Wann und wie nutzen wir die Gigawattstunden in Elektroautobatterien?

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Bidirektionales Laden als Zukunft der Elektromobilität – So zumindest lassen sich jüngste Meldungen aus der Automobil- und Energiebranche interpretieren. In Elektroautos sind gewaltige Mengen an Batterien verbaut, deren Nutzung für das Eigenheim oder das Stromnetz aus ökonomischer und ökologischer Sicht absolut sinnvoll ist. Aber was bedeuten diese Entwicklungen konkret?

Bidirektionale Elektrofahrzeuge sind technisch keine Zukunftsvision: Generell sind viele Modelle mit CHAdeMO-Ladestecker bereits seit langem zu bidirektionalem Laden in der Lage. Allerdings fehlte bislang die passende Ladeinfrastruktur. Dies soll sich unter anderem durch neue Angebote spätestens 2022 ändern. So hat Volkswagen angekündigt, dass alle Fahrzeuge der MEB-Plattform ab 2022 rückspeisefähig sein sollen. Der erste Schritt für die Integration ist dabei ein intelligentes Haus, welches im Laufe des Tages überschüssigen Solarstrom im Fahrzeug speichert und insbesondere in den Abend- und Nachtstunden wieder bereitstellt. In einem zweiten Schritt können dann Fluktuationen im Stromnetz ausgeglichen werden.

In beiden Einsatzgebieten werden derzeit bereits stationäre Speicher eingesetzt. Bis Ende 2020 wurden für die Erhöhung des Eigenverbrauchs 285.000 Batteriespeicher in Privathaushalten installiert. Zusätzlich waren im September 2020 auch im stationären Bereich 450 Megawatt an Batteriespeicherkapazität für die Primärregelleistung (FCR) präqualifiziert. Doch schon heute ist in Elektroautos ein Vielfaches dieser Kapazität verbaut – allein die Neuzulassungen in 2020 hatten geschätzte 9 Gigawattstunden, Tendenz steigend. Bis 2030 könnte so ein steuerbares Potenzial von dutzenden bis hunderten Gigawatt entstehen, das die Spitzenlast im Stromsystem übersteigen dürfte. Da die Batterien für die Fahrzeuge ohnehin produziert werden müssen, ist die Erschließung dieses Potentials ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Den aktuellen Stand dieser Entwicklung haben wir in diesem Artikel und in Abbildung 1 zusammengefasst.

Abbildung 1: Übersicht der intelligenten (bidirektionalen) Ladekonzepte für Elektroautos

Quelle: RWTH Aachen

Wie funktioniert bidirektionales Laden?

Bei bidirektionalem Laden wird ein Fahrzeug nicht nur nachgeladen, sondern kann auch elektrische Energie zurückspeisen. Grundsätzlich wird zwischen folgenden Konzepten unterschieden:

  • Smart Charging (auch „V1G“): Fahrzeuge laden, wenn zum Beispiel das Netz wenig belastet ist, lokaler Ökostrom (häufig der eigenen Solaranlage) verfügbar ist oder der Strompreis niedrig ist. Hier findet keine Rückspeisung statt und es handelt sich dementsprechend nicht um bidirektionales Laden. Die positiven Auswirkungen sind aber zum Teil vergleichbar und vor allem zur Vermeidung von hohen Netzbelastungen durch gleichzeitiges Laden vieler Fahrzeuge in einem Netzsegment unverzichtbar.
  • Vehicle-to-home / Vehicle-to-building (V2H, V2B): Das Fahrzeug ist wie bei V2G rückspeisefähig, liefert aber keine Energie ins Stromnetz. Stattdessen agiert es wie ein PV-Heimspeicher oder ein Notstromaggregat und speist nur in ein Gebäudenetz ein (Betrieb „behind the meter“).
  • Vehicle-to-grid (V2G): Ähnlich wie V1G, aber mit Rückspeisung von Energie ins Stromnetz. Dadurch kann Regelleistung bereitgestellt werden oder Strom zwischengespeichert werden. Das Ladegerät braucht ein anderes Leistungselektronikkonzept und muss Leistung entsprechend der Normen und Sicherheitsstandards des Stromnetzes rückspeisen können.

Smart Charging ist dabei mit heutiger Technologie bereits möglich und wird aktuell in die Serienreife überführt. Für die Rückspeisung der Energie setzen die meisten Konzepte auf eine DC-Ladestation. Die Ladestation wird dabei über die Gleichstrom-Ladestandards CCS oder CHAdeMO direkt an die Fahrzeugbatterie angeschlossen. Noch ist die Rückspeisefähigkeit aber sehr teuer – eine Wallbox kostet etwa 5.000 Euro, eine Ladesäule ist auf dem freien Markt kaum erhältlich. Mit zunehmender Verbreitung der Technologie ist hier aber mit deutlichen Preisnachlässen zu rechnen.

Wann kommt die Marktreife?

Die Entwicklung im Bereich des bidirektionalen Ladens ist hochdynamisch. Entsprechend kann jede Aussage zur Marktreife nur einen Schnappschuss darstellen. In Abbildung 2 haben wir einen solchen Schnappschuss gewagt.

Abbildung 2: Roadmap des Rollouts von bidirektionalem Laden. Die jeweiligen Zeitpunkte sind zum Teil geschätzt und können sich aufgrund des dynamischen Marktumfelds rasch ändern.

Quelle: RWTH Aachen

Smart Charging kann prinzipiell mit heutiger Technik bereits umgesetzt werden. Allerdings nutzen die meisten Ladestationen noch das ältere Open Charge Point Protocol (OCPP) der Version 1.6 mit dem IEC-61851 Kommunikationsprotokoll zwischen Fahrzeug und Ladestation. Eine Übertragung selbst einfacher Parameter wie Ladezustand des Fahrzeugs ist so kaum möglich. Die neuere Version 2.0 (in Kombination mit ISO 15118-20) erlaubt eine deutlich bessere Planung, da viele relevante Parameter gemeldet werden können. Dieser neue Stand wird aktuell ausgerollt und von vielen Akteuren bereits oder in naher Zukunft unterstützt.

Vehicle-to-home wird vermutlich innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre den Sprung in den Serienmarkt schaffen, da die Voraussetzungen dafür im Laufe des Jahres 2021 geschaffen werden. Der Standard ISO 15118-20 als notwendiger Kommunikationsstandard für die europäische Gleichstromschnittstelle CCS wird voraussichtlich Mitte dieses Jahres veröffentlicht. Basierend darauf sollen alle Modelle der MEB-Plattform von Volkswagen und damit auch Audi, Skoda und Seat-Cupra ab 2022 fähig sein, bidirektional zu laden. Auch bei anderen Herstellern steht dieses Thema weit oben auf der Agenda, auch wenn von Seiten Teslas zuletzt gemischte Signale zu hören waren. Gleichzeitig machen die sinkende Einspeisevergütung für Solarstrom und das Ende der Förderung über das EEG die lokale Speicherung von Strom für Hausbesitzer attraktiver und erhöhen so den Marktdruck.

Vehicle-to-grid ist technisch mit vehicle-to-home vergleichbar, allerdings ist die Regulatorik noch nicht ausreichend entwickelt. Um zum Beispiel Regelleistung anbieten zu können, muss die Leistung garantiert verfügbar sein. Deswegen müssen Fahrzeuge entweder mit anderen Anlagen teuer abgesichert werden oder es muss garantiert sein, dass das Fahrzeug dauerhaft an die Ladestation angeschlossen ist. Gerade bei Privatfahrzeugen gibt es aber keine solche Garantie auf Fahrzeugebene. Für die Teilnahme am Regelleistungsmarkt müsste daher die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verfügbare Leistung betrachtet werden, was im aktuellen regulatorischen Rahmen noch nicht möglich ist. Dies wird unter anderem vom Verbund der europäischen Übertragungsnetzbetreiber durchaus gewünscht. Eine weitere Herausforderung besteht in der möglicherweise auftretenden Rückspeisung von EEG-Strom ins Netz via der Fahrzeugbatterie, was bei Photovoltaik-Heimspeichern eine Hürde darstellt.

Was sind Erlöspotenziale?

Bei Smart Charging liegen die Erlöspotenziale heutzutage typischerweise bei maximal wenigen 100 Euro pro Fahrzeug. Jedlix berichtet zum Beispiel von 21 Euro als höchsten monatlichen Erlös pro Fahrzeug vor allem aus Regelleistung. Besonders bei größeren Flotten ist zusätzlich die Reduktion der Leistungsspitze ein großer Hebel, da Verteilnetzbetreiber 100 Euro und mehr pro Kilowatt der Jahreshöchstlast berechnen. Noch kann allerdings auch die volle Flexibilität der Fahrzeuge nicht genutzt werden, da wie oben beschrieben die Intelligenz in der Ladeinfrastruktur nicht serienmäßig vorhanden ist.

Bei Vehicle-to-home lassen sich die Erlöse am ehesten über den Vergleich zum Photovoltaik-Heimspeicher abschätzen. Diese liegen typischerweise bei einigen 100 Euro pro Jahr. Ein vielgefahrener Erstwagen wird allerdings vermutlich deutlich geringere Erlöse erzielen. Ein seltener gefahrener Zweitwagen wird durch die hohe Batteriekapazität und Ladeleistung wiederum einen noch größeren Teil des im Haus benötigten Stroms abdecken könnte.

Bei Vehicle-to-grid hängen die Erlöspotentiale der vorgestellten Konzepte stark von der Anwendung und den Annahmen zur Regulatorik ab. Realistisch sind Erlöse im mittleren dreistelligen Bereich pro Fahrzeug und Jahr. Nicht zuletzt ist dies ein Ergebnis davon, dass private Fahrzeuge 95 Prozent der Zeit stehen und selbst zu Stoßzeiten immer nur ein Teil der Fahrzeuge genutzt wird. Auch Flottenfahrzeuge eignen sich aufgrund der sehr planbaren Verfügbarkeit besonders gut.

Bei sämtlichen Betrachtungen zu Erlöspotenzialen ist es wichtig mitzurechnen, dass beim geplanten Wachstum der Elektromobilität es durchaus zu Kannibalisierungseffekten durch das hohe Angebot kommen kann. Gerade bei den volumentechnisch begrenzten Regelleistungsprodukten ist es wahrscheinlich, dass sich der bisherige Preisverfall fortsetzen wird.

Was sind die Auswirkungen auf die Batteriealterung?

Vorweg: Im Vergleich zum jetzigen Status quo (Vollladung der Fahrzeuge nach Ankunft) profitiert die Fahrzeugbatterie von einer intelligenten Ladung – mit und ohne Zusatzaktivität der Batterie. Der Grund dafür liegt in einer Besonderheit der verwendeten Lithium-Ionen-Batterien, die sowohl kalendarisch (Alterung durch Existenz) als auch zyklisch (Alterung durch Arbeit) altern. Die kalendarische Lebensdauer ist am kürzesten, wenn die Batterie vollgeladen ist. Smart Charging, Vehicle-to-home und Vehicle-to-grid verringern den mittleren Ladezustand und verlängern so die Lebensdauer.  Aber auch zusätzliche Zyklen führen kaum zu einer beschleunigten Alterung, wenn bis zu maximal 20 Prozent der Energie der Batterie in einem Zyklus entnommen wird. Umfangreiche Laboruntersuchungen der RWTH Aachen und anderen Institutionen zeigen, dass die Lebensdauer damit kaum beeinflusst wird. Dabei ist zu beachten, dass bei einem Fahrzeug mit 50 Kilowattstunden Batteriekapazität 20 Prozent schon mehr sind, als die meisten Photovoltaik-Heimspeicher haben. Zudem sind die Zyklen der Batterien oftmals für einige 100.000 Kilometer ausgelegt, die durchschnittliche jährliche Distanz liegt aber nur bei etwa 15.000 Kilometer. Bei einer Lebensdauer von beispielsweise 10 Jahren und den damit gefahrenen 150.000 Kilometer bleiben noch tausende Zyklen ungenutzt.

Fazit

Elektroautos sind bereits ein Massenprodukt und werden in den nächsten Jahren eine hohe Durchdringung erreichen. In diesen Fahrzeugen sind potenziell steuerbare Batteriekapazitäten in einer neuen Größenordnung verbaut. Eine Nutzung dieses Potentials ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Die technischen Voraussetzungen dafür werden aktuell unter Hochdruck von verschiedenen Akteuren entwickelt. Eine Integration des Fahrzeugs in ein intelligentes Haus dürfte in ein bis zwei Jahren verfügbar sein. Damit das volle Potenzial dieser Innovation ausgeschöpft werden kann, ist aus unserer Sicht darüber hinaus folgendes notwendig:

  • Offene Protokolle: Mit Solaranlagen, Heimspeichern, Fahrzeugen, Wärmepumpen, Entertainmentsystemen und vielen anderen drängt immer mehr Technik ins Haus. Damit alle Geräte interoperabel bleiben, müssen hier offene Protokolle und Schnittstellen genutzt werden. Ansonsten drohen technische Inseln großer Marktakteure und die Innovationskraft junger Start-ups bleibt ungenutzt.
  • Anpassung der Regulatorik: Im aktuellen regulatorischen Rahmen können Fahrzeuge nur sehr schwer für Regelleistung und Netzgeschäfte genutzt werden. Parallel zu Bemühungen im Heimspeicherbereich muss auch hier die Regulatorik angepasst werden, damit auch Privat-PKWs das Stromnetz stabilisieren können. Dies fordert auch die ENTSO-E in ihrem jüngsten Positionspapier.
  • Aggregatoren: Einzelne Fahrzeuge sind nicht planbar verfügbar. Nur durch die Aggregation vieler Fahrzeuge in virtuelle Fahrzeugpools kann eine planbare statistische Verteilung erzeugt werden. Hier sind neue Geschäftsmodelle von Flottenbetreibern, Energieunternehmen, Ladeinfrastrukturanbietern, Backendbetreibern und vielen mehr gefragt.
  • Digitale Resilienz: Zur Reduzierung von Risikos durch Angriffe von Cyberkriminellen oder Kaskadenfehlern sollten Marktakteure aktiv in Strategien zur Resilienzsicherung einbezogen werden. So könnten Netzbetreiber die digitalen Schnittstellen zwischen Strom- und IKT-Systemen bei verdächtigem Verhalten stabilisieren. Weiterhin sollten Möglichkeiten geschaffen werden, als vulnerable erkannte Systeme softwareseitig mit hinreichenden Updates zu versorgen.

Über die Autoren

Christopher Hecht ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. Seine Forschung konzentriert sich auf die Interaktion von Elektrofahrzeugen und dem Stromnetz mit besonderem Fokus auf die Nutzung von öffentlicher Ladeinfrastruktur.

 

Jan Figgener ist Abteilungsleiter am Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Markt- und Technologieentwicklung, die Netzintegration und die Alterung von Batteriespeichern.

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