Selbst ist der Gröönlandhof: Wallbox-Ladesteuerung selbst gebaut

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Neue Dinge selbst machen ist Teil des Konzepts des Gröönlandhofs. Anstatt dem allgemeinen Trend des Höfesterbens zu folgen setzen drei Familien für ihren Hof so auf neue und nachhaltige Konzepte, nicht nur in der Landwirtschaft und im Zusammenleben, sondern auch in der Energieversorgung.

Um den landwirtschaftlichen Betrieb nach dem Ruhestand der Eltern erhalten zu können, gründete die Familie Tjaden im April 2018 mit zwei anderen Familien eine Hofgemeinschaft. Seitdem lässt diese die Landwirtschaft auf dem denkmal­geschützten Hof in Ostfriesland wieder aufleben. Sie versorgt rund 90 Haushalte der Umgebung wöchentlich mit zertifiziertem Biogemüse. Besonders daran ist, dass sich die Hofgemeinschaft für das Prinzip der solidarischen Landwirtschaft, kurz SoLaWi, entschieden hat. Das heißt, die Preise, die die Kunden zahlen, werden in anonymen Bieterrunden festgelegt und variieren nach deren Einkommen und Lebenssituation.

Denkmalgeschützter Gröönlandhof bei Aurich. Mit einer 28 Kilowatt-Photovoltaikanlage und einer Wärmepumpe erreicht die Hofgemeinschaft einen Autarkiegrad von 35 Prozent.

Foto: Tjarko Tjaden

Für die Energieversorgung auf dem Hof ist vor allem Tjarko Tjaden zuständig. Das liegt in der Natur der Sache. Nachdem für ihn früh klar war, dass er selbst kein Landwirt werden will, studierte er regenerative Energien an der HTW Berlin und arbeitete dort im Bereich Batteriespeicher und Wärmepumpen. Nach dem Umzug wechselte er an die Hochschule Emden.

Neben einer volleinspeisenden Photovoltaikanlage mit 24 Kilowatt Nennleistung aus dem Jahr 2006 haben die Tjadens 2010 eine weitere 27-Kilowatt-Anlage mit Eigenversorgung und Überschusseinspeisung in Betrieb genommen. Eine Wärmepumpe mit Erdkörben, ein stufenlos regelbarer Heizstab und ein 2.000-Liter-Pufferspeicher nutzen einen Teil des selbst erzeugten Solarstroms zur Aufbereitung von Warmwasser und zur Unterstützung der Fußbodenheizung. Außerdem steht ein gemeinschaftlich genutztes Elektroauto vor der Tür, was zu möglichst hohen Anteilen mit Solarstrom versorgt werden soll.

Unzufrieden mit Lösungen auf dem Markt

„Doch auf der Suche nach einer passenden Wallbox entsprach eigentlich keines der am Markt verfügbaren Produkte meinen Wünschen“, sagt Tjarko Tjaden. Bei vielen Geräten sei die Steuerung nicht in der Lage, ein solarstromgeführtes Laden des Fahrzeugs zu ermöglichen. Andere funktionierten aufgrund von herstellereigenen proprietären Schnittstellen nur in einer eingeschränkten Markenwelt und erfordern dadurch zum Beispiel auch den Einbau eines Energiemanagement- oder Smarthome-Systems derselben Marke inklusive eines zusätzlichen Stromzählers.

Zwar bieten Batteriespeicherhersteller inzwischen oft auch Wallboxen an, die in das Energiemanagement des Geräts eingebunden sind, doch eine solche hat sich die Hofgemeinschaft noch nicht angeschafft.

Tjarko Tjaden hat sich seine Elektroladelösung selbst zusammengebaut. Hier kniet er neben seinem mit reiner Muskelkraft angetriebenen besonders windschnittigen Velomobil.

Fotos: Tjarko Tjaden

„Die am Markt erhältlichen Lade­lösungen schränkten mich daher zu sehr ein“, sagt Tjaden. „Zudem sind die auch oft sehr teuer.“ Für 22 Kilowatt Ladeleistung und den gewünschten Funktionsumfang muss man seiner Einschätzung nach am Markt mindestens 1.000 Euro ausgeben. Das teuerste Angebot, das er gefunden hat, lag bei 1.900 Euro.

Er versteht nicht, wieso Wallboxen so viel kosten müssen. „Eine Standard-Wallbox reduziert im Wesentlichen nur den Stromfluss über eine Pulsweitenmodulation“, sagt er. Auf der Suche nach einer einfachen und passenden Lösung führten ihn seine Recherchen zum go-eCharger HOME+, einer 22-Kilowatt-Wallbox mit RFID-Funktion und App-Steuerung, die eine offene Programmierschnittstelle (API) zur Ansteuerung besitzt. Für rund 650 Euro biete sie derzeit ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, findet Tjaden. Die weitere Suche nach einer geeigneten, kostenfreien Energiemanagement­software führte ihn unter anderem zu Github. Das ist eine Entwicklerplattform für Open-Source-Software, auf der Programmierer auch Lösungen für das Laden von Elektroautos gratis zur Verfügung stellen. Dort stieß er auf Andreas Götz.

Anwender helfen sich selbst

Götz bezeichnet sich selbst als IT-Spezialisten und Elektromobilitätsenthusiasten. Hauptberuflich ist er für ein Energie­unternehmen in der Informationstechnologie tätig. Seit dem Jahr 2011 betreibt er eine eigene Photovoltaikanlage. Gemeinsam mit der sogenannten Volkszähler-Initiative hat er sich damals bereits ein eigenes Monitoringsystem gebastelt, das die Anlagendaten mittels einer Infrarotdiode aus einem alten Ferraris-Zähler ausliest und visualisiert. Nachdem er sich im vergangenen Jahr ein Plug-in-Hybrid-Fahrzeug anschaffte, sollte auch dieses möglichst weitgehend elektrisch mit eigenem Solarstrom betrieben werden.

Auf seiner Suche nach einer einfachen und erweiterbaren Ladelösung stieß Götz zunächst auf die OpenWB-Initiative – eine Open-Source-Community für eine freie Wallbox-Lösung. „OpenWB bietet hochwertige Wallboxen aus deutscher Produktion an“, sagt Götz, „als fertige Produkte oder Bausatz.“ Die Steuerung übernimmt dabei ein integrierter Raspberry-Pi-Minicomputer. Über eine offene Programmierschnittstelle lassen sich die OpenWB-Wallboxen an eigene Bedürfnisse anpassen. In Entwicklerkreisen habe sich die OpenWB-Community über die Jahre bereits einen Namen gemacht. Und auch manche Hersteller beginnen sich dafür zu interessieren.

Mit OpenWB sei bereits vieles machbar, was andere Wallboxen nicht unbedingt können, etwa solarstromoptimiertes Laden, so Götz. Außerdem könne der Ladevorgang von drei- auf einphasiges Laden umgeschaltet werden. Das verringert den Ladestrom, so dass auch bei geringer Solarleistung ausschließlich mit eigenem Solarstrom geladen werden kann, da Elektroautos einen Minimalstrom pro Phase festlegen. Eine Funktion, die man  Götz zufolge derzeit bei auf dem Markt erhältlichen Geräten nur selten findet. Dennoch sah der Programmierer weiteres Verbesserungspotenzial, unter anderem was die Benutzerschnittstelle, den Funktionsumfang und die Möglichkeiten zur Integration weiterer IT-Komponenten angeht.

Open Source weiterentwickelt

Götz entwickelte daraufhin die Idee der OpenWB-Community weiter. Seine Lösung nennt er EV Charge Controller (EVCC) und bietet diese ebenfalls mit offenem Quellcode und kostenfrei zum Download auf Github an. Auch EVCC hat mittlerweile eine kleine Community um sich versammelt. Götz sagt, sie helfe ihm durch die Erfahrungen aus dem Praxisbetrieb immer wieder bei Weiterentwicklungen und Tests.

Der Funktionsumfang von EVCC beschränkt sich auf die nach Ansicht von Götz und seiner Community für Elektroautofahrer wichtigsten Funktionen. Die Software visualisiert die aktuelle Photovoltaikleistung und den zusätzlichen Strombezug beziehungsweise die Einspeisung ins öffentliche Netz. Zudem sieht man den Ladestand des Elektroautos, die aktuelle Ladeleistung und die verbleibende Zeit bis zum Erreichen des Ladeziels. Als Ladeziele können frei konfigurierbar zum Beispiel 30, 50, 80 und 100 Prozent der Batteriekapazität des Fahrzeugs angegeben werden.

Außerdem können Nutzer verschiedene Ladeoptionen wählen. So kann man dem System sagen, dass man nur mit Solarstrom laden will oder mit maximaler Leistung so schnell wie möglich mit Solar- und Graustrom. Eine dritte Option ist, mit der minimal möglichen Leistung an Graustrom zu laden. Natürlich kann man das Laden auch ganz ausschalten. Außerdem können auch Heimspeicher integriert und Vorrangregelungen für Auto und Hausbatterie vergeben werden.

Ladezustandserfassung ermöglicht mehr Optionen

Die Informationen zum Ladestand des Fahrzeugs (SoC) ermittelt EVCC über die Programmierschnittstelle des Fahrzeugs, die mittels der SIM-Karte und des LTE-Mobilfunkstandards angesprochen wird. Herkömmliche Wallboxen verarbeiten in der Regel keine Informationen zum aktuellen Ladestand.

Da die Software auch über die Autoschnittstelle kommuniziert, lässt sich die Restladezeit ablesen und bei der Wahl des Lademodus berücksichtigen.

Screenshot: Tjarko Tjaden

Mit diesen Informationen sind gezieltere Management-Funktionen möglich. Zum Beispiel möchte der Fahrer in zwei Stunden eine kurze Strecke mit dem Auto zurücklegen, die Batterie ist aber fast leer und der Himmel bewölkt. Dann kann er die Batterie mit voller Leistung aus dem Netz laden – aber zum Beispiel nur bis zu einem Ladestand von 30 Prozent. So bezieht das Auto kaum mehr Graustrom als unbedingt nötig.

Auch beim gleichzeitigen Laden von zwei oder mehr Fahrzeugen kann der Ladestand eine wichtige Rolle spielen. Denn nur wenn das Energiemanagement die Ladestände aller Autos kennt, kann es gezielt Ladevorgänge für einzelne Autos priorisieren. Das wird zum Beispiel nötig, wenn die Netzkapazitäten nicht ausreichen, um alle Fahrzeuge mit voller Leistung zu laden. Mit EVCC können beliebig viele Fahrzeuge gleichzeitig angesteuert werden.

Im Februar integrierte Götz die erste Version seiner Software in die „unintelligente“ Hardware eines Wallbox-Anbieters. Als er sah, dass alles gut funktionierte, wandte er sich an die Entwickler-Community auf Github, wo er kurze Zeit später auf Tjarko Tjaden traf und ihm dabei half, sein Projekt auf dem Gröönlandhof umzusetzen.

Installation einfach und ohne Elektriker

Nachdem Tjaden nun die für ihn richtige Software gefunden hatte, schaffte er sich die bereits erwähnte Wallbox von Go-e an. Bei der Installation kam ein weiterer Vorteil dieser Hardware zum Tragen: Die Wallbox ist wahlweise zum Fest­anschluss oder mit fünfpoligem CEE-Stecker erhältlich. Da es auf dem Hof bereits eine regulär abgesicherte 32-Ampere-CEE-Steckdose gab, konnte er die Wallbox, einen Fehlerstromschutzschalter integriert hat, direkt und ohne Elektroinstallateur anschließen. Lediglich die Anmeldung inklusive Genehmigung beim Netzbetreiber war erforderlich.

„Mit der Ladebox kann man auch zeitabhängige Stromtarife von Awattar nutzen“, sagt Tjaden. Awattar gibt mit seinem flexiblen Strompreis die Preisschwankungen des Börsenstrompreises weiter. Wenn man im Jahr 2019 den Strom jeden Tag zur günstigsten Stunde bezogen hätte, hätte man 38 Prozent unter dem durchschnittlichen Börsenstrompreis gekauft. Da noch die Umlagen und Abgaben dazukommen, ist die Ersparnis beim endgültigen Strompreis aber noch nicht so eindrucksvoll und liegt laut Awattar maximal bei 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Da die Ersparnis beim Laden mit selbst erzeugtem Solarstrom höher ist, nutzt Tjaden diese Funktion erst mal noch nicht.

Fragen zur Installation von Ladepunkten?

Der Artikel stammt aus der pv magazine Ausgabe von November 2020. Dort beantworten wir auch „Entscheidungsfragen bei E-Ladestationen“ zu relevanten Punkten bei der Produktwahl, „Installationsfragen bei Elektroladeeinrichtungen“ zu Normungsthemen und wir sprechen mit einem Installateur darüber, welche Lernkurve er durchlaufen hat.

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Die Installation und Inbetriebnahme seiner Selbstbau­lösung bezeichnet Tjaden als einfach. „Man kann das eigentlich noch nicht mal Basteln nennen, weil Basteln in meinem Fall gar nicht nötig war“, sagt er. „Ich habe die Wallbox in die Steckdose gesteckt, die dazugehörige App auf dem Smartphone installiert und dann noch die Wallbox mit meinem WLAN verbunden, um so die API zu erreichen.“ Im nächsten Schritt installierte er EVCC auf einem eigenen Server und verband die Software über eine Konfigurationsdatei mit dem Elektroauto, der Wallbox und seinem Smart Meter. „Ist alles korrekt eingetragen, kann man das Programm und die Wallbox starten“, sagt er.

Damit das Laden zu jeder Zeit möglich ist, muss die Software durchgehend laufen. Man kann sie zum Beispiel auch auf einem eigenen Computer installieren, muss diesen dann aber immer eingeschaltet lassen. Alternativ ist auch die Installation auf einem Server, einem Ein-Platinen-Computer wie dem Rasp­berry Pi oder einer handelsüblichen Netzwerkfestplatte, möglich, die in vielen Haushalten bereits zu finden ist.

Ob die Installation für jeden so einfach machbar ist, hängt aber von den Bedingungen ab. Wenn sich zum Beispiel keine entsprechend abgesicherte fünfpolige CEE-Steckdose in der Nähe des Ladepunktes befindet, muss ein Elektroinstallateur eine neue Leitung verlegen. Dann machen die Unterschiede in den Preisen für einzelne Ladeboxen vielleicht auch nicht mehr so viel aus.

Community macht kompatibel

Nach Aussage von Andreas Götz ist EVCC bereits mit vielen Elektroautos, Solarwechselrichtern und Smart Metern kompatibel. Viele der dafür nötigen Schnittstellen-Mappings hat er selbst programmiert. Aber auch in der Github-Community gebe es viele aktive Mitglieder, die Mappings für verschiedene Controller und Geräte gratis zur Verfügung stellen und damit für noch mehr Kompatibilität sorgen. Auch zwischen den Projekten, zum Beispiel mit OpenWB, gebe es regen Austausch und gegenseitige Unterstützung. So könnten Nutzer, die ein neues Auto oder Gerät mit EVCC verbinden wollen, in der Community anfragen, ob jemand eine passende Schnittstelle programmieren kann. Oft würde man dann auch Hilfe bekommen.

Geräte, die mit dem Open Source System EV Charge Controller (EVCC) verbunden werden können.

Grafik: Tjarko Tjaden

Im Zusammenspiel von Elektroautos, Solaranlagen und Batteriespeichern und Wallboxen kann der Open-Source-Ansatz sehr vorteilhaft sein, um kommunikative Hürden zu überwinden, meint Götz. Geld verdienen lasse sich damit aber nicht. Dennoch seien Geschäftsmodelle für Open-Source-Walbox-Lösungen denkbar, zum Beispiel eine Dienstleistung zur Bereitstellung und Pflege passender Server, auf der die Software läuft. Und auch White-Label-Lösungen, die für einzelne Marken angepasst und weiterentwickelt werden und dabei trotzdem die hohe Kompatibilität mit anderen Marken beibehalten.

Das Elektroauto des Gröönlandhofs ist jedenfalls seit einigen Monaten in das Gesamtsystem des Hofes inte­griert. Für die Zukunft hat Tjaden schon weitere Pläne ins Auge gefasst. Irgendwann soll zum Beispiel ein stationärer Batteriespeicher folgen. „Dann sicherlich mit einem Open-Source-Energiemanagement wie beispielsweise OpenEMS und auch mit SG-Ready-Schnittstelle für die Wärmepumpe“, sagt Tjaden, damit die Energieversorgung des Hofes auch in Zukunft weiter flexibel ausgebaut und abgestimmt werden kann.

Ladesteuerung in Aktion: Verlauf der Photovoltaik-Erzeugung, Haushaltslast und der von EVCC angesteuerten Wallbox am 7.10.2020.

Grafik: Tjarko Tjaden

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