Meilenstein, Leuchtturm- und Vorzeigeprojekt – bei der Eröffnung des Klimaquartiers Neue Weststadt Esslingen am Dienstagabend sparten die Redner nicht an lobenden Worten und Superlativen. Die 90.000 Einwohner zählende Stadt am Rande von Stuttgart hat auf etwa 100.000 Quadratmetern eines alten Güterbahnhofs am Neckar 2011 mit einem städtebaulichen Wettbewerb das Stadtentwicklungsprojekt begonnen und nun einen ersten großen Zwischenschritt beendet. Der erste Bauabschnitt des Quartiers mit über 450 Wohnungen und zusätzlichen Gewerbeflächen ist weitgehend abgeschlossen. Das Herzstück, die Energiezentrale des Quartiers ist fertiggestellt und wurde nun coronabedingt mit wenigen ausgewählten Teilnehmern vor Ort offiziell eingeweiht. 2022 folgt dann noch ein Neubau für eine Hochschule am Standort.
Ziel ist, dass die Bewohner künftig nur noch eine Tonne CO2 pro Person und Jahr an gebäudebedingten CO2-Emissionen verursachen, also für Heizen, Kühlen, Beleuchtung, Trinkwarmwasser, Nutzerstrom und sogar die individuelle Elektromobilität. Um das zu erreichen, sind die fünf Wohnblöcke mit Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach ausgestattet, die Mieterstrom liefern und auch die Ladeinfrastruktur versorgen. Überschüssiger Solarstrom wird darüber hinaus gemeinsam mit Grünstrom aus dem Netz einen Elektrolyseur antreiben, der ein Megawatt elektrische Leistung hat und bis zu 400 Kilogramm Wasserstoff pro Tag produzieren kann. Die Wärme, die der Elektrolyseur erzeugt, kommt der Heizung des Quartiers zugute, so dass der Wärmebedarf des Quartiers etwa zu 50 Prozent aus Abwärme gedeckt wird.
Diese Einbindung einer Wasserstoffproduktion in ein Wohnquartier, sei dabei bislang einzigartig. Der grüne Wasserstoff wird derzeit ins Gasnetz eingespeist, soll aber perspektivisch Industriebetriebe in der Umgebung über Wasserstoffleitungen versorgen. Ursprünglich war auch eine Rückverstromung über ein Blockheizkraftwerk und eine Wasserstofftankstelle geplant, die aber aus Kostengründen und wegen der zu erwartenden Verkehrsbelastung nicht umgesetzt wurden. Die weitere Wärmeversorgung übernimmt ein bivalentes BHKW, das nach Angaben des Planers, Norbert Fisch, Professor für Energie- und Gebäudetechnik und Geschäftsführer der EGS-plan Ingenieurgesellschaft, mit Bio-Methan betrieben wird.
Norbert Fisch und der Oberbürgermeister der Stadt Esslingen, Jürgen Zieger, waren die Gastgeber der Veranstaltung vor Ort und berichteten rückblickend von den Höhen und Tiefen des Projektes. So sei das engagierte Auftreten des Oberbürgermeisters bei einer Projektvorstellung in Berlin ausschlaggebend gewesen, um die nötigen Fördermittel in Höhe von 12 Millionen Euro zu akquirieren. Dann sei aber die Abstimmung der beiden fördernden Ministerien, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesforschungsministerium, sehr langwierig gewesen, so dass die projektbeteiligten Unternehmen im Vertrauen auf die Förderzusage bereits mit dem Bau beginnen mussten.
Dann war noch ein wichtiger Erfahrungsträger für den Bau und Betrieb von Elektrolyseanlagen, Greenpeace Hamburg, aus dem Projekt ausgestiegen und durch einen neuen Partner, die Green Hydrogen Esslingen*, ersetzt worden, an der sich der Energieversorger Polarstern beteiligte. Ziegler fasste es so zusammen: „Stadtumbau ist ein Marathon“, selbst wenn derartige Projekte politisch auf viel Zustimmung stießen, sei ein langfristiges und strategisches Vorgehen unabdingbar und man dürfe die Mühen der Ebene nicht scheuen.
Einig waren sich die Verantwortlichen darin, dass die Kommunen, die wichtigste Rolle bei der Umsetzung der Klimaziele des Bundes hätten. Nur die Kommunen hätten die Möglichkeit, die verschiedenen Akteure, wie private Investoren, kommunale Betriebe und die strategische Planung zusammenzuführen, sagte Andreas Feicht, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Tatsächlich verfolge Esslingen auch weiter ambitionierte Ziele, sagte Jürgen Zieger. So sei vorgesehen, den gesamten öffentlichen Nahverkehr auf Elektrobetrieb umzustellen und ein zweites, anschließendes Quartier auf der Fläche eines alten Schlachthofs und der Stadtwerke soll als Klimaquartier entwickelt werden. Dabei sei die enge Verknüpfung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit das Ziel, um eine hohe urbane Dichte und Attraktivität zu erzeugen, praktisch eine „Stadt der kurzen Wege“. Parallel mit Esslingen waren fünf weitere „Klimaquartiere“ initiiert worden, die in den nächsten zwei bis drei Jahren fertiggestellt werden sollen. Zusätzlich seien bereits neue Projekte in Planung, die ebenfalls Wohnen und Elektrolyse verknüpfen und dabei eine deutlich größere Leistung haben sollen.
*In einer früheren Version haben wir geschrieben, dass Polarstern Greenpeace im Projekt ersetzt hat.
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Im Ernst? Mit kostbarem Grünstrom aus dem Netz wird Wasserstoff erzeugt und ins Gasnetz eingespeist? Und für diese Energievernichtungsmaschine mit Wärmerückgewinnung gibt es 12 Mio Förderung. Die haben also in Esslingen das Kunststück geschafft, eine Elektrodirektheizung mit nur 30 oder 40% Wirkungsgrad zu bauen und das als Zukunftsprojekt feiern zu lassen. Mit Wärmepumpen hätten sie den zehnfachen (!) Wirkungsgrad gehabt. Aber wen interessieren schon Emissionen und Effizienz, wenn sich so viele Millionen Fördermittel abgreifen lassen. Hauptsache, es steht Wasserstoff drauf.
Warum nicht Grünstrom aus dem Netz?
Der Preis geht senkrecht nach unten, wenn keine Nachfrage aus Innland und Ausland vorhanden ist.
In einem älteren Artikel zu diesem Projekt wurde beschrieben, dass 6 Cent Preisdifferenz benötigt werden.
D.h. das sind Zeiten, zu denen der Wirkungsgrad aus Umwelt- und Betriebssicht keine Rolex mehr spielt.
Wenn alles richtig gemacht wurde, sollte dies für das EEG Konto neutral sein. Das Geld bekommt jetzt nicht die EEG Anlage für Nichteinspeisung, sondern für Einspeisung und an den Staat geht evtl. noch die Stomsteuer.
So ist es. Und dann wird wieder bejammert, wie teuer/unfinanzierbar die Energiewende doch sei.
Wie kommen Sie auf die unsinnige Behauptung eines Wirkungsgrads von 30-40%. Beo Nutzung der Abwärmeenergie sollten wir von 85-90% ausgehen. Ganz schlecht finde ich, dass dieser Wasserstoff nicht in Brennstoffzellenheizungen landet, mit denen dann Strom und Warmwasser produziert wird. Mit dem dann immer noch grünen Strom könnte man dan widerum alles mögliche machen, z.B. Wärmepumpen antreiben. Es ist für mich unverständlich, warum eine derartige Zukunftschance nicht ergreift.
Bitte etwas mehr Rücksicht erforderlich!
Die Entscheider für solch ein Projekt und erst recht diejenigen, die die eigentliche Förderung genehmigen, haben von Haus aus keinerlei Ahnung; sie sind nur als politische Entscheidungsträger unterwegs.
@Frank, ich stimme Ihnen zu: Einspeisung von teuer Produziertem H2O in ein freies Gasnetz, eine frefelhafte Sauerei, die allerdings den techn. verantwortlichen Planern und Berater anzulasten wäre.
Keine Ahnung, wie solch ein Unfug abgestellt werden könnte.
Eventuell sollte in entsprechenden Gremien eine Lösung Einzug finden, ähnlich der Befangenheitserklärung.
Wenn Jemand nicht ausreichend durchblickt, sollte er sich der Stimmung enthalten oder für befangen erklären.