Der Klimawandel erfordert nicht nur die schnellstmögliche Beendigung jeglicher Emissionen und die bestmögliche Adaption an sich dramatisch verändernde klimatische Bedingungen, sondern auch den Erhalt und weitestmöglichen Wiederaufbau verlorengegangener Biodiversität. In der voranschreitenden Klimakrise dürfen wir diese drei Ziele nicht gegeneinander ausspielen, sondern müssen sie so effizient wie möglich verbinden. Denn die vorhandene Fläche in Deutschland ist begrenzt und bereits vielerorts durch landwirtschaftliche Nutzflächen in Beschlag genommen. Wie lassen sich nun Landwirtschaft, Biodiversität und erneuerbare Energiegewinnung nachhaltig vereinen?
Ein hervorragendes Beispiel für eine solche Kombination ist die Agro-Photovoltaik (APV). Denn sie ermöglicht über die Doppelnutzung des Ackers eine hochgradig effiziente Flächennutzung und bietet neben der zusätzlichen Energiegewinnung auch verschiedenste Vorteile für die Landwirtschaft und den Erhalt der Biodiversität auf dem Land.
Zwar wird an entsprechenden Methoden und Technologien an einigen Stellen in Deutschland höchst erfolgreich geforscht, aber trotz ihres enormen Potenzials und einem ebenso enormen klima- und umweltpolitischen Handlungsbedarf führt die APV außerhalb von Expertenkreisen weitestgehend ein Schattendasein. Dabei ist sie eine entscheidende Säule für die deutsche Energie- und Agrarwende, hin zu erneuerbarer Energiegewinnung und nachhaltiger Bodennutzung. Und deswegen ist ein Ausbau der Förderung über eine Einbeziehung in das EEG entscheidend.
Bereits heute ein Erfolgsmodel
Bereits heute kann die APV auf verschiedene Art und Weise eingesetzt werden. Bisher werden für die APV vor allem hochaufgeständerte Photovoltaik-Module verwendet. Zunehmend kommen auch vertikale beziehungsweise leicht schräge Photovoltaik-Anlagen in die Anwendung, die durchgehend über der Ackerfläche platziert werden oder sie in Streifen durchziehen, so dass beispielsweise Traktoren die Fläche dazwischen bearbeiten können, während sich unter den Anlagen Blühstreifen für die Biodiversität oder Mischfruchtanbau befinden.
Hier ist zum Beispiel das Projekt „Flower Power“ zu nennen, das die Firma Goldbeck Solar gemeinsam mit dem Projektmanager Volker Korrmann entwickelt hat. Die unter den Solaranlagen eingestreuten Sträucher wirken der Austrocknung auf dem Feld entgegen und auch die teilbeschatteten Anbauflächen erbringen gesteigert Felderträge, insbesondere in den wegen dem Klimawandel auch bei uns zunehmenden Dürreperioden. Zusammengefasst: Diese Art der APV verdrängt nicht die Landwirtschaft, sondern unterstützt „diese durch Feuchtigkeitszonen, Teilverschattung, Biodiversität, Wasserspeicherung und Windschutz“, so Korrmann.
Forschung und Innovation
Auch die Politik erkennt stellenweise, wie erfolgversprechend die Anwendungsmöglichkeiten der APV sind. So hat das bayerische Wirtschaftsministerium der Augsburger PV-Firma Tube Solar AG jüngst einen Förderbescheid über 10,8 Millionen Euro bewilligt. Der Konzern stellt neuartige PV-Dünnschichtröhren her, die vor allem für die APV genutzt werden sollen und durch ihre Wasser- und Lichtdurchlässigkeit und ihr geringes Gewicht noch mehr Anwendungsbereiche in der Landwirtschaft eröffnen. Darüber hinaus sorgen die Module für Teilbeschattung und bieten Schutz vor Extremwetter wie Hagel und Vogelfraß, enthalten somit auch sämtlich Vorteile älterer APV-Technologien. Außerdem sorgt das geringe Gewicht der Röhren dafür, dass die Module auch auf Dächern installiert werden können, die vorher aus statischen Gründen nicht für Solarpanele nutzbar waren. Auch weitere Firmen wie Schlaich Bergermann, Next2Sun und Baywa forschen derzeit an der Weiterentwicklung der APV.
Nicht nur in Bayern, auch in Rheinland-Pfalz wird die APV im Rahmen der sogenannten „Solar-Offensive“ verstärkt gefördert. So wurden zusätzliche 14 Millionen Euro aus dem Corona-bedingten Nachtragshaushalt neben anderen Solartechnologien unter anderem zur Förderung der APV bereitgestellt.
Auch in deutschen Spitzenforschungsinstituten werden Modelle und Technologien für die APV entwickelt. So bietet beispielsweise das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme einen Leitfaden zur APV und verschiedenste Forschungs- und Entwicklungsleistungen zu APV-Anlagen von der Machbarkeitsstudie bis zur Optimierung des Betriebs.
Eine Denkfabrik von 5 Hochschulen/Universitäten, 6 wissenschaftlichen Forschungsinstituten, 12 Firmen, der Stadt Offenburg und 15 Landwirten unter der Leitung der Hochschule Offenburg wird mit dem Projekt Landwirtschaft 5.0 auch APV-Anlagen verwirklichen.
Weit vorangeschritten ist das gemeinsame Forschungsprojekt „Nachhaltige Kombination von bifacialen Solarmodulen, Windenergie und Biomasse bei gleichzeitiger landwirtschaftlicher Flächennutzung und Steigerung der Artenvielfalt“ (BiWiBi) des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW), des Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) und anderen. Hier wird aktiv an der marktwirtschaftlich rentablen Flächennutzung und Vereinbarkeit von erneuerbarer Energieerzeugung, Nahrungsmittelerzeugung und Biodiversität gearbeitet. In ihren bisherigen Untersuchungen kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die 2,67 Millionen Hektar an landwirtschaftlich genutzter Fläche in Deutschland mit nachhaltiger Nutzung von APV immer noch zu 90 Prozent landwirtschaftlich nutzbar wären und gleichzeitig eine jährliche Erzeugungskapazität von 800 Terawattstunden an erneuerbarem Strom installiert werden könnte. Zum Vergleich: Der deutsche Strombedarf 2019 lag bei 512 Terawattstunden. Die Möglichkeiten und Chancen der APV sind also äußerst vielversprechend, doch es fehlt bisher – wie so oft – am politischen Willen, diese Chancen auch zu nutzen. So hat bis heute die Führung des Bauernverbandes die großen Chancen der APV für Landwirte nicht erkannt und spricht noch immer von der Wegnahme guter Ackerböden statt von der Doppelnutzung auf dem Acker.
Der politische Wille
Zwar sind viele APV-Projekte heute noch mit Starthilfen förderbedürftig, doch die Preisentwicklung der Photovoltaik in den vergangenen zwei Jahrzehnten sollte den politisch Handelnden aufzeigen, dass auch hier die Kostensenkungen bei flächendeckender Nutzung und durch weitere Innovationen enorm sein werden. Darüber hinaus kann die Forschung und die Entwicklung von APV-Systemen enorm zur Zukunft des Technologiestandortes Deutschland beitragen und bietet damit hohes Potenzial für den Export in andere, sonnenreichere Regionen, die von der APV ebenfalls profitieren könnten. Nachhaltige Landwirtschaft kombiniert mit erneuerbaren Energien „made in Germany“, damit könnte sich Deutschland erneut als weltweiter Pionier in Sachen Klima- und Umweltschutz positionieren, wenn es nur will. Allerdings drängt die Zeit, denn in China sind bereits viele APV-Anlagen verwirklicht worden und China exportiert auch zunehmend APV-Techniken.
Doch damit dies geschieht, muss erst einmal die Förderung der APV in Deutschland ausgebaut werden. Diese Notwendigkeit scheint nun auch teilweise politisch erkannt worden zu sein. So fordert die baden-württembergische Landesregierung aus CDU und Grünen (!) nun die Bundesregierung auf, APV in der kommenden EEG-Novelle besonders zu berücksichtigen, zum Beispiel durch die Schaffung eines neuen Fördersegments für APV im Rahmen der anstehenden EEG-Novelle.
CDU/CSU und SPD sind nun in Berlin gefordert, über die landespolitischen Unterstützungen hinaus bundespolitisch ein Zeichen für die APV zu setzen und sie in das EEG aufzunehmen. Die beste Starthilfe wäre ein zusätzlicher Vergütungssatz von etwa zwei Cent pro Kilowattstunde für APV-Anlagen. Das würde neben der Erzeugung von Ackerfrüchten wie Korn, Gemüse, Wein oder Obst – am besten mit Biolandwirtschaft – auch die Biodiversität mit Sträuchern, Bäumen und Blühstreifen befördern.
Die APV kann die durch zunehmende Dürren entstehenden Ernteeinbußen mit Beschattungswirkung und optimiertem Wassermanagement deutlich abmildern, die Biodiversität auf den Äckern deutlich erhöhen und hilft gleichzeitig, klimaschädliche Kohle- und Erdgaskraftwerke schneller abzuschalten. Kaum eine andere Technologie bietet so viele positive Synergien in dem sich zuspitzenden Klimanotstand wie die APV.
— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —
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wäre auch das erste Mal, dass der deutsche Bauernverband seinem Ruf als Betonfraktion und Totalverweigerer was Naturschutz und Klimawandel betrifft, nicht gerecht wird.
Lustig, wie im verlinkten Artikel die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Energieerzeugung pauschal abgelehnt wird, obwohl ein sehr beträchtlicher Anteil dieser Flächen heute für den Anbau Energiemais genutzt wird. Man muß wohl Funktionär sein, um da keinen Widerspruch zu sehen.
Ein gelungener und fundierte Ansatz der Artikel.
Leider wird schon wieder der Ruf einen zusätzlichen Förderung mit eingebracht.
Angesichts der viel geringeren Anlagepreise gegenüber der vergangenen Jhre wäre es nicht sinnvoll, über eine notwendige Hilfestellung für die möglichen Investoren über Design, technische Ausbildung und vor allen Dingen der Antragstellung selbst für PV nachzudenken?
im Moment ist es offensichtlich ein Dschungel, in den kein Bodenständiger freiwillig hineingehen will.
Viele möglichen Investoren müssten eigentlich nur an die Hand genommen werden und dann bedarf es doch nur noch einen zusätzlichen Stubs!
Man braucht die PV Anlage doch gar nicht aufzuständern, um darunter zu fahren. Jeder Bauer muss schon jetzt 5% seiner Ackerfläche stilllegen.
Auf den Flächen könnte bestens PV und Artenschutz gemeinsam betrieben werden. Pflanzen und Tiere freuen sich über die teilweise Verschattung, das Wasser kann ungestört und unbelastet das Grundwasser auffüllen und umweltfreundlicher Strom wird auch noch erzeugt.
Man muss nur die PV Tische vielleicht etwas höher machen, damit sie bei der Mahd der Fläche etwa nur alle zwei Jahre im Wechsel nicht verschattet werden.