Künstliche Intelligenz (KI) kommt in der Energiewirtschaft bisher vor allem bei Monitoring- oder Prognoseaufgaben zum Einsatz. Mit Fortschreiten der Energiewende, einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien und der Sektorenkoppelung wird KI künftig aber auch in großem Maßstab die Prozesse des Energiesystems steuern. Wie das vonstatten gehen könnte, soll nun ein neues Kompetenzzentrum für Kognitive Energiesysteme (K-ES) untersuchen. Getragen wird es vom Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE. Die hessische Landesregierung fördert dessen Aufbau in den Jahren 2020 bis 2022 mit insgesamt 5,8 Millionen Euro. Das K-ES wird Teil des gerade in Bau befindlichen Campus des Fraunhofer IEE in Kassel.
„Stromerzeugung aus Solar- und Windenergieanlagen macht das Versorgungssystem deutlich kleinteiliger und wetterabhängiger als der Betrieb von konventionellen Kraftwerken. Zudem muss sich der Verbrauch stärker nach dem Stromangebot richten. Die dazu nötige Flexibilität lässt sich mit der bisherigen Infrastruktur noch nicht bewältigen. Ein dezentrales System kann nur über digitale Prozesse in Echtzeit und automatisierte Entscheidungen funktionieren“, erläutert Clemens Hoffmann, Leiter des Fraunhofer IEE, die Motivation des Forschungsvorhabens.
Hoffmann sieht in der Digitalisierung die Basis für die nächsten Schritte der Energiewende. Die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse einer dezentralen erneuerbaren Energieversorgung seien äußerst komplex, so der Fraunhofer-Forscher. Erst durch Künstliche Intelligenz werde es möglich, unterschiedliche Systeme wie Strom- und Wärmeversorgung sowie die Mobilität über automatisierte Entscheidungen im großen Maßstab zu verbinden.
KI für Photovoltaik- und Windenergieanlagen, Ladestationen und Elektrolyseure
Das Fraunhofer IEE sieht bereits heute in unterschiedlichen Bereichen der Energiewirtschaft einen Bedarf für KI. So gehe es im automatischen Energiehandel um Systeme, die selbständig Handelsstrategien identifizieren und Käufe oder Verkäufe auslösen. Photovoltaik- und Windenergie-Anlagen sowie Ladestationen oder auch Elektrolyseure können mit KI ihren Betrieb optimieren und dadurch Wartungen vermeiden und die Lebensdauer erhöhen. Im Netzbereich wird die Technologie genutzt, eine Vielzahl von Informationen auszuwerten, kritische Situationen zu erkennen und deren Lösung zu unterstützen.
Das Kompetenzzentrum betrachtet die Aufgaben im Energiesystem aus der KI-Perspektive und entwickelt sie in den drei Bereichen Kognitive Energiewirtschaft, Kognitive Energienetze und Kognitive Energiesystemtechnik weiter, so das Fraunhofer IEE. „Ein kognitives Energiesystem bestimmt seinen Zustand anhand verfügbarer Information selbstständig und lernt, vorgegebene Ziele zu erreichen“, erläutert IEE-Projektleiter André Baier. „Künstliche Intelligenz steht der menschlichen Intelligenz nicht gegenüber, sondern mit ihr in einem ständigen Austausch und unterstützt sie. Mit der Weiterentwicklung der Technologie werden sich beide Seiten verändern.“
Internationale Zusammenarbeit
Im ersten Schritt des Aufbauprozesses richtet das Fraunhofer IEE Räumlichkeiten und die IT-Infrastruktur mit einem Cloudsystem ein. Im Anschluss entsteht eine digitale Plattform, über die sich Partner aus Wirtschaft und Forschung austauschen können. Der Schwerpunkt der Startphase liegt dabei auf der Rekrutierung von Wissenschaftlern und dem Aufbau von Kompetenzen. „Unser Anliegen ist es, Wissenschaftler zu verbinden, die ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, unabhängig davon, an welchem Ort der Welt die Experten zuhause sind“, so Baier.
Bis zur geplanten offiziellen Gründung des Kompetenzzentrums steht zudem die Akquise von Partnern und Anwendungsprojekten aus der Wirtschaft im Vordergrund. Denn eine enge Verbindung mit der Energiebranche ist Teil des Konzepts: Zu den Dienstleistungen des K-ES für Energieunternehmen zählen Beratung und Konzeptionsstudien über Prototypen bis hin zu schlüsselfertigen Systemen.
In den nächsten zehn Jahren sollen sich am K-ES rund 100 Experten mit den Disziplinen Data Science, Advances in Machine Learning, Recommender Systems und Digital Innovation Management beschäftigen. Derzeit sind 15 Mitarbeiter am Fraunhofer IEE in diesen Themenfeldern tätig.
Um der hohen Internationalität der KI-Forschung Rechnung zu tragen, bietet das Kompetenzzentrum auch Gastwissenschaftlern aus der ganzen Welt die Möglichkeit der Mitwirkung. „Durch die spezielle Trainings-Infrastruktur, eine entsprechende Hard- und Software sowie einen umfassenden Modell- und Datenbestand können wir effizient und standortübergreifend KI-Forschung für das Energiesystem betreiben“, erklärt der wissenschaftliche Leiter des K-ES, Christoph Scholz.
Weltweit wird intensiv an der Entwicklung von KI gearbeitet. Deutschland hat bisher deutlich weniger für eine entsprechende Forschung ausgegeben als die USA und China. Im Zuge des Corona-Zukunftspakets der Bundesregierung sollen nun bis 2025 insgesamt fünf Milliarden Euro in KI investiert werden.
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„Zudem muss sich der Verbrauch stärker nach dem Stromangebot richten.“ Was soll das denn? Wenn EE-Anlagen den gesamten Stromverbrauch erzeugen, dann ist das garantiert viel mehr, als man direkt verbrauchen kann. Also ist Stromspeicherung und nicht der Stromverbrauch das Problem der Energiewende. Vielleicht sollte der Energiesektor wieder so langweilig werden, wie vor der Liberalisierung und nicht Aktionärs-Interessen bedienen müssen….