Als ich im Frühling 2017 zum ersten Mal in den Nordirak fliegen sollte, um mir das Camp Mam Rashan und seinen Energiebedarf anzuschauen, war mir mulmig. Reisen in die Region die man sonst nur aus den Nachrichten kennt. Ich konnte mich, zusammen mit meinem Chef Dietrich Brockhagen, einer Gruppe der Initiative Flüchtlingsdorf Ruhrgebiet anschließen, die bereits seit 2015 im Camp Mam Rashan aktiv ist. Sie haben mir immer wieder versichert, dass es Gebiete in Essen gibt, die gefährlicher sind als der Nordirak. Ich war skeptisch, aber in einer Gruppe zu reisen hat mich beruhigt.
Nachdem wir in Erbil angekommen waren, fuhren wir durch faszinierend weite Landschaften bestickt mit Ziegenherden, vorbei an Rohbauten und Dörfern. Wir konnten nicht den direkten Weg zum Camp nehmen, da die vom IS besetzten Gebiete zum Teil noch zu nah waren und Straßen und Brücken zerstört waren. Der IS ist zwar in den letzten beiden Jahren stark zurückgedrängt worden, aber in Mossul und den umliegenden Regionen wurde noch gekämpft und zu dieser Zeit kamen noch täglich Busladungen, voll mit Geflüchteten, aus den besetzten Gebieten.
Wir passierten große Flüchtlingslager vom UNHCR, die für syrische Geflüchtete errichtet worden waren. Für die Binnengeflüchteten ist die Zentralregierung von Kurdistan selbst zuständig. Das Board of Relief und Humanitarian Affairs (BRHA) kümmert sich um die 22 Camps für Binnengeflüchtete, von denen Mam Rashan eines ist. Nach drei Stunden Autofahrt sah ich am Horizont einen kleinen Fleck aus hingestreuten weißen Punkten. Fernab der nächsten Ortschaft standen dort fast 2000 weiße Wohncontainer auf einem flachen Hang, brütend in der Sonne.
Ich wurde gleich freundlich vom Campleiter Shero Smo begrüßt, der die nächsten drei Jahre ein verlässlicher Ansprechpartner für mich war. Es war sehr heiß und staubig, keine Wolken, zum Glück etwas Wind, aber die Temperaturen stiegen dennoch auf weit über 30 Grad. Menschen sah ich kaum. Die meisten hatten sich in ihre Container verzogen. Nur ein paar Kinder spielten auf dem Fußballplatz und liefen auf dem Gelände der Schule herum.
Shero nahm uns mit auf einen Rundgang; auch in die Container durften wir schauen, die Bewohner stimmten zu. Die Container, im Durchschnitt bewohnt von fünf Menschen, bestehen aus zwei kleinen Räumen und dazwischen einer kleinen Kochnische und einem Mini-Badezimmer. Es war eng und drückend heiß dort drin, die Lüftung verschluckt viel Strom und den gibt es nicht ausreichend. Die meisten Menschen haben sich noch eine Decke als Vorzelt aufgespannt, hier lagern sie Koffer und Lebensmittel. Ein bedrückender Eindruck. Nachdem ich aber in den darauffolgenden Tagen eines der anderen Camps besucht habe, indem die Geflüchteten in Zelten lebten, die permanent feucht waren, ist mir schnell klargeworden, dass die Campbewohner in Mam Rashan noch Glück hatten.
Mam Rashan soll so ausgebaut werden, dass es als langfristiges Camp bestehen bleibt und für rund 10.000 Menschen in über 1.800 Wohncontainern eine Zuflucht darstellt. Nicht wenige der Geflüchteten richten sich für längere Zeit in Mam Rashan ein, weil sie nicht in ihre zerstörten oder noch unsicheren Heimatregionen zurückkehren können. So wird das Camp zur neuen Heimat für viele Menschen. Wenn sie eine Zukunft haben wollen, dann muss ein Ort entstehen, wo Handwerk betrieben werden kann, Kinder zur Schule gehen und alle ein möglichst normales soziales Leben führen können.
Dafür hatten die Campleitung und verschiedene NGOs damals bereits viel unternommen. Sie errichteten zwei Schulen, einen Kindergarten, ein Krankenhaus und dachten auch an einen Fußball- und einen Spielplatz. Gewächshäuser und ein Trauma-Zentrum gibt es ebenfalls, stetig unterstützt von der Initiative Flüchtlingsdorf Ruhrgebiet und der Schwäbischen Zeitung. Woran es fehlte war eine Energieversorgung auch am Tag. Das Camp ist wie alle Camps ans nationale Netz angeschlossen, wird aber hauptsächlich nur nachts versorgt, da die Kapazitäten sonst nicht ausreichen. Dadurch können die Bewohner ihre Container am Tage nicht kühlen und alle elektrischen Geräte nicht nutzen. Einzelne Familien und Gewerbebetreibende, die es sich leisten können, haben einen eigenen Dieselgenerator, aber alle andere brüten in der Hitze. In Rücksprache mit allen Betroffenen stand unser Entschluss am Ende der Reise fest: Wir bauen die erste Photovoltaik-Anlage mit Batteriespeicher im Nordirak.
Der Bau der Photovoltaik-Anlage
Zum Bau der Anlage habe ich mich im Juni 2018 zusammen mit Jörgen Klammer, der das Engineering für die Energieversorgung gemacht hat, erneut auf in den Irak gemacht. Hoshyar Rassam, unser lokaler Projektleiter und mein verlängerter Arm im Irak, hat uns vom Flughafen eingesammelt. Auf der Fahrt zum Camp konnte ich erkennen, dass sich viel getan hat. Eine Brücke, die vor einem Jahr noch unpassierbar war, wurde wiederaufgebaut. Auf ihr, viele Stände mit Früchten und Gemüse. Und auch das Camp hatte sich verändert. Die Campbewohner haben kleine Gärten vor ihre Container gepflanzt und auf den Wegen im Camp war es wesentlich lebendiger als noch vor einem Jahr. Die Region ist wieder aufgeblüht.
Angekommen bei dem Anlagenstandort inmitten des Camps war klar, dass unsere Helfer vor Ort schon einiges geleistet hatten aber auch, dass uns eine Woche mit sehr viel Arbeit erwartete. Für die Installation der Anlage haben wir den Elektriker Nawar Basil als Bauleiter in der Türkei ausgebildet und Bewohner aus dem Camp als Installationsteam beauftragt, um dadurch direkt vor Ort Arbeitsplätze zu schaffen. Manche von ihnen sind mit Ihrer gesamten Familie in das Camp geflüchtet und als Vater oder ältester Sohn oft allein für den Familienunterhalt zuständig. Andere leben wiederum ganz allein im Camp und sind neben dem zusätzlichen Verdienst auch wegen der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit Teil der Truppe. Bis auf den Schweißer, der eine eigene Werkstatt im Camp hat, haben alle anderen keinen anderen Job und hätten als Alternative nur die Arbeit auf den Feldern der umliegenden Bauern für weniger als ein Drittel unseres Gehaltes.
Wie auch oft in Deutschland der Fall, bestand das Installationsteam nur aus Männern. Am ersten Tag fiel es den meisten schwer, mich mit anpacken zu sehen und als Projektleiterin zu akzeptieren, aber das hat sich zum Glück gelegt und wir wurden ein gut funktionierendes Team. Von morgens um 7 Uhr bis abends um 18 Uhr arbeiteten wir in der prallen Sonne bei 37 Grad ununterbrochen durch. Freie Haut wurde unter Tüchern und langer Kleidung vor der Sonne geschützt. Wasser wurde literweise konsumiert. Nur 3 von 30 Leuten sind Moslems und verzichteten aufgrund von Ramadan auf Wasser. Ihnen galt mein besonderer Respekt. Wir kamen sehr gut voran und waren stolz aufeinander. Nach nur drei Tagen stand der erste Teil der Photovoltaik-Anlage. Bis zum Ende glaubten die Wenigsten daran, dass diese Anlage irgendwann mal aus Sonne Strom produzieren kann. Es ist die erste Photovoltaik-Anlage im ganzen Nordirak. Dementsprechend also eine Technologie, die dort kaum jemandem vertraut ist. Den Ausbau der Anlage machte das Team dann ein Jahr später unter der Anleitung des Bauleiters Nawar Basils bereits selbständig.
Erweiterung der Anlage
Dank der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) und diversen Unterstützern aus der Solarbranche und vor Ort (siehe Homepage), konnten wir in den zwei Bauabschnitten insgesamt eine 980 Kilowatt Photovoltaik-Anlage mit 800 Kilowattstunden Batteriespeicher und Niederspannungsnetz errichten. Den ersten Bauabschnitt (387 Kilowatt Photovoltaik-Leistung und 273 Kilowattstunden Batteriekapazität) haben wir bereits im Oktober 2018 in Betrieb genommen. Uns war damals bewusst, dass die installierte Leistung nicht ausreicht, um das gesamte Camp gleichzeitig zu versorgen, so dass wir die Lastknoten nacheinander in einem rotierenden Prinzip versorgt haben. Aber trotzdem bekamen wir im Winter Probleme mit den einzelnen Lastknoten, bei denen uns nacheinander die Lastschalter abbrannten.
Der Energiebedarf stieg stark an, da viele Haushalte ihre Öl-Heizung durch eine elektrische Heizung ersetzten und manche Haushalte die vom Camp gestellten Sicherungen eigenhändig durch größere tauschten. Uns war klar, dass nur ein Ausbau der Anlage und eine Umstrukturierung des Niederspannungsnetzes die Energieversorgungslage verbessern kann. Den zweiten Bauabschnitt (600 Kilowatt PV-Leistung und 532 Kilowattstunden Batteriekapazität), der bis auf die Installation des Batteriecontainers fertiggestellt ist, werden wir diesen Sommer in Betrieb nehmen. Das Niederspannungsnetz haben wir auf Wunsch der Campleitung so umstrukturiert, dass jeder Haushalt einen 2 Ampere-Anschluss, erhält den sie nicht eigenhändig tauschen können. Dadurch kann die Photovoltaik-Anlage alle Haushalte gleichzeitig mit Strom am Tage versorgen. Und in der Nacht bekommen die Haushalte weiterhin Strom über ihren 6 Ampere-Anschluss durchs öffentliche Netz.
Jeder einzelne des tollen Teams vor Ort und in Deutschland hat einen großartigen Job gemacht und hilft, dass die Anlage stetig verbessert wird und sich damit die Lebensbedingungen in Mam Rashan verbessern. Auch auf diesem Wege noch einmal DANKE!
—- Die Autorin Nele Erdmann ist Diplom-Wirtschaftsingenieurin für Energie- und Umweltmanagement. Sie arbeitete 6 Jahre lang für die 8.2 Ingenieurpartnerschaft Obst und Ziehmann als Sachverständige für Photovoltaik und leitete den internationalen Geschäftsbereich. Seit 3,5 Jahren arbeitet Nele Erdmann bei atmosfair gGmbH als Projektleiterin für Klimaschutzprojekte. —
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Tolle Leistung, Nele und Jörgen – Gratulation!
Hoffentlich tut die Anlage noch lange zuverlässig ihren Dienst, insbesondere die Wechselrichter… 😉