Ein Politikmix ist notwendig, damit Deutschland bis 2050 klimaneutral werden kann. Das zeigt die von Prognos, Öko-Institut und Wuppertal Institut erstellte Studie „Klimaneutrales Deutschland“ im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität, die am Donnerstagmorgen in Berlin präsentiert wurde. Dieses Ziel kann demnach ein großes Investitions- und Zukunftsprogramm ermöglichen, das Kohle, Öl und Gas in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen durch Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ersetzt. Der erste Schritt ist laut Studie die Anhebung des deutschen Klimaziels bis 2030 auf 65 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990. Der zweite Schritt sei ein vollständiger Umstieg auf klimaneutrale Technologien, was die Emissionen um 95 Prozent sinken lasse. Der dritte Schritt beinhalte dann den Ausgleich nicht vermeidbarer Restemissionen durch CO2-Abscheidung und -Lagerung.
Mit Blick auf die Energiewirtschaft ist laut Studie eine Verdreifachung der aktuell installierten Photovoltaik-Leistung auf 150 Gigawatt bis 2030 nötig. Windkraft an Land müsse von aktuell 54 auf 80 Gigawatt steigen, Windkraft auf See von derzeit knapp 8 auf 25 Gigawatt. Im Gegenzug würde der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschleunigt und schon bis 2030 abgeschlossen. Durch diese Maßnahmen würde der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2050 auf 100 Prozent steigen. Die Stromnachfrage selbst wird laut Studie wegen der sektorübergreifenden Elektrifizierung und die steigende Herstellung von Wasserstoff um rund 50 Prozent auf 960 Terawattstunden erhöhen. Der Wasserstoff soll unter anderem in Back-up-Kraftwerken eingesetzt werden, die einspringen, wenn Wind- und Solaranlagen keinen Strom liefern können. Die Energiewirtschaft könne so zur Hauptsäule des Klimaschutzes in den kommenden zehn Jahren werden und die jährlichen CO2-Emissionen um 207 Millionen Tonnen senken. Das entspreche in etwa der Hälfte der nötigen Minderung von 420 Millionen Tonnen im Jahr 2030.
Im Verkehrssektor wäre laut Studie zunächst eine schnelle Elektrifizierung notwendig, sowohl im Pkw-Bereich wie im Güterverkehr. Strombasierte synthetische Kraftstoffe kommen dem Szenario zufolge im Verkehr erst nach 2030 allmählich zum Einsatz, vor allem im Flug- und Schiffsverkehr. Gleichzeitig wachse die Bedeutung der Schiene sowie der Verkehr via Bus, Bahn, Fuß und Fahrrad.
Für die Industrie sieht die Studie neben der direkten Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur als entscheidend an. In der Stahlindustrie beispielsweise müsse rund die Hälfte der Hochöfen in Deutschland bis 2030 aus Altersgründen ersetzt werden – am besten mit Anlagen, die anstelle von Kokskohle mit Wasserstoff betrieben werden. Bis 2050 soll zudem Wasserstoff nach und nach Erdgas als Rohstoff ersetzen, was neben inländisch hergestelltem Wasserstoff auch Wasserstoffimporte immer wichtiger werden lasse. Die Studie geht davon aus, dass etwa drei Viertel des hierzulande benötigten Wasserstoffs außerhalb Deutschlands produziert werden wird. Nicht vermeidbare CO2-Emissionen wie beispielsweise bei der Zementproduktion machen laut Studie eine Abscheidung und unterirdische Deponierung (Carbon Capture and Storage) unumgänglich. In Kombination mit der Nutzung von Biomasse sei der Einstieg in die CCS-Technologie um 2030 auch unvermeidbar, um Restemissionen etwa in der Landwirtschaft auszugleichen.
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Im Gebäudesektor kommt es laut Studie vor allem auf eine Steigerung der Energieeffizienz an, da trotz eines massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien Strom und Wasserstoff nicht im Überfluss zur Verfügung stehen würden. Kern seien eine vollständige energetische Sanierung des Gebäudebestands bis 2050 kombiniert mit der effizientesten Nutzung von Strom zum Heizen kombiniert. Eine Wärmepumpe beispielsweise verbrauchr mindestens fünfmal weniger Strom als nötig ist, um die gleiche Wärmeenergie aus elektrisch hergestelltem synthetischem Erdgas zu gewinnen.
In der Landwirtschaft muss laut Studie bis 2030 der Schwerpunkt darauf liegen, Methanemissionen aus Gülle zu verringern, etwa durch Vergärung in Biogasanlagen oder eine Verringerung der Tierbestände. Ein weiterer Schritt sei der vermehrte Anbau von Kulturarten mit geringerem Bedarf an Stickstoffdünger. Nicht vermeidbare Emissionen in der Landwirtschaft müssten von 2050 an ebenso wie in der Industrie über CCS neutralisiert werden.
„Der Weg in die Klimaneutralität ist ein umfassendes Investitions- und Zukunftsprogramm für Deutschland, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren“, so Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Die ausführliche Version der Studie mit Ergebnissen für alle Sektoren, Modellierungsvarianten und Methodenteil wird voraussichtlich am 9. November veröffentlicht.
Grafik: Studie „Klimaneutrales Deutschland“
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Es ist sehr bedenklich, als wichtiges Element eines Konzeptes etwas zu nennen, wofür es noch keinen Beleg gibt, dass es machbar ist. Ich meine das CCS. Kohlenstoffdeponierung ist notwendig, aber vielleicht doch besser in der Form, die die Natur seit Millionen Jahren erfolgreich beschritten hat: Als Kalk und als Kohlenwasserstoff.
Das CCS wird es schwer haben, weil es auch politischen Widerstand geben wird. Dass es bisher keinen Nachweis gibt, dass es technisch nachhaltig möglich ist, kommt dann bloß noch dazu. Und der Energieaufwand dafür wird mit jeder administrativen Hürde, die als Konzession an den politischen Widerstand errichtet wird, noch größer werden, wenn man beispielsweise ehemalige Erdgaslagerstätten im Meer mit CO2 auffüllen will, weil CCS an Land noch weniger durchsetzbar ist. Dass man Bioreststoffe hingegen so lagert, dass sie sich wie Torf nur sehr langsam zersetzen, das erscheint mir schon sinnvoller. Und die Kalkbildung findet laufend im Meer statt. Deshalb müssen wir gar nicht alles CO2, das wir heute freisetzen, auch selber kompensieren. Die Natur arbeitet mit. Nur etwa die Hälfte des heute von uns in die Atmosphäre freigesetzten CO2 verbleibt auch dort. Die andere Hälfte wird von Landpflanzen und den Meeren aufgenommen und dem Kreislauf entzogen.
Ansonsten erscheinen mir die Bedarfszahlen an Erneuerbaren Anlagen, die da genannt werden, gefühlsmäßig etwas niedrig. Die Investitionen, die anderswo getätigt werden müssen, um unseren Wasserstoffbedarf zu befriedigen – 3/4 davon soll nach diesem Konzept aus dem Ausland kommen – sollte man der Ehrlichkeit halber mit erwähnen. Die werden wir ja auch bezahlen müssen, sei es direkt, oder über den Preis des Wasserstoffs.