Nach den verheerenden Waldbränden in Australien dominiert jetzt die Ausbreitung der COVID-19 (Corona virus disease 2019) genannten neuartigen Lungenkrankheit in China und mittlerweile vereinzelt auch in Europa die tägliche Berichterstattung in den Medien. Auch ist immer häufiger die Rede davon, dass sich die lange unterschätzte und herunter gespielte Epidemie, die wohl in der chinesischen Stadt Wuhan ihren Ursprung hatte, negativ auf die Weltwirtschaft auswirkt. Nun mögen wir alle schon etwas übersättigt sein von diesen schrecklichen Nachrichten, aber die Auswirkungen auf die Solarwirtschaft sind leider traurige Realität und beginnen gerade erst, ihr ganzes zerstörerisches Ausmaß zu offenbaren.
Die chinesischen Behörden haben ganze Großstädte unter Quarantäne gestellt, den Lieferverkehr zwischen den Sonderwirtschaftszonen und zu den Häfen eingeschränkt und der eigenen Bevölkerung Hausarrest erteilt. Man versucht auf diese Weise, der schnellen Ausbreitung des Virus innerhalb des riesigen Landes Herr zu werden. Die Folge ist aber, dass Produktionsmitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt wurden beziehungsweise aus dem Neujahrsurlaub noch gar nicht ihre Arbeit antreten konnten. Außerdem ist die Lieferkette für dringend benötigte Rohstoffe nahezu zusammengebrochen, so dass Zell- und Modulproduktionen seit Anfang Februar nach Chinesisch-Neujahr gar nicht erst anlaufen können. Selbst die bereits produzierte Ware, die sich in den Fabriken befindet oder schon am Hafen lagert, darf nicht oder nur sehr verzögert auf die Reise geschickt werden.
Erst seit wenigen Tagen hört man davon, dass einzelne Fertigungslinien wieder hochgefahren werden. Bis die existierende Produktionskapazität jedoch wieder voll ausgeschöpft werden kann, der immense Auftragsstau abgebaut ist und die Zell- und Modulfertigung wieder in geordneten Bahnen verläuft, wird es noch sehr lange dauern. Denn wann der Peak der Corona-Epidemie überschritten ist, das kann momentan noch niemand sagen. Experten rechnen damit, dass der Wendepunkt vielleicht erst im April, wenn nicht sogar noch später erreicht wird. Durch die starke Abhängigkeit der europäischen Solarindustrie von chinesischen Vorprodukten sind lokale Hersteller für Module, Wechselrichter und Speicher dummerweise gleichermaßen betroffen. Solarglas, Folien, Zellen, elektronische Bauteile – alles wird in hohem Maße aus Asien, speziell aus dem Reich der Mitte bezogen.
Was bedeutet die Corona-Epidemie aber nun für die Entwicklung des europäischen Photovoltaik-Markts?
Kurz gesagt: Chaos! Alle Hersteller, einschließlich der letzten verbliebenen deutschen Produzenten, jonglieren momentan mit der wenigen zuverlässig verfügbaren Ware, die sich noch in ihren Lagern, am Hafen oder auf dem Seeweg befindet. Freie Ware ist kaum noch verfügbar und schnell ausverkauft. Da ein zuverlässiger Termin für Nachschub aktuell noch nicht absehbar ist, ziehen Großkunden ihre bereits bestätigten Kontingente teilweise vor und werden bevorzugt bedient. Das Nachsehen haben kleinere Firmen oder Kunden mit neuen Bestellungen. Die Versorgungslage bei den bekannten Marken kann man getrost als desolat bezeichnen. Ein Ausweichen auf unbekanntere Marken ist insofern nur eingeschränkt möglich, weil viele der Non-Tier-Hersteller bisher gar keine ausreichend großen Mengen in den europäischen Markt geliefert haben. Neuproduzierte Ware aus China ist dann natürlich den gleichen Handicaps unterworfen, wie die entsprechenden Produkte der großen Player.
Schienen Anbieter von Wechselrichtern und Speichern bisher nicht von der Misere betroffen zu sein, so macht sich mittlerweile auch dort die schlechte Versorgungslage mit Nachschub bemerkbar. Besonders begehrte Wechselrichtertypen, speziell die für den gewerblichen Bereich, sind auf absehbare Zeit nicht mehr lieferbar. Aber auch die Verfügbarkeit von einzelnen Heimspeichertypen, etwa des chinesischen Herstellers BYD, hat sich seit Ende letzten Jahres nie richtig verbessert und erreicht gerade wieder einen Tiefpunkt. Prognosen über die Dauer dieses Ausnahmezustands fallen schwer. Es ist aber denkbar, dass die katastrophale Versorgungslage bei Produkten mit chinesischem Anteil noch Monate andauern und sich die allgemeine Situation vor Mitte bis Ende des dritten Quartals 2020 nicht bessern wird.
Jetzt noch Vorsorge zu treffen und Module und Zubehör zu hamstern, ist kaum möglich – dafür ist es bereits zu spät. Wer für Projekte, die in den kommenden drei bis vier Monaten realisiert werden sollen, noch keine Ware fest eingekauft hat, dem bleibt eigentlich nur noch die Beschaffung über den Spotmarkt. Da sich dieser aber in hohem Maße nach Angebot und Nachfrage richtet, werden die Konditionen für besonders gesuchte Produkte nicht immer kundenfreundlich sein. Bereits im Februar ist ein Anziehen der Preise beinahe ausnahmslos über alle Technologien erkennbar. Weitere kurzfristige Preissteigerungen von bis zu 20 Prozent in den kommenden Monaten sind durchaus denkbar. Die Wirtschaftlichkeit so mancher Projekte dürfte dadurch leiden, eine Realisierung in Frage gestellt werden. Ob das zu einem generellen Markteinbruch führen wird, das bleibt abzuwarten.
Ein Verschieben der kurzfristig geplanten Projekte ins zweite Halbjahr oder noch weiter nach hinten ist aber zumindest in Deutschland nur schwer realisierbar. Wir haben hier die monatliche Degression der Einspeisevergütung, sowie den noch immer existierenden 52-Gigawatt-Deckel für Photovoltaik-Anlagen. Die desolate Versorgungssituation betrifft allerdings fast alle Marktteilnehmer, so dass ein schnelles Erreichen der gesetzlich festgelegten Förderobergrenze einfach weiter nach hinten rückt. Dennoch sollte man laut über eine kurzfristige Anpassung des Degressionsmechanismus nachdenken, um weiteren wirtschaftlichen Schaden von den Betreibern und Investoren neu zu errichtender Photovoltaik-Anlagen abzuwenden. Ebenfalls dürften Gewinner der Ausschreibungsrunden von 2018, die ihre Projekte fristgerecht im Laufe dieses Jahres ans Netz bringen müssen, nicht sehr glücklich mit der aktuellen Situation sein.
Die Corona-Krise und alle damit verbundenen Widrigkeiten und Einschränkungen führen uns einmal mehr unsere Abhängigkeit von der „Werkbank China“ vor Augen. Alle bisherigen Maßnahmen, diese gefährliche Unselbständigkeit zu beenden oder zumindest zu verringern, zum Beispiel durch die protektionistischen Maßnahmen der EU-Kommission zwischen 2013 und 2018, sind leider kläglich gescheitert. Die aktuelle Situation im Bereich der erneuerbaren Energien, aber auch in vielen anderen Branchen, ist alarmierend und zeigt uns, dass wir dringend wieder mehr Wertschöpfung innerhalb Europas brauchen. Derartige Vorfälle in Form von Epidemien, Naturkatastrophen, politischen Unruhen in für unsere wirtschaftliche Entwicklung wichtigen Regionen der Welt sind immer wieder zu erwarten!
Übersicht der nach Technologie unterschiedenen Preispunkte im Februar 2020 inklusive der Veränderungen zum Vormonat (Stand 17.02.2020):
— Der Autor Martin Schachinger ist studierter Elektroingenieur und seit über 20 Jahren im Bereich Photovoltaik und regenerative Energien aktiv. 2004 machte er sich selbständig und gründete die international bekannte Online-Handelsplattform pvXchange.com, über die Großhändler, Installateure und Servicefirmen neben Standardkomponenten auch Solarmodule und –wechselrichter beziehen können, welche nicht mehr hergestellt werden, aber für die Instandsetzung defekter Photovoltaik-Anlagen dringend benötigt werden. —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.
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Hallo Herr Schachinger,
danke für Ihren Beitrag!
Damals im Jahre 1973 während der Ölkrise hatten wir uns als Kinder über die autofreien Sonntage gefreut, da wir mit Rollschuhen nach Herzenslust auf den Straßen fahren konnten.
Ab 1990 interessierte mich das Thema Photovoltaik was mich ab 1994 in die Branche geleitet hat. Meine Intension damals war „wir müssen uns vom ÖL unabhängig machen, unsere eigene Energie mit neuen Technologien voranbringen“ und somit Krisen etc. verhindern.
Mit viel Engagement trotz vieler Hürden, welche uns ausgebremst haben und ausbremsen haben wir doch schon viel erreicht, Luft nach oben ist noch genügend.
Desto mehr schmerzt es, dass wir uns wieder in eine Abhängigkeit außerhalb Europas ausgeliefert haben.
Wieviel Lektionen benötigen wir noch?