„Hilft“ Covid-19 dem Klimaschutz? Corona-Krise macht CO2-Steuer und Emissionshandel unwirksam

Hans-Josef Fell

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Die weltweiten Treibhausgasemissionen sinken seit dem Ausbruch der Corona-Krise deutlich. Der weltweite Flugverkehr ist auf ein minimales Niveau gesunken. Die Industrieproduktion bricht ein. Mein Blick auf die A7 in der Nähe meines Wohnortes zeigt mir überdeutlich, dass fast keine Autos und Busse mehr unterwegs sein, fast nur noch LKWs und Lieferwagen.

Der energiepolitische Think Tank Agora Energiewende hat berechnet, dass wegen der Corona-Krise 2020 das lange für unerreichbar geltende deutsche Klimaschutzziel wohl mit bis zu 45 Prozent Emissionsreduktion seit 1990 sogar deutlich überschritten wird. (https://www.dw.com/de/corona-krise-deutschland-schafft-klimaziel-f%C3%BCr-2020-pandemie-merkel-deutschland-co2-covid-19/a-52862238)

Das alles ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die immer gesagt haben, Konsumverzicht sei der beste und einzige Weg zum Klimaschutz. Doch diese schreckliche Krise zeigt, dass Konsumverzicht alleine – ein reflektierter Umgang mit dem eigenen Konsum ist dennoch wichtig – eben nicht zu wirksamen Klimaschutz führt, aber schlimmste gesellschaftliche Auswirkungen wie massenhafte Insolvenzen und Massenentlassungen bewirken kann. Zudem entstehen weiterhin erhebliche Emissionen durch den Transport von Waren und Lebensmitteln, den steigenden Energie- und Materialbedarf der Krankenhäuser und den erheblich gesteigerten Datenverbrauch, beispielsweise durch mehr Homeoffice, Videokonferenzen und vor allem eine höhere Streaming-Nachfrage. Des Weiteren kommt es im Zuge der Krise zu einem wesentlichen Anstieg des Plastikverbrauchs etwa in Krankhäusern (auch wenn in diesem Fall aktuell unvermeidbar) und bei Essenslieferungen.

Alleine Deutschland wird trotz Corona-Krise 2020 wohl immer noch bis zu 60 Prozent der Emissionen von 1990 in eine mit Treibhausgasen bereits überlastete Atmosphäre abgeben. Dies wird die Konzentration der Treibhausgase noch weiter steigern, damit wird die Antriebskraft für die jährliche Temperaturerhöhung auf der Erde immer stärker.

Nur eine Nullemissionswirtschaft bis 2030 kann vielleicht noch den Eintritt der Menschheit in eine unkontrollierbare Heißzeit verhindern; eine Heißzeit, deren Auswirkungen für die Menschheit viel schlimmer sein werden, als die ohnehin schon furchtbare Corona. Eine Atmosphäre, die den meisten Menschen keine ausreichenden Lebensbedingungen mehr bescheren wird – gegeben durch die Heißzeit –, wird voraussichtlich schlimmer sein als die Corona-Pandemie. Davor warnte gestern ebenfalls der Generaldirektor der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas, und mahnte, dass der Kampf gegen den Klimawandel mindestens ebenso dringlich sei wie der Kampf gegen das Coroanvirus. (https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/klimawandel-in-corona-zeiten-wmo-fordert-entschlossenheit-100.html)

Doch genau hier greift das eigentliche Klimaproblem der Corona-Krise. Die Umstellung auf eine Nullemissionswirtschaft wird im Gesamtkontext der massiven wirtschaftlichen Einbrüche ebenfalls erheblich behindert. Die Bundesregierung beschränkt sich auf die Bekämpfung der Gesundheitskatastrophe und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft. Klimaschutz spielt nun erst recht keine Rolle mehr.

Erneuerbare-Energien-Branche bricht weiter ein & politische Hilfe ist nicht in Sicht

2020 werden die Neuinvestitionen in Photovoltaik weltweit erstmal unter das Niveau des Vorjahres fallen, prognostiziert Bloomberg aufgrund der Corona-Krise.

Viele Solarparkbauer in Deutschland können ihre im Bau befindlichen Anlagen nicht mehr entsprechend der im EEG geforderten Fristen rechtzeitig ans Netz anschließen, weil ihnen schlicht die Arbeiter ausgehen. Diese flüchteten oft wegen der Corona-Krise in ihre Heimatländer oder wurden auch dorthin beordert. Zudem kündigen Netzbetreiber an, dass sie keine Solaranlagen mehr anschließen können, aus Mangel an Personalkapazitäten. Außerdem bestehen weiterhin Lieferengpässe für Solarmodule, insbesondere aus China.

Dies alles kann dazu führen, dass neue gebaute Solaranlagen nicht mehr rechtzeitig angeschlossen werden können, was zum Verlust der zugesagten Vergütungen und damit zu Bauruinen führen wird. Es sei denn die Bundesregierung schafft Befreiungen von diesen Fristen und anderen Auflagen. Doch dies ist nicht in Sicht, obwohl die Bundesregierung eifrig bemüht ist, zu signalisieren, dass Unternehmen, die wegen der Corona-Krise in Existenznöten sind, schnelle und unbürokratische Hilfe bekommen würden.

— Nachtrag von Hans-Josef Fell: Entgegen dieser Annahme hat die Bundesnetzagentur doch schnell gehandelt und die Fristen für die Verwirklichung von Ausschreibungsprojekten auf Grund der Corona-Krise verlängert. Damit können Investoren und Projektierer erst einmal aufatmen. Dennoch zeigt die Bundesregierung weiterhin keinerlei Entgegenkommen, wenn es darum geht, weitere entscheidende Blockaden für den Ökostromausbau aufzuheben: 52 Gigawatt Photovoltaik-Deckel, 1000 Meter Abstandsregel für Windkraftanlagen, Nachfolgeregelung für Post-EEG-Anlagen. —

2021 werden viele Betreiber von bestehenden EEG-Anlagen – Solarkraft, Windkraft, Biogas – aus dem EEG fallen. Alleine im Solarsektor sind es 18.100 Anlagen mit 71 Megawatt Leistung. Eine Anschlussvergütung ist nicht in Sicht. Auch der Niedergang der Windkraftinvestitionen durch die Umstellung auf Ausschreibungen führte bereits zu Massenentlassungen und Konkursen bei Herstellern. Die große Koalition aus SPD/CDU/CSU hat bislang kein Erbarmen mit der Ökostrombranche und ist nicht willens weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Energiewende nicht vollends abzuwürgen, wie etwa die Abschaffung des 52 Gigawatt-Deckels bei der Photovoltaik oder den drohenden, Investitionen verhindernden 1000-Meter-Abstand bei der Windkraft.

Zu dem vom Coronavirus verursachten massiven Einbruch der deutschen Wirtschaft kommen durch die Anti-Klimaschutz- und Anti-Erneuerbare-Energien-Politik der Bundesregierung also weitere Insolvenzen und Massenentlassungen hinzu. Die Bundesregierung scheint mit zweierlei Maß zu messen: Massenentlassungen und Insolvenzen, verursacht durch die Corona-Krise sollen durch ein gigantisches Neuverschuldungsprogramm mit 150 Milliarden Euro abgemildert werden. Insolvenzen und Massenentlassungen in der Branche der erneuerbaren Energien, hervorgerufen durch eine eigens verfehlte Politik sollen aber – wie in den letzten Jahren – unvermindert weiter gehen.

Emissionshandel und CO2-Steuer werden wegen Corona-Krise vollkommen wirkungslos

Die Corona-Krise deckt schonungslos die Irrwege vieler Klimaschützer*innen auf. Fast alle setzen auf Emissionshandel und CO2-Steuer. Deren Einführung bzw. Ausbau im Klimapaket der Bundesregierung wurden von vielen Seiten begrüßt. Doch mit den durch die Corona-Krise fallenden Öl- und CO2-Zertifikatspreise zeigt sich, dass beides überhaupt keine Klimaschutzwirkung entfalten wird. Der CO2-Preis für ein Zertifikat fiel innerhalb weniger Tage von 24 Euro pro Tonne CO2 am 11. März auf 16 Euro am 20. März. Damit rutscht der europäische CO2-Handel wieder in die fast völlige Wirkungslosigkeit. (https://www.quandl.com/data/CHRIS/ICE_C1-ECX-EUA-Futures-Continuous-Contract)

Die immer in den Wind geschlagenen prinzipiellen Warnungen vor dem Emissionshandel, dass er unkontrollierbar ist, weil er wie jedes Börsenprodukt von vielen Einflussfaktoren abhängig ist, erweisen sich nunmehr als richtig. Der CO2-Zertifikatspreis ist einfach mit der allgemeinen Börsentalfahrt nach unten gerutscht, eine echte Klimaschutzwirkung kann er damit wie in den letzten 15 Jahren seit seiner Entstehung jetzt erst recht nicht mehr entfalten. Zudem ist er Opfer des eigenen Systems, denn eigentlich soll ja die Verknappung der Zertifikate entsprechend einer politisch festgelegten abnehmenden CO2-Emissionsobergrenze (Cap) den Börsenpreis nach oben treiben. Nun aber wird durch den Corona-bedingten Konsumeinbruch noch nicht einmal diese Obergrenze erfüllt, kein Wunder, dass der Preis fällt. Ich bin sehr gespannt, ob die Verfechter des CO2-Handels (wie Joachim Weimann, Prof. Justus Haucap, Vors. der Wirtschaftsweisen Christoph Schmidt oder auch PIK-Chef Prof. Ottmar Edenhofer) nun immer noch behaupten, CO2-Bepreisung sei wirkungsvoll und das wichtigste Klimaschutzinstrument.

Ganz ähnlich ist es mit der CO2-Steuer. Sie soll ja die Konsumenten, zum Beispiel durch höhere Spritpreise zur sparsameren Nutzung und zum Umstieg auf Alternativen bewegen. Nun hatte die Bundesregierung ja mit ihrem Klimapaket beschlossen, dass die Einführung des CO2-Handels im Verkehr zunächst mit einer festen CO2-Steuer geschieht. Die Steuer sollte 2025 25 Euro pro Tonne CO2 erreichen. Das würden den Spritpreis um etwa 7,5 Cent pro Liter verteuern. (https://www.zeit.de/politik/2019-12/co2-preis-bund-und-laender-erzielen-durchbruch-beim-klimapaket)

Mit der Corona-Krise ist aber der Rohölpreis drastisch gesunken und mit ihm der Preis für Super E10 Benzin in Deutschland um ca. 19 Cent seit Januar 2020. Damit verpufft die Klimaschutzwirkung der CO2-Steuer völlig. Wie soll bei solchen Schwankungen des Ölpreises jemals eine langfristige Wirkung der CO2-Steuer für den Klimaschutz entfacht werden? (https://www.tanke-guenstig.de/Benzinpreise)

Nun wird deutlich, dass sich viele Klimaschützer, fehlgeleitet durch unzureichend durchdachte Vorschläge von Ökonomen, hinter den falschen Forderungen versammelt haben. Noch immer höre ich nichts Vernehmbares von vielen Klimaschützern und Verbänden der Erneuerbaren zum Ursprung des Einbruchs der Investitionen in Erneuerbare Energien, der Umstellung auf Ausschreibungen, und einer dementsprechend notwendigen EEG-Reform. Sie halten lieber an CO2-Steuer und Emissionshandel als angeblich wirksamen Klimaschutzinstrumenten fest ohne EEG-Reformen und damit wirklichen Klimaschutz zu fordern.

Einbruch des Ölpreises als Chance für den Klimaschutz

Der weltweite Einbruch der Ölpreise infolge der Corona-Krise von etwa 60 Dollar je Barell im Januar 2020 auf heute ca. 25 Dollar ist in der Geschichte fast beispiellos. Verbraucher mögen jubeln wegen billigem Heizöl und billigen Spritpreisen. Für sie gibt es natürlich keinen Anreiz klimaschützend auf Nullemissionen umzusteigen. Doch für die Ölkonzerne ist der Preisverfall existenzbedrohend. Waren schon vor der Corona-Krise viele Konzerne bereits überschuldet, so können sie ihre Schuldenlast jetzt erst recht nicht mehr abtragen. (https://hans-josef-fell.de/die-fossile-energiewirtschaft-in-der-krise-kommt-bald-der-grosse-crash)

Es ist nur eine Frage der Zeit bis viele Ölkonzerne Konkurs anmelden werden und mit ihnen ganze Länder am Rande des Staatsbankrotts stehen könnten, gemeint sind etwa Russland, Irak oder Nigeria, deren Haushalte existenziell von den Öleinnahmen abhängen. Zudem wird der Bankencrash nicht lange auf sich warten lassen, da im fossilen Energiegeschäft riesige Geldanlagen liegen, die nun – noch schneller als ohnehin schon – zu sogenannten „Stranded Assets“ (verlorene Vermögenswerte) werden.

Doch ob damit die fossile Wirtschaft wirklich in die Knie gehen wird und so dem Klimaschutz endlich eine substanzielle globale Chance gegeben wird, hängt wiederum von den Regierungen der Welt ab und davon, wie sie ihre Rettungspakete schnüren werden. Wenn Teile der großen Wirtschaftshilfen nun auch in die Konzerne der Öl-, Gas-, Atom- und Kohlewirtschaft fließen, um deren Konkurse zu vermeiden, dann wird es sehr schwer werden, überhaupt noch Klimaschutz zu verwirklichen. Denn das wird womöglich dazu führen, dass die weltweite Temperatur weit vor 2035 über 1,5 Grad Celsius steigen wird und wohl 2040 die unkontrollierbare Heißzeit der menschlichen Zivilisation mehr zusetzen wird, als es das Coronavirus je schaffen könnte.

Die Corona-Krise birgt die einmalige Chance, jetzt die Krisen- bzw. Wirtschaftshilfen voll auf den Klimaschutz auszurichten, mit den Zielen 100 Prozent erneuerbare Energien, 100 Prozent Biolandwirtschaft und artgerechte Tierhaltung, abfallfreie Kreislaufwirtschaft und weitere Maßnahmen. Dies muss nun der Kern aller Forderungen der Klimaschützer*innen und der ganzen Gesellschaft sein. Diese Maßnahmen schützen nicht nur das Klima, sondern sind auch entscheidend, weil sie die Gesunderhaltung der Gesellschaft befördern, mit Schutz vor krankmachender Luft- und Gewässerverschmutzung, Pestiziden und tierischen Antibiotika. Klimaschutz ist also aktiver Gesundheitsschutz, der in der Corona-Krise plötzlich alles andere überschattet, als Argument für wirksamen Klimaschutz aber nie eine ernsthafte Rolle für politisches Handeln spielte.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass schnelles und gravierendes staatliches Eingreifen zum Schutze der Gesundheit der Bürger*innen möglich ist. Ein Handeln zu dem uns Klimaschützern immer gesagt wurde, dass Klimaschutz nicht möglich sei, weil es die Wirtschaft belasten würde und siehe da, es geht doch. Nun muss es auch gesamtgesellschaftlichen Druck für mehr Klimaschutz geben, mitsamt der Forderung, dass alle Wirtschaftshilfen mit dem Klimaschutz vereinbar sein müssen. Die eigentliche Chance in der Corona-Krise liegt in der möglichen Erkenntnis weiter Teile der Gesellschaft, dass die Warnungen vor existenziellen Krisen wie Pandemien und vor allem dem Klimawandel eben keine apokalyptische Angstmacherei sind. Vielmehr haben solche Warnungen oftmals reale Ursachen, die bei Nichthandeln unweigerlich die Existenz der menschlichen Zivilisation gefährden werden.

— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com

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