Erst Ende April hatte das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung auferlegt, ihre Klimapolitik erheblich nachzuschärfen, da im Klimaschutzgesetz „hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031“ fehlen. Schon Anfang Mai lag eine Novelle des Gesetzes vor, die das Bundeskabinett am heutigen Mittwoch verabschiedet hat. Darin wird unter anderem ein verbindlicher Pfad zur Klimaneutralität beschrieben, die statt 2050 bereits im Jahr 2045 erreicht werden soll. Das Zwischenziel für 2030 wird von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 erhöht, und für 2040 gilt ein neues Zwischenziel von 88 Prozent Minderung. Das System der zulässigen Emissionsmengen für die einzelnen Sektoren wird für die 2020er Jahre fortgeschrieben und verschärft; den Löwenanteil der zusätzlichen Minderung bis 2030 sollen die Energiewirtschaft und die Industrie übernehmen.
Zusätzlich zum Beschluss des neuen Klimaschutzgesetzes kündigte die Bundesregierung ein Sofortprogramm an, das die Umsetzung der neuen Klimaschutzziele für die verschiedenen Sektoren unterstützen soll – mit einer zusätzlichen Förderung von bis zu acht Milliarden Euro sowie mit zusätzlichen Vorgaben. Unter anderem sollen die Energiestandards für Neubauten gestärkt werden, und die Kosten des CO2-Preises sollen sich Mieter und Vermieter künftig teilen, da Vermieter über energetische Sanierungen und die Art der Heizung entscheiden.
„Mit diesem Gesetz schaffen wir mehr Generationengerechtigkeit, mehr Planungssicherheit und einen entschlossenen Klimaschutz, der die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern umbaut und modernisiert“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Das Klimaschutzgesetz setze den Rahmen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Dabei gehe es nicht um Mathematik, sondern „um die Art, wie wir künftig leben, produzieren, heizen und uns fortbewegen wollen. Das betrifft viele Politikbereiche.“ Daher müssten künftig alle Ministerien mehr denn je Klimaschutzministerien sein.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte an, dass das neue Klimaschutzgesetz noch vor der Sommerpause den Bundestag passieren soll. Das Gesetz sei ein Meilenstein und bedeute Planungssicherheit für die deutsche Wirtschaft, zudem sei es mit Blick auf den Klimaschutz auch ein deutliches Signal an die Partner in der EU. „Wir haben den Klimaturbo eingelegt“, so Altmaier. Dazu gehöre auch das Sofortprogramm über acht Milliarden Euro, das in den kommenden beiden Jahren die Umsetzung notwendiger Maßnahmen unterstützen soll. Als Beispiele nannte Altmaier den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und die Dekarbonisierung des Gebäudesektors. Und: „Wir werden die EEG-Umlage abschaffen“, sagte Altmaier erneut. Das müsse jetzt gesetzlich geregelt und verankert werden. Altmaier hält es demnach „für wahrscheinlich“, dass das Ziel, 65 Prozent des nationalen Bruttostromverbrauchs im Jahr 2030 aus erneuerbaren Quellen zu decken, angehoben werden müsse.
Reaktionen
Der Bundesverband Solarwirtschaft vermisst bei dem neuen Klimaschutzgesetz und den angestrebten Begleitmaßnahmen der Bundesregierung insbesondere die konkrete Heraufsetzung der Ausbaupfade für erneuerbare Energien im EEG. „Endlich höhere Klimaschutz-Ziele, noch immer aber keine Signale für mehr Solaranlagen über 2022 hinaus“, so Geschäftsführer Carsten Körnig. Er fordert: „Energiewende beschleunigen, Marktbremsen für Solartechnik lösen und CO2-Mindestpreise noch in dieser Legislaturperiode heraufsetzen – andernfalls bleibt das Klimaschutzgesetz ein Papiertiger.“
„Was schon seit langem völlig fehlt, ist die Übersetzung der Ziele in konkrete Instrumente, die das Erreichen ambitionierter Vorgaben auch wirklich ermöglichen“, kritisierte BDEW-Chefin Kerstin Andrae. Zu den ungelösten Problemen gehört auch, wie in den kommenden Jahren Kohlekapazitäten durch regelbare CO2-arme Erzeugungskapazitäten auf der Basis zunächst von Gas und künftig von Wasserstoff ersetzt werden könnten. „Es darf nicht passieren, dass zur Abschaltung vorgesehene Kohlekraftwerke nicht endgültig vom Netz gehen können, weil der Zubau von erneuerbaren Energien und ausreichender CO2-armer gesicherter Erzeugung scheitert“, so Andrae. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bemängelte, dass konkrete Ausbaupfade für erneuerbare Energien und die lange angekündigte EEG-Novelle fehlen.
„Was sich mit dem Koalitionspartner noch vor der Wahl verwirklichen lässt, wollen wir auch vor der Wahl machen“, sagte die Beauftragte für Klimaschutz der CDU/CSU-Fraktion, Anja Weisgerber, mit Blick auf das Sofortproramm. „Die GroKo muss endlich aufhören, ständig neue Verschärfungen für einzelne Sektoren vorzugeben, sondern Lösungsansätze anbieten, wie wir das Klima ganzheitlich schützen können. Es ist nämlich egal, wo CO2-Emissionen eingespart werden“, so Martin Neumann, Sprecher für Energiepolitik der FDP-Bundestagsfraktion. Leider verliere sich die Bundesregierung bei der Novellierung des Klimaschutzgesetzes im Klein-Klein und lasse Wirtschaft und Gesellschaft außen vor.
BEE-Präsidentin Simone Peter zufolge muss vor allem das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien als zentraler Klimaschutzmaßnahme vervielfacht werden, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Energiesektor besonders viel zur Erfüllung des novellierten Klimaschutzgesetzes beizutragen habe. „Um das Ziel von 65 Prozent Treibhausgas-Minderung bis 2030 zu erreichen, müssen fossile Energieträger den Erneuerbaren in allen Sektoren schneller als geplant weichen und faire Marktbedingungen für die Erneuerbaren geschaffen werden, sonst bleibt das Klimaschutzgesetz nur eine leere Hülle“, so Peter. Unter Berücksichtigung des steigenden Bruttostromverbrauchs durch E-Mobilität, Wärmepumpen und grünen Wasserstoff im Rahmen der Sektorenkopplung müsse vor allem der Ökostromanteil erheblich gesteigert werden. Dafür müssten Ausbaumengen und -pfade für Erneuerbare im EEG anpasst, Hemmnisse beseitigt und Flächen und Genehmigungen bereitgestellt werden.
„Die Novelle muss auch ein Versprechen an all die Wirtschaftsakteure und gesellschaftlichen Gruppen sein, den Rahmen für die erforderlichen Instrumente, Investitionen und Veränderungen auch zur Verfügung zu stellen“, so dena-Geschäftsführer Andreas Kuhlmann. Es sei ein Versprechen auf große Mengen erneuerbaren Stroms wie auch klimaneutralen Wasserstoffs, vor allem auch auf dringliche Investitionen in neue Technologien. Gerade Investitionen in Innovationen und Forschung, in neue Technologien, können die Brücke zwischen nationalen Erfordernissen und globaler Verantwortung sein.
„Der heute vom Kabinett gebilligte Entwurf eines neuen Klimaschutzgesetzes ist zwar ein großer Fortschritt, wird aber dennoch nicht reichen, um Deutschlands Beitrag zur Erderhitzung bestenfalls auf 1,5 Grad zu begrenzen“, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Auch das neue Klimaschutzgesetz hinterlasse der nächsten Bundesregierung und zukünftigen Generationen eine schwere Hypothek. Daher fordert der BUND die Bundesregierung auf, sofort nachzubessern: Weniger als Klimaneutralität bis 2040 dürfe dabei nicht herauskommen. Das Ende für die Kohle müsse bis spätestens 2030 kommen, und die erneuerbaren Energien ambitioniert auf 80 Prozent bis 2030 ausgebaut werden.
Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte fehlende Maßnahmen für die neue Ziele, beispielsweise Förderrichtlinien für Wasserstoff-Initiativen. Sie kündigte an, im Bundesrat dazu und auch zu weiteren fehlenden Maßnahmen Druck zu erzeugen: „So brauchen wir eine EEG-Novelle mit deutlich nach oben korrigierten Ausbauzielen für erneuerbare Energien. Die Flächenkulisse für Anlagen, auch durch Photovoltaik-Freiflächen an Autobahnen und Schienenwegen, sollte erweitert werden. Wir brauchen ausreichende Anreize zur Gebäudesanierung, den konsequenten Ausbau der Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs für den ländlichen Raum. Wir brauchen einen ökologisch wirksamen und sozial gerechten CO2-Preis.“
Als „Sargnagel für Wohlstand und Wirtschaftskraft“ bezeichnete die AfD-Bundestagsfraktion das geplante Klimaschutzgesetz. Unter dem Vorwand des Klimaschutzes würden Union und SPD vor allem eine massive Ausweitung von Staatseingriffen und Planwirtschaft betreiben, und die CO2-Bepreisung bedeute nichts anderes als erdrückende Steuererhöhungen.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wird fortlaufend mit Reaktionen aktualisiert.
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