Die Idee der Agri-Photovoltaik besticht durch ihre Einfachheit – und ist dennoch komplex. Denn das Thema ist vielschichtig, im wahrsten Sinne des Wortes. Technisch betrachtet ist die doppelte Landnutzung für Photovoltaik-Stromerzeugung und gleichzeitiger landwirtschaftlicher Nutzung sicher kein Hexenwerk. Die Herausforderungen liegen vielmehr in ihrer Interdisziplinarität und der Vielfalt ihrer Anwendungen. Klar ist auch, dass mit der Agri-Photovoltaik auf ein und derselben Fläche zwei wichtige Grundbedürfnisse im Mittelpunkt stehen: Energie und Ernährung.
Während ein Übereinanderstapeln von Photovoltaik und Photosynthese auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen mag, eröffnet das Prinzip bei genauerem Hinsehen ein gewaltiges Potenzial an Synergieeffekten und neuen Lösungswegen für die dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit. Sei es, um kostbare Flächen effizienter zu nutzen, Ausbaupotenziale für die Energiewende zu erschließen, Wüsten zu begrünen, den Wasserverbrauch in der Landwirtschaft zu reduzieren oder um Hunger, ländliche Armut und Fluchtursachen zu bekämpfen.
Am Fraunhofer ISE erforschen und entwickeln heute mehr als 20 Mitarbeitende technische, ökonomische, juristische und soziale Ansätze, um der Agri-Photovoltaik zum Durchbruch zu verhelfen. Die Vision unserer Forschungsgruppe spiegelt dabei die Vielschichtigkeit des Themas wider: „Wir schützen Pflanzen, Böden, Wasser und Klima.“
Die laufenden Projekte an unserem Institut zu diesem Thema sind vielfältig: Photovoltaik-Gewächshäuser für die Garnelenproduktion in Vietnam, nachgeführte Agri-Photovoltaik für den Apfelanbau und Standardisierungsprozesse in Deutschland sowie die Integration von Regenwassernutzung und Wassermanagement in semi-ariden Klimazonen Westafrikas. Die meisten der Forschungsaktivitäten laufen auf die gleiche Frage hinaus: Wie kann die Photovoltaik integriert werden, um der landwirtschaftlichen Produktion bestmöglich zu dienen? Je nach Region, Klima und landwirtschaftlichen Aktivitäten fallen die Antworten oft sehr unterschiedlich aus.
Was ist Agri-Photovoltaik? Und was ist sie nicht?
Vor ziemlich genau 40 Jahren wurde die Idee der Agri-Photovoltaik vom Gründer des Fraunhofer ISE, Professor Adolf Goetzberger, gemeinsam mit einem Wissenschaftler des Instituts, Armin Zastrow, erstmals veröffentlicht, unter dem Titel: „Kartoffeln unter dem Kollektor“. Spätestens seit den ersten erfolgreichen Projektierungen des Anlagenbauers Next2Sun ist jedoch klar: Auch Kartoffeln neben dem Kollektor sind möglich. Schaut man sich etwas genauer um, was zuweilen sonst noch alles unter den Begriff fällt – von Photovoltaik-Freiflächenanlagen mit Blumenwiesen oder Schafbeweidung bis hin zu Dachanlagen auf Ställen – wird einem schnell klar, dass die Frage, wie Agri-Photovoltaik eigentlich definiert ist, ebenso wichtig wie schwierig ist. Zusammen mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) beschäftigt sich seit Dezember 2019 deshalb ein etwa zwanzigköpfiges Konsortium unter der Federführung der Universität Hohenheim und des Fraunhofer ISE mit eben dieser Frage. Ziel des Konsortiums ist, eine Vornorm zu entwickeln, welche die Anforderungen an eine landwirtschaftliche Hauptnutzung definiert. Die Veröffentlichung der Ergebnisse wird in den nächsten Wochen erwartet.
Politische Förderprogramme: Von Japan bis Deutschland
Die dynamische Entwicklung der Agri-Photovoltaik wird neben dem rasanten Zuwachs der weltweit installierten Leistung auch durch die steigende Anzahl staatlicher Förderprogramme sichtbar. Nach Einführung der ersten gesetzlichen Einspeisevergütung für Strom aus Agri-Photovoltaik in Japan im Jahr 2013 folgten Unterstützungsmaßnahmen in China, Frankreich, den USA und Südkorea. Seit neuestem findet sich die Agri-Photovoltaik auch in der deutschen Gesetzgebung wieder. Verantwortlich dafür ist die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2021, welche am 1. Januar in Kraft trat. Diese sieht für April 2022 eine einmalige Ausschreibung in Höhe von 50 Megawatt installierte Leistung vor, zusammen mit Solarstromanlagen über Parkplätzen und schwimmenden Photovoltaik-Anlagen.
Zielgerichtete Förderung?
Die Neuregelung hat jedoch gleich mehrere Haken: Eine Teilnahme an den Innovationsausschreibungen des EEG ist nur für Anlagenkombinationen möglich. Die Pflicht einer Koppelung an andere EEG-Anlagen stellt jedoch eine inhaltlich kaum begründbare Einschränkung der zu fördernden Anlagen dar. Zudem ist durch den direkten Wettbewerb zwischen den drei Anlagentypen vollkommen offen, welche Technologie sich bei der gemeinsamen Ausschreibung am Ende durchsetzen wird. Können schwimmende Systeme oder Parkplatzüberdachungen also günstiger anbieten, wird Agri-Photovoltaik nicht zum Zug kommen? Folgt man dem Wortlaut in der Innovationsausschreibung, so sind Agri-Photovoltaik-Systeme als „Solaranlagen auf Ackerflächen bei gleichzeitigem Nutzpflanzenanbau auf der Fläche“ außerdem nur im Ackerbau förderfähig. Anwendungen für Sonder- und Dauerkulturen, bei welchen ein besonders hohes Potenzial erwartet wird, wären hingegen genauso ausgeschlossen wie Anlagen auf Dauergrünland. Nicht zuletzt ist eine Anforderung an Ausschreibungsanlagen im EEG, dass der Strom nicht selbst verbraucht, sondern vollständig in das Stromnetz eigespeist wird. Damit wird aber die Chance verpasst, durch die energetische Integration der Agri-Photovoltaik in landwirtschaftliche Betriebe sauberen Strom nicht nur dezentral zu produzieren, sondern dort auch zu verbrauchen.
Im Schnelldurchlauf in die EEG-Novelle gerutscht
Noch im November 2020 hat die Bundesregierung den Vorschlag des Bundesrats, Agri-Photovoltaik in das EEG aufzunehmen, abgelehnt. Die Begründung: Die Technologie sei noch nicht einsatzreif. Dass wenige Wochen später kein ausgereiftes Konzept für eine Förderung vorliegen konnte, überrascht zwar kaum. Doch lässt die Aufnahme der Agri-Photovoltaik in letzter Minute hoffen, dass die Politik gewillt ist, zielgerichtete Förderinstrumente für die Agri-Photovoltaik anzupacken und bei Schwachstellen der EEG-Novelle nachzubessern.
Die Weichen richtig stellen
Das Potenzial der Agri-Photovoltaik ist groß und ebenso die Dringlichkeit, dieses auch zu heben. Unsere Untersuchungen gehen davon aus, dass das technische Flächenpotenzial in Deutschland ausreichen würde, um Agri-Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von rund 1700 Gigawatt zu errichten. Um unsere Klimaziele zu erreichen, ist bis zum Jahr 2050 ein Zubau auf ungefähr 500 Gigawatt notwendig. Aktuell installiert sind aber gerade mal 55 Gigawatt – wir stehen also erst ganz am Anfang des Solarzeitalters. Somit ist es noch nicht zu spät, dass Deutschland im internationalen Vergleich bei der zukünftigen Entwicklung der Agri-Photovoltaik ganz vorne mit dabei ist.
Agrarische Photovoltaik-Systeme, angepasst an die Bedürfnisse und Herausforderungen der landwirtschaftlichen Produktion – so oder ähnlich könnte die Branchenbezeichnung von morgen lauten. Pioniere wie die BayWa re oder die Firma Sun’r aus Frankreich gehen heute bereits in diese Richtung. Damit die Agri-Photovoltaik in Deutschland jedoch nicht in den Kinderschuhen stecken bleibt, ist eine beherzte Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig. Dabei erscheint es ratsam, die Weichen dazu möglichst zeitnah zu stellen, denn die Entwicklung und Verbesserung der Systeme benötigt Zeit, da sie auf praktische Erprobung und langjährige landwirtschaftliche Erfahrungswerte angewiesen sind. Das EEG ist dabei nur ein Ansatzpunkt. Mindestens ebenso wichtig sind Anpassungen bei den Regelungen zur Umsetzung der EU-Direktzahlungen sowie beim Baurecht. Anregungen zu möglichen Anpassungen des Regelrahmens finden sich in dem neuen Leitfaden, den wir veröffentlicht haben: https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/APV-Leitfaden.pdf
— Der Autor Max Trommsdorff leitet die Gruppe Agri-Photovoltaik am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Seit 2014 arbeitet er als Experte für Agri-Photovoltaik mit den Schwerpunkten wirtschaftliche Machbarkeit, Technologietransfer und institutionelles Design. Er ist unter anderem Vorsitzender der Konferenz AgriVoltaics2021, die vom Fraunhofer ISE am 14. bis 16. Juni 2021 ausgerichtet wird, siehe https://www.agrivoltaics-conference.org/home.html. —
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Die Pflicht für Bauern ab 2022 mindestens 3% ihrer Ackerflächen als Ökoflächen, also stillzulegen, bereitzustellen passt doch super zu Freiflächen PV. Im Schatten, Teilschatten und zwischen den Modulen kann sich eine natürliche, standortgerechte Flora und Fauna bilden. Die Insekten werden es danken für mehrere Jahre am Stück in Ruhe gelassen zu werden.
Dabei entsteht auch keine Konkurrenz zur Landwirtschaft, da die Flächen sowieso nicht zur Erzeugung von Lebensmitteln genutzt werden dürfen.
Eine klare WinWin Situation.
Es geht hier ja nicht nur unbedingt um Freiflächen-PV-Anlagen, sondern auch um eine mögliche „überdachung“ und erhöhte Flächennutzung, wobei die Pflanzen durch verschiedene Faktoren besser wachsen und zusätzlich Strom produziert wird.
(siehe: https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2019/agrophotovoltaik-hohe-ernteertraege-im-hitzesommer.html)