Die aktuelle politische Situation in Deutschland ist bedrückend, doch Sie alle können und sollten gemeinsam an der entscheidenden Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien mitarbeiten. Das ist sogar zunehmend besser für Ihren Geldbeutel, als die Beibehaltung ihrer Energieeinkäufe von Erdöl, Erdgas, Kohle- und Atomstrom. Schon 2021 werden wir daher den Aufstieg aus dem jahrelangen Tal des Niedergangs des Ausbaus der Erneuerbaren hin zu schnell beschleunigtem Wachstum sehen.
Noch immer sind in Deutschland und vielen anderen Ländern politisch aufgebaute Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren zu überwinden. Überbordende Bürokratie, Genehmigungshürden und aktive sowie unnötige finanzielle Belastungen behindern weiterhin den Ökostromausbau. Das EEG 2021 hat keinen entscheidenden Durchbruch im Hürdenabbau gebracht. Obwohl im Bundestag bei kleinen Photovoltaik-Anlagen, kleiner Wasserkraft und der Flexibilisierung in der Direktvermarktung von Biogasstrom wichtige Verbesserungen gegenüber dem schlimmen Regierungsentwurf verabschiedet wurden, führt das EEG 2021 nicht zu einem Ökostromausbau hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030, wie es die Einhaltung des Pariser Klimaschutzzieles von 1,5 Grad Celsius erfordern würde.
Insbesondere wirken folgende Bremsen: (1) Die Beibehaltung und teilweise sogar Ausweitung der Ausschreibungspflicht, (2) die viel zu geringen Ausbauziele, die sich in den viel zu kleinen Ausschreibungsvolumina niederschlagen und (3) die fehlende Unterstützung für systemdienliche Ökostromeinspeisung. Das sind alles gravierende Elemente, die das EEG immer noch mehr als Bremse, denn als Beschleuniger des Ausbaus wirken lassen.
Wie stark Ausschreibungen den Ausbau der Erneuerbaren Energien behindern, hat die von der Energy Watch Group (EWG), dem World Future Council (WFC) und der Haleakala Stiftung in Auftrag gegebene und kurz vor Weihnachten veröffentlichte Analyse in 20 Ländern offengelegt. (https://energywatchgroup.org/a-wider-energy-policy-mix)
Vorschläge für eine Förderung systemdienlicher Einspeisung zur Stimulierung der Sektorenkopplung durch einen eigenen Vergütungssatz liegen längst auf dem Tisch. (http://energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_Eckpunkte-f%C3%BCr-eine-Gesetzesinitiative-zur-Systemintegration-Erneuerbarer-Energien.pdf)
Doch trotz der bremsenden Wirkungen der politischen Rahmenbedingungen in Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es erstaunliche Entwicklungen mit einem sich selbst beschleunigenden Ausbau der erneuerbaren Energien. Treibende Kraft hierbei ist die Wirtschaft, denn Ökostrom ist heute wesentlich kostengünstiger als die Energieerzeugung aus fossilen und atomaren Quellen. Das führt in vielen Teilen der Welt sogar zunehmend zu Abschaltungen von bereits abgeschriebenen Kohle- und Kernkraftwerken.
Insbesondere in den USA hat dies selbst unter Präsident Trump, der nur das alte Energiesystem stützte, eine starke Eigendynamik entwickelt. So sind die Pro-Kopf-Investitionen in Erneuerbare Energien in den USA fast dreimal höher als in Deutschland. (https://hans-josef-fell.de/die-usa-verlassen-das-pariser-abkommen-katastrophe-fuer-den-klimaschutz/)
In der Tat sind die ökonomischen Entwicklungen in den letzten Jahren rasant: Erneuerbare Energien sind schon heute die kostengünstigste Art der Stromerzeugung. In 2019 produzierte mehr als die Hälfte der neu in Betrieb genommenen Stromerzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien zu niedrigeren Kosten als die günstigste neue fossile Stromquelle. Besonders Solarenergie hat in den letzten zehn Jahren enorm im Preis abgenommen. Bei neu in Betrieb genommenen Projekten sanken die globalen und gewichteten Durchschnittskosten für Solarstrom im industriellen Maßstab im Zeitraum von 2010 bis 2019 um 82 Prozent, für Onshore-Wind um 39 Prozent, für Offshore-Wind um 29 Prozent und für Bio-Energie um 13 Prozent. (https://www.irena.org/-/media/Files/IRENA/
Agency/Publication/2020/Jun/IRENA_Power_Generation_Costs_2019.pdf)
Abgesehen von den offensichtlichen Vorteilen, die erneuerbare Energiesysteme in Hinblick auf die Erderwärmung mit sich bringen, sind sie allein schon durch ihre niedrigeren Kosten den fossilen Brennstoffen vorzuziehen. Mark Z. Jacobson et al. zeigen zum Beispiel in ihrer Studie „Impacts of Green New Deal Energy Plans on Grid Stability, Costs, Jobs, Health, and Climate in 143 Countries“, dass es sich für alle 143 untersuchten Länder bis spätestens 2050 lohnt, heute schon auf einen Wind-Wasser-Solar-Energiemix umzusteigen, da bereits dieser in allen Fällen günstiger in den privaten Kosten ist, als den Status Quo beizubehalten. (http://web.stanford.edu/group/efmh/jacobson/Articles/I/143WWSCountries.pdf)
In den USA wurden seit 2016 keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut. Stattdessen wurden in den letzten zehn Jahren über 28 Gigawatt an neuen Kraftwerkskapazitäten abgesagt und in den letzten 20 Jahren über 120 Gigawatt aus Kohlekraftwerken stillgelegt. Ein wichtiger Grund ist die viel billigere Stromerzeugung aus Sonne und Wind in Verbindung mit Speichern. (https://docs.google.com/spreadsheets/d/1nvyBpLVGiyqR-xLFgFd7MPhQxq_cYHfNc2HjJ0EmmQI/edit#gid=0)
In Indien wurden noch in 2016 viel mehr Kohlekraftwerke als Solarparks in Betrieb genommen: 21 Gigawatt Kohle und 7 Gigawatt Solar. Doch schon im Jahr danach hatte sich das Verhältnis komplett umgekehrt zu 2/3 Solarparks und nur noch 1/3 Kohlekraftwerke. (https://hans-josef-fell.de/5-jahre-pariser-klimaabkommen-dramatische-veraenderungen/)
Hand in Hand mit der Umstellung auf Strom, der durch erneuerbare Energien gewonnen wurde, vollzieht sich die Umstellung der Automobilindustrie von herkömmlichen Benzinern und Dieseln zu Elektroautos. Es kostet 15.000 US-Dollar um einen mit Benzin betriebenen Jeep Liberty für 5 Jahre aufzutanken. Um im gleichen Zeitraum einen elektrischen Jeep Liberty elektrisch aufzuladen, kostet nur ein Zehntel davon, 1.565 US-Dollar. Hinzu kommt noch, dass Elektroautos drei- bis siebenmal so lange halten, beziehungsweise mehr gesamte Fahrdistanz zurücklegen können als mit Diesel oder Benzin betriebene Autos. (https://www.youtube.com/watch?v=yYFbnrBrbhs)
Und selbst die Kaufpreise für neue E-Autos fallen und fallen. Bereits in drei bis vier Jahren werden die Batteriepreise soweit gefallen sein, dass sogar die Neuanschaffung eines typischen E-Autos gleich teuer und später sogar billiger sein wird als der Kauf eines vergleichbaren Autos mit Verbrennungsmotor, so ein Bericht von Bloomberg Green. (https://www.bloomberg.com/news/articles/
2020-12-16/electric-cars-closing-in-on-gas-guzzlers-as-battery-costs-plunge)
Die ökonomischen Vorteile der Erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarenergie zeigen sich auch am Wachstum der kleinen bürgerlichen Solaranlagen mit Speichern in den letzten Monaten in Deutschland. Trotz hoher bürokratischer Hürden und der finanziellen Belastung durch die verfehlte Gesetzgebung der Bundesregierung sind 2020 25 Prozent mehr Photovoltaik-Dachanlagen installiert worden als noch im Jahr zuvor. Bis Ende November lag die neu installierte Leistung für das Gesamtjahr damit bei 4400 Megawatt. Mehr als 383 Megawatt der neu gemeldeten PV-Anlagen entfielen auf Anlagen außerhalb der Ausschreibungen (<750 Kilowatt). Ein Großteil davon waren neue Photovoltaik-Dachanlagen. (https://www.pv-magazine.de/2021/01/04/photovoltaik-zubau-erreicht-im-november-hoechsten-wert-2020-mit-480-megawatt/)
Allerdings zeigt ausgerechnet das viel ärmere 97 Millionen-Volk der Vietnamesen, dass wesentlich mehr möglich ist als in Deutschland mit seinen 83 Millionen EinwohnerInnen. So wurden in Vietnam in 2020 über 9.000 Megawatt alleine auf Hausdächern installiert, da erscheinen die 383 Megawatt, die in Deutschland im November 2020 installiert wurden, im richtigen Licht*: Weit unter dem Machbaren und Notwendigen. Der Grund ist klar: Vietnam hat ein unbürokratischeres EEG mit einem Einspeisetarif für Dachanlagen ohne Ausschreibung. Der niedrige Einspeisetarif von 0,0838 US-Dollar pro Kilowattstunde über 20 Jahre hat den rasanten Boom ausgelöst. Noch 2019 waren in Vietnam mit 378 Megawatt ähnlich wenige Installationen wie in Deutschland auf die Dächer gesetzt worden.
Vietnam hat sehr spät von Deutschland gelernt, wie man ein funktionierendes EEG entwirft. Heute kann Deutschland von Vietnam lernen, wie man den jährlichen Ausbaupfad der Photovoltaik in nur einem Jahr so beschleunigen kann, dass 100 Prozent Erneuerbare bis 2030 möglich werden.
Aufgrund der rasanten positiven ökonomischen Entwicklungen wird sich in den nächsten Jahren weltweit und auch in Deutschland der Ausbau des Ökostroms, der Ökostromheizungen und der Ökostromautos weiter beschleunigen. Nur noch unverbesserliche Ignoranten werden die ökonomischen Vorteile der E-Mobile und Solaranlagen auf dem Dach leugnen, zum Nachteil des eigenen Geldbeutels. Doch immer mehr erkennen die Vorteile für das eigene Portemonnaie und werden auf Klimaschutz mit Erneuerbaren Energien umstellen.
In diesem Jahr werden daher auch weitere Menschen in Deutschland die ökonomischen, gesundheitlichen und klimaschützenden Vorteile der Erneuerbaren Energien für sich selbst entdecken und umstellen, allen bremsenden Wirkungen der schwarz-roten Gesetzgebung zum Trotz.
Und wenn sich in diesem Wahljahr Klimaschutz und Gesundheitsschutz mit Reduzierung krankmachender Emissionen in den Wahlprogrammen niederschlägt, dann bekommen wir Ende 2021 nach einem Regierungswechsel sogar eine EEG-Novelle, die den Ausbau zusätzlich zur ökonomischen Kraft beschleunigt statt bremst. Mit Ihrem persönlichen Engagement helfen Sie mit, dass wir nicht nur in Deutschland die Chance verwirklichen, den Ausbau der erneuerbaren Energien in allen Energiesektoren aktiv zu beschleunigen, so dass 100 Prozent bis 2030 erreicht werden können.
Realisiert wird dies insbesondere dann, wenn Millionen von Bürger und Bürgerinnen – also auch Sie selbst persönlich – zwei entscheidende Aktivitäten ergreifen. Erstens: Werfen Sie nicht mehr soviel Geld raus und stellen Sie möglichst schnell auf erneuerbare Energien (Strom, Heizung und E-Auto) um und setzen Sie sich auch dafür ein, dass möglichst viele andere Menschen ihrem Vorbild folgen. Zweitens: werden Sie politisch aktiv, damit keine Partei mehr dem Klimaschutz ausweichen kann, damit statt der Bremsen nur noch Beschleuniger für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes gesetzlich entworfen und umgesetzt werden.
— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —
*Anmerkung der Redaktion: Wir haben diesen Satz nachträglich präzisiert. Die 383 Megawatt stammen aus dem November 2020 und sind nicht auf das Gesamtjahr bezogen.
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Sehr gut, mal über den Tellerrand „Deutschland“ zu schauen.
Eine Anmerkung dennoch: bis Ende 2020 wurden 4400 MWp in 2020 gebaut, aber die 383 MWp außerhalb der Ausschreibung beziehen ich nur auf den November, über das ganze Jahr 2020 sind es über 3 GWp.
Hallo ImMo,
Sie haben Recht. Wir haben das im Text nochmal korrigiert.
Vielen Dank!
Der Artikel ist in all seinen Facetten zu begrüssen; Danke..
Trotzdem eine Nachfrage:
Wie verhält es sich in Vietnam, wenn denn die Deutsche Konstruktion des EEGs als Vorlage benutzt wurde, mit der immer wieder beschriebenen Abwertung des Solarstromes durch die Differenz zu den Börsenstrompreisen?
Wir in Deutschlang haben bis 2022 ja keine wirkliche abgeschlossene und eigenständig finanzierte Lösung der Zuschläge für die PV Produktion aufgrund des Eingriffes der Bundesregierung in 2021/22 mit fest zugesicherten limitierten Zuschlägen zu rechnen.
Eine neue Bundesregierung hat hier offensichtlich schon einmal ein Aufgabenfeld, eine verlässliche Strukur für dass EEG 2023 und folgend zu entwerfen?
Thomas sagt.
Wie verhält es sich in Vietnam, wenn denn die Deutsche Konstruktion des EEGs als Vorlage benutzt wurde, mit der immer wieder beschriebenen Abwertung des Solarstromes durch die Differenz zu den Börsenstrompreisen?
@ Thomas.
Ganz einfach, wenn die das EEG von vor 2010 übernommen haben, wird bei denen ja gar nichts abgewertet.
Zur Erinnerung, … bis 2010, als bei uns der Solarstrom noch den Versorgern noch zwingend ihren Bilanzkreisen zugeteilt wurden, wurde der ja auch nicht abgewertet, sondern er wirkte kompensierend auf die EEG Mehrkosten, sprich Umlage.
Beispiel, wenn 35% relativ teurer Solarstrom vergütet werden müssen, infolge dessen aber, wegen der sinkenden Börsenpreise, die restlichen 65% konventioneller Strom um die Hälfte billiger werden, können nach dem Kosten/Nutzen Prinzip die 100% des Strombedarfs, wenn überhaupt, nicht viel teurer werden.
Wenn die Vietnamesen das unbürokratisch abwickeln, ohne Taschenspielertricks wie bei uns seitb 2010, haben die so gut wie keine EEG Umlage. Unser EEG wurde ja erst 2010 mit der Ermächtigungsverordnung zum Nachteil der Energiewende verstümmelt.
@Hans
Danke für die erneuten Ausführungen; das ist alles bekannt und schon leider kalter Kaffee für mich.
Ich hatte die Frage extra so formuliert, um herraus zu finden, wie es denn jetzt mit dem seit Jahren versemmelten Auftrieb für den Energiewandel weitergehen soll.
Stillstand bis nach der Bundestagswahl und bis die Gremien erst ins Laufen kommen würden, wäre doch einfach unerträglich; oder?