Die erneuerbaren Energien einigen Chile. Photovoltaik, Windkraft & Co. stehen für die zukünftige „Story“ des Landes. Hier ist man sich über die politischen Lager hinweg einig, und auch die etablierten Energieversorger und Bergbauunternehmen stehen hinter dem Erneuerbaren-Boom.
Mit dieser Euphorie will sich das Land nun auf der internationalen Wasserstoff-Landkarte positionieren. In dieser Woche wird der zweitägige „Green H2 Summit Chile“ stattfinden, bei der Präsident und Minister aus Chile sprechen werden, aber auch mehrere Staatsminister aus Deutschland. Für internationale Unternehmen soll durch ein professionelles Matchmaking der Zugang zu Projekten und Geschäftsmöglichkeiten erleichtert werden. Also warum nicht mal die Nabelschau der deutschen und europäischen Webkonferenzen verlassen und in Chile reinhören?
Aktuell werden dort mehrere Wasserstoffprojekte entwickelt, zum Beispiel für die Ammoniakherstellung oder auch die Herstellung synthetischer Kraftstoffe im windreichen Patagonien. Wie immer sind die Namen der beteiligten Firmen klanghaft: Siemens, Enel, Engie – aber auch die Porsche AG ist in Presseberichten schon genannt worden. Zunächst soll in Chile ein Heimatmarkt für grünen Wasserstoff geschaffen werden – die zukünftigen Exportmärkte sind jedoch fest im Blick. Der chilenische Energieminister hofft, dass sein Land im Jahr 2050 grünen Wasserstoff mit einem Volumen von bis zu 30 Milliarden US-Dollar jährlich exportieren wird. Das entspräche dem heutigen Exportwert des Kupfers, dem aktuellen Exportschlager des Landes.
Doch wohin soll das ferne Land den Wasserstoff exportieren? Es ist weiter weg von Europa als die Saharastaaten im Norden Afrikas, und Australien liegt dichter an den zukünftigen Absatzmärkten in Asien. Diese geografischen Nachteile bedeutet jedoch nicht das Ende der chilenischen Wasserstoffträume. Denn mittelfristig dürften auch in Südamerika regionale Märkte für grünen Wasserstoff und Folgeprodukte wir Ammoniak und synthetisches Methan entstehen.
Und wie schaut es mit dem Import erneuerbarer Gase für die Dekarbonisierung in Deutschland aus? Beim Import von synthetischem Methan aus dem Nahen Osten entfallen im Jahr 2030 über 93 Prozent der Kosten auf Stromerzeugung, Elektrolyse, Methanisierung und Vertriebskosten, wie eine Berechnung von Agora Energiewende zeigt. Auch wenn im Falle Chiles noch ein paar Seemeilen hinzukommen – es ist durchaus möglich, dass die dort geringeren Elektrolysekosten diesen Nachteil ausgleichen. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) schätzt die langfristigen Produktionskosten für grünen Wasserstoff in Chile auf weniger als 1,6 US-Dollar pro Kilogramm, und in Nordafrika und im Nahen Osten auf etwa 1,9 US-Dollar pro Kilogramm. In der erst entstehenden Wasserstoffwirtschaft sollten wir also mit Chile rechnen.
Kostenstruktur synthetisches Methan 2030 inklusive Transport über 11.000 Kilometern
Quelle: Agora Energiewende, „Die zukünftigen Kosten strombasierter synthetischer Kraftstoffe“. Ergebnisse 2030 des Berechnungstools für die Kosten von synthetischem Methan aus Photovoltaikstrom aus dem Nahen Osten. Eigene Darstellung.
Doch müssen wir überhaupt weiterhin Energie importieren? Viele in der Photovoltaik-Branche treten ja für die dezentrale erneuerbare Energiewelt ein. Diese sollte auch weiterhin Vorrang haben. Mit Blick auf mögliche Kostenvorteile importierter grüner Gase kann der Bezug aus sonnenreichen Gegenden jedoch eine sinnvolle Ergänzung sein. Das erst recht mit Blick auf die Flächenverfügbarkeit in Deutschland und Zentraleuropa. Wir müssen realistischerweise annehmen, dass wir die Verdopplung (Agora Energiewende) oder Verdreifachung (Reiner Lemoine Stiftung) des Stromverbrauchs im Rahmen der Sektorenkopplung nicht vollständig durch heimische Quellen werden abdecken können. Bei allem Herzblut für dezentral und erneuerbar: Wir werden also auch zukünftig auf Energieimporte angewiesen sein. Damit haben wir auch die Chance und Verpflichtung, ein neues und faires Handelssystem aufzusetzen. Regionale Diversifizierung scheint dabei mit Blick auf vergangene Rohstoffkrisen keine schlechte Idee zu sein. Und auch hier kommt Chile ins Spiel.
In diesem Sinne fördert die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) schon seit 2015 die chilenische Debatte und den internationalen Austausch zum grünen Wasserstoff. Vielleicht kommt es dann so wie Programmleiter Rainer Schröer prophezeit: „Chile ist das Paradies für erneuerbare Energien. Die Euphorie, nun das nächste Level zu erreichen ist groß. Dabei bieten sich enorme Chancen auch für deutsche Technologielieferanten und Projektierer.“
Der Autor Stephan Franz ist als freier Berater in Berlin tätig. Er erstellt seit 2007 Marktanalysen zu Photovoltaik & Co. www.burof.de
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