um zwei Drittel abnehmen. Es kann nicht sein das deutsches Fleisch nach China und vor allem nordeuropäischen Länder gekarrt und als Billigfleisch angeboten wird. Dadurch wurden schon sehr viele Immissionen wegfallen. Solaranlagen mit Blühstreifen statt Mais. Das wird sich die nächsten Jahre durchsetzen, denn mit der Sonne und Photovoltaik lässt sich ein mehrfaches an Energie produzieren und unsere Böden und das Grundwasser werden nicht weiter vergiftet. Wenn Deutschland einen gangbaren Weg, welcher sich auch wirtschaftlich rechnet, aufzeigen kann,dann werden auch andere Länder schnell folgen. CO2 der Luft zu entziehen steckt noch in den Kinderschuhen und ist momentan nicht finanzierbar. Wir brauchen weltweite und europäische Allianzen um die Folgen des Klimawandels nicht noch größer werden zu lassen. Warum gibt es keine europäische Feuerwehr für Waldbrände? Die Kosten für Löschflugzeuge sind extrem hoch und könnten in der Gemeinschaft sicherlich halbiert und viel effektiver eingesetzt werden. So werden wertvolle Wälder niedergebrannt und verschärfen den CO2- Druck nur noch. Wenn eine Partei wie die FDP dann die nächsten Jahre eine schwarze Null schreiben will, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Lieber jetzt zweihundert Milliarden im Jahr für Klimaschutzprojekte ausgeben, als in 10 Jahren ein mehrfaches für Klimakatastrophen. Diese Kredite würden sich Jahr für Jahr durch Negativzinsen und Inflation auch noch reduzieren.
Wir müssen und vom Netto-Null-Emissions Märchen verabschieden. Wie viel die Natur 2050 absorbiert oder emittiert ist nach IPCC ja weitgehend unbekannt.
Weltweit sollte die Menschheit auf -50 Gt CO2 Emission pro Jahr etwa 2070 kommen.
Weltweit, aber Deutschland hat als weit nördlich gelegener dicht bevölkerter Industriestaat andere Voraussetzungen.
Hier gilt Echte-Null-Emission, zum größten Teil aus im Inland erzeugter erneuerbarer Energie und geringfügigen Importen von Power to X wie Methan.
@Roland Mösl
Zitat: „Wir müssen und vom Netto-Null-Emissions Märchen verabschieden. Wie viel die Natur 2050 absorbiert oder emittiert ist nach IPCC ja weitgehend unbekannt.“
Bekannt hingegen ist, wieviel CO2 sich in der Atmposphäre akkumuliert (siehe hier und in vielen weitern Quellen):
https://nachhaltig-in-graz.at/april-2021-co2-konzentration-420-ppm/
Warum sollten wir uns also vom Netto-Null-Emissions-Ziel generell, bzw. weltweit verabschieden? Die Folgen der Emissionen sind bekannt und aktuell erfahrbarer als je zuvor.
Sie schreiben ja auch selbst, dass in D echte Null-Emissionen umgesetzt werden sollten.
Da passt es meiner Meinung nach aber nicht, im Nachsatz von Power to x, insbesondere Methan zu schreiben. Grüner Strom zu H2 ist dabei die einzig klimawirksame, stoffliche Speicher-Maßnahme und auch nur dann, wenn der H2 anschliessend sinnvoll eingesetzt wird. Denn zur Herstellung muss schon ein Vielfaches an erneuerbarem Strom aufgewendet werden. Insbesondere die Wandlungsverluste zurück zum Strom sollten dabei möglichst vermieden werden. Da wären weitere Wandlungsverluste zu Methan, das dann auch noch etwa 25 mal Klimaschädlicher als CO2 ist, meiner Meinung nach kontraproduktiv.
Anlagen für Negativemissionen werden zwar in geringen Umfang unvermeidbar sein. Als Lösung gegenüber der Umstellung der Technologie können sie aber zumindest derzeit nicht angesehen werden – wegen des enormen Platzverbrauches und den von der Öffentlichkeit zu finanzierenden Kosten. Zwar hat auch das IPCC hat in den mittleren Szenarien Negativemissionen eingerechnet, aber das erfolgte ohne tatsächlich verfügbarer Technik.
Ausserdem müsste ein umweltschädlicher Verbrauch auf Dauer über Steuern finanziert werden: Das ist ein falscher Weg.
Herr Wegenstein,
die Lösungen für Negativemissionen sind natürlich nur zusätzlich zu der Umstellung auf Erneuerbare und dem Ausstieg aus Fossilen eine Lösung.
Jedoch gibt es nach den letzten Erkenntnisse des IPCC kein Entweder-Oder mehr. Sondern sowohl muss die Emissionsminderung und -reduzierung stark beschleunigt werden, als auch Lösungen zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre als notwendige weitere Lösungen skaliert werden.
Da im Bereich Carbon Removal natur-basierte Lösungen (mit potenziell positiven Nebeneffekten auf Biodiversität, Wasserhaushalt, etc) als auch technische Lösungen existieren, müssen unterschiedliche Fördersysteme ingesetzt werden. Eine Integration von Senken in die CO2-Bepreisung, wie Herr Rothe schreibt, könnte EU-weit ein erster Schritt sein.
Auf EU-Ebene werden derzeit Standards für natur-basierte Negativemissionslösungen ausgearbeitet. Diese sollen 2023 veröffentlicht werden.
@sirrocool Zitat: Warum sollten wir uns also vom Netto-Null-Emissions-Ziel generell, bzw. weltweit verabschieden? “
Das ist falsch verstanden oder falsch gegengefragt. Denn Roland Mösl schreibt, wir müssen uns vom Netto-Null-Emissions-Ziel verabschieden und auf -50 (wiederhole Minus) Gt CO2 Emission pro Jahr etwa 2070 kommen. Woran Herr Mösl an dem Wie seit Jahren mit seiner PEGE arbeitet.
Und dann die Schnappatmung bei Methan. Power to X im Mösl-Nachsatz ist nachhaltig wenn statt Abschaltung Power to X genutzt wird. Sorry für die Redundanz. Wenn dann mein alter Erdgas-VW oder die Kerosin getriebenen Flugzeuge mit nachhaltigem Methan versorgt werden, ist das nachhaltig nachhaltig. Oder die blöden Berliner schütten ihr riesiges Erdgasreservelager am Teufelsberg so wie jetzt doch nicht zu, sondern nutzen es für Power to X-Methan und bauen das Spitzenlast-Heizkraftwerk Wilmersdorf mit drei Blöcken Gasturbinen von je 110 Megawatt Leistung so wie jetzt doch nicht ab. Methan ist bei allen zugegebenen Verlusten einfacher zu handeln als H2 und eine Option bei „kostenloser“ weil Wegwerfprodukt Sonnenenergiezufuhr.
@huscholz
Das Minuszeichen habe ich in der Tat glatt übersehen!
Danke für den Hinweis.
Dennoch bin ich mit folgendem nicht gänzlich D’accord:
Zitat: „Methan ist bei allen zugegebenen Verlusten einfacher zu handeln als H2 und eine Option bei „kostenloser“ weil Wegwerfprodukt Sonnenenergiezufuhr“
Methan ist unbestreitbar einfacher zu handhaben, als Wasserstoff.
Solange aber noch kein nennenswerten Überschüsse aus Solar- und Windenergie vorliegen, und das wird in absehbarer Zeit vermutlich leider eher nicht der Fall sein, ist es einfach nicht sinnvoll, den Wasserstoff mit weiteren Wandlungsverlusten zu Methan umzusetzen.
Erstens, weil der Überschuss nicht vorhanden ist! Selbst wenn ausreichend EE vorhanden wären, die diese Überschüsse erzeugen, sollte der Wasserstoff unbedingt in die stoffliche Verwendung, z.B. chemische Industrie (Ammonik, Methanol), Stahl- und Zementwerke, fliessen. Denn hier kann man den Wasserstoff am wirkungsvollsten zur Treibhausgasemisiion einsetzen.
Der Bedarf an Wasserstoff für D wird bis 2050 auf ca. 250-800TWh/a abgeschätzt (Statista.com, Fraunhofer ISE). Das nur für Ammonik, Methanol und Raffinerien (deren Bedarf als sinkend angenommen wird).
Wieviel EE müssten zugebaut werden, um soviele Überschüsse zu erzeugen?
Zweitens die Wirtschaftlichkeit.
Damit Elektrolyseure einigermassen kosteneffizient arbeiten können, müssen diese aus EE Strom mit Herstellkosten möglichst unter 3ct/kWh UND mindestens für Volllaststunden laufen 4000h/a (laut ISE Fraunhofer). Benötigt würden dafür nach obigen Quellen 50-80GW Elektrolysekapazität.
Diese wollen Sie also alle mit Überschüssen aus den EE betreiben und dann noch genügend Überschüsse erzeugen, damit aus dem Wasserstoff dann noch Methan synthetisiert wird. Mit wievielen WKA und PV Flächen wollen sie das realisieren?
Die Treibhauswirksamkeit der Methanleckagen, die auch heute bereits auftreten, ist dabei noch gar nicht betrachtet.
Nun, ein Anschub könnte eine Ergänzung der CO2 Bepreisung durch eine Suventionierung in gleiche Höhe für CO2 Senken bewirken!
Anmerken möchte ich, dass das deutsche Klimagesetz nicht 1,5° Paris konform ist. Danach lag das CO2-Budget für Deutschland ab dem 1.1.2018 bei bei 6380 Mt. Nach Daten vom Umweltbundesamt und Agora für 2021 haben wir in den Jahren 2018 bis 2021 davon schon etwa die Hälfte rausgeblasen. Mit den Daten der Abbildung 1 des Artikels kann man mit einer kleinen Tabelle leicht nachweisen, das Deutschlands Budget dann etwa im letzten Drittel 2025 auf Null ist.
Wer es nachprüfen möchte:
https://ew.haypeter.com/index.php/s/CRWneptysQmxJB6