Die Bundesregierung strebt einen Anteil von 65 Prozent erneuerbare Energien im Stromsektor bis 2030 an. Aktuell ist der Anteil erneuerbarer Energien mit mehr als 50 Prozent sehr hoch und die Stromnachfrage sowie CO2-Emissionen sinken. Doch dies ist nur eine Momentaufnahme, die den massiven Eindämmungsmaßnahmen der Corona-Pandemie geschuldet sind – und natürlich auf für Photovoltaik und Windkraft günstigen Witterungsbedingungen. „Diese kurzfristigen Effekte dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Energiebedarf mittel- und langfristig deutlich steigen wird. Um einerseits wettbewerbsfähig zu bleiben und andererseits die Klimaziele zu erfüllen, müssen Industrieunternehmen, die Wärmeversorgung und der Verkehrssektor klimafreundlich modernisiert und die Sektorenkopplung vorangebracht werden“, heißt es vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Warum das Ziel von 65 Prozent viel weiter entfernt sein könnte, als die Regierung glaubt, liegt auch an der Rechnung, die man zugrunde legt. So geht die Bundesregierung von einer gleichbleibenden Stromnachfrage für das Jahr 2030 aus. Doch dies sehen viele Experten anders, so auch der BEE, denn sie rechnen im Zuge der Sektorenkopplung und Elektromobilität einen deutlich steigenden Bedarf. Der BEE hat nun den veränderten Stromverbrauch sowie konjunkturelle Schwankungen durch die Corona-Krise in sein „Szenario 2030“ einfließen lassen. Das Ergebnis: Deutschland droht eine „gewaltige Ökostromlücke“ von 100 Terawattstunden bis 2030.
„Anstatt drängende Entscheidungen bei der Energiewende weiter auszusitzen, muss die Bundesregierung rasch bestehende Barrieren beseitigen und den längst überfälligen Fahrplan für den Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 vorlegen“, erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter. Der Verband hält einen deutlich stärkeren Ausbau der Erneuerbaren für notwendig. Nach seinen Berechnungen müssten der Zubau auf jährlich 10 Gigawatt Photovoltaik, 4,7 Gigawatt Windkraft an Land und 2 Gigawatt Offshore-Windkraft sowie 600 Megawatt Bioenergie und je 50 Megawatt Wasserkraft und Geothermie gesteigert werden. Nur so lasse sich die Ökostromerzeugung auf 481 Terawattstunden bis 2030 steigern, was einem Anteil von 65 Prozent im Jahr 2030 entspreche.
Die Bundesregierung legt bislang ganz andere Zahlen zugrunde. Sie rechnet mit 372 bis 382 Terawattstunden Ökostrom, um das 65-Prozent-Ziel zu erreichen. Damit nimmt sie lediglich einen Bruttostromverbrauch von 572 bis 587 Terawattstunden im Jahr 2030 an. Die Bundesregierung müsse endlich auch einen Fahrplan veröffentlichen, wie die Erneuerbaren bis 2030 ausgebaut werden sollen. Das Jahr 2020 dürfe sie wegen der Corona-Krise jedoch nicht zur Grundlage nehmen. „Kurzfristige Effekte wie ein niedrigerer Energieverbrauch der Industrie, ein Anteil von erneuerbaren Energien am Strommix von über 50 Prozent im ersten Quartal 2020 sowie das mögliche Erreichen des Klimaziels für 2020 sind krisenbedingt nicht nachhaltig und deshalb nicht dazu geeignet, um Rückschlüsse auf die kommende Entwicklung bis 2030 zu ziehen“, forderte Peter. Es gehe eher darum, den wachsenden Bedarf an Strom durch die Sektorenkopplung zu berücksichtigen. Zugleich weist sie darauf hin, dass ein schnellerer Ausbau der Erneuerbaren auch die regionale Wertschöpfung stärken und neue Arbeitsplätze schaffen würde.
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