Regierung überschlägt sich beim Klimaschutz

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Erst passiert monatelang wenig bis gar nichts in Sachen Klimaschutz, dann urteilt das Bundesverfassungsgericht und plötzlich überschlägt sich die Bundesregierung. Am Montagabend, kurz nach 22 Uhr, verschickt das Bundesumweltministerium eine Mail an die Verbände. Im Anhang der Entwurf für die Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Keine 17 Stunden Zeit haben die Verbände ihre Stellungnahme dazu abzugeben. Denn die Zeit rennt, für Mittwochvormittag ist die Verabschiedung des Entwurfs im Bundeskabinett vorgesehen. Noch vor der Sommerpause soll die Novelle den parlamentarischen Prozess durchlaufen.

Mit den Änderungen will die Bundesregierung auf das Urteil der Karlsruher Richter von vor knapp zwei Wochen reagieren. Sie hatten Teile des Klimaschutzgesetzes für verfasssungswidrig erklärt und die Bundesregierung aufgefordert, bis Ende 2022 die CO2-Minderungsziele für die Zeit nach 2030 so fortzuschreiben, dass die Klimaneutralität in Deutschland auch erreicht wird. Bereits in der vergangenen Woche präsentierten SPD-Umweltministerin Svenja Schulze und CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ihre Vorstellungen, wie das Klimaschutzgesetz nachjustiert werden sollte. Nun der Entwurf, der allerdings keinen konkreten CO2-Minderungspfad ab 2031 enthält, sondern sektorübergreifende jährliche Minderungsziele. „Aus diesen ergibt sich, wie vom Bundesverfassungsgericht nahegelegt, ein konkreter Minderungspfad bis zum Jahr 2040. Spätestens im Jahr 2032 wird die Bundesregierung einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen, um auch die weiteren jährlichen Minderungsziele bis zur Netto-Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 gesetzlich festzulegen“, heißt es im Entwurf, der pv magazine vorliegt.

Das Ziel der Klimaneutralität soll also fünf Jahre auf 2045 vorgezogen werden. Dies zeichnete sich bereits in der vergangenen Woche ab. Ebenso eine Verschärfung der CO2-Minderungsziele auf dem Weg dahin: Sie liegen jetzt bei CO2-Einsparungen von mindestens 65 Prozent bis 2030 und mindestens 88 Prozent bis 2040.

Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) hat sich schnell durch das 25-seitige Dokument des Bundesumweltministeriums gewühlt und bezog am Morgen öffentlich Stellung. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz war der dringend nötige Ordnungsruf an die Regierung, den grundrechtlichen Lebensschutz dieser und folgender Generationen auch im Klimaschutz umgehend sicherzustellen“, erklärte bne-Geschäftsführer Robert Busch. „Wenn jetzt die richtigen politischen Weichen gestellt werden, ist es durchaus möglich, den Energiesektor bereits bis 2035 vollständig zu dekarbonisieren“, so Busch weiter. Nach Auffassung des Verband folgt dieses Gebot aus dem Urteil der Karlsruher Richter.

Für den Energiesektor sind im geänderten Entwurf zum Klimaschutzgesetz bis 2030 zusätzliche CO2-Einsparungen von rund 38 Prozent gegenüber den bisherigen Vorgaben vorgesehen. In der angefügten Tabelle mit den zulässigen Jahresemissionsmengen für 2020 bis 2030 für die einzelnen Sektoren sind allerdings nur die Werte für 2020, 2022 und 2030 für die Energiewirtschaft festgehalten. So sollen die CO2-Emissionsmengen von 280 Millionen Tonnen 2020 auf 257 Millionen Tonnen 2022 gesenkt werden. 2030 ist eine zulässige CO2-Jahresemissionsmenge von 108 Millionen Tonnen für die Energiewirtschaft im Entwurf vorgesehen.

„Angesichts der neuen Ziele ist daher die Schlussfolgerung zwingend, dass der Ausbaupfad der erneuerbaren Energien bis 2030 auf 75 bis 80 Prozent angehoben wird“, erklärte Busch. Doch Ziele alleine reichen nicht. Entsprechend müssten als „frühzeitig transparente Maßgaben“ die Ausbaupfade und Ausschreibungsmengen bei Photovoltaik und Windkraft im EEG deutlich angepasst werden und Restriktionen abgeschafft werden. Bezüglich der Photovoltaik sei dies etwa die Anpassung des „atmenden Deckels“ bei der Solarförderung auf die höheren Ziele, damit mehr Dachanlagen gebaut würden. Zudem müsse die kommunale Teilhabe an Photovoltaik-Freiflächenanlagen rechtlich gesichert werden. „Inzwischen haben sich sowohl die SPD als auch die Union für eine kommunale Beteiligung bei PV-Freiflächenanlagen ausgesprochen – es gibt also keine Ausreden mehr, die Einführung auf der langen Bank zu halten“, so Busch.

Altmaier hatte in der vergangenen Woche bereits klargestellt, er wolle bei einem stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien einen weiteren Anstieg der EEG-Umlage und somit auch des Strompreises – notfalls auch mit Haushaltsmitteln verhindern. Dies begrüßte der bne und erklärte: „Die Beaufschlagung des Strompreises mit allen denkbaren Abgaben und Umlagen ist ein anachronistisches Relikt. Hier ist ein Anfang gemacht: Die EEG-Umlage ist gedeckelt und es gibt weitere politische Beschlüsse der Großen Koalition, dass die EEG-Umlage weiter sinken und letztendlich abgeschafft werden muss.“

Ob die vorgesehenen Änderungen ausreichen, um dem Auftrag aus dem Urteilsspruch der Karlsruher Richter gerecht zu werden, bleibt abzuwarten. Vielleicht wäre dazu ein breiter angelegter Diskussionsprozess zu den Anpassungen der CO2-Minderungsziele hilfreich gewesen. Doch in nicht einmal 17 Stunden eine fundierte Meinung oder hilfreiche Gegenvorschläge zu entwickeln, ist doch sehr ambitioniert, wenn nicht gar unmöglich – vielleicht ist es auch nicht erwünscht.

„Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik den klaren Auftrag erteilt, jetzt für die Einhaltung der Klimaziele zu sorgen. Das ist nur mit einer echten Ambition gegeben, die auch einer erneuten gerichtlichen Revision standhalten würde“, erklärte bne-Geschäftsführer Busch. Allerdings ist die Änderung des Klimaschutzgesetzes auch nur der erste Schritt, weitere müssen folgen. „Danach müssen nun die Erneuerbare Energien-Ziele so nachjustiert werden, dass sie den Geboten nach Art. 2 /20a GG genügen.“

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