Der Trend ist klar: Die Energieerzeugung in Deutschland wird immer dezentraler und kleinteiliger. Neben Produzenten und Konsumenten gibt es immer mehr „Prosumer“. Darunter fallen beispielsweise Eigenheimbesitzer, die mit ihrer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach Strom produzieren und ins Netz abgeben, bei Bedarf aber auch Strom aus dem Netz beziehen. Natürlich steigt mit der Zahl an Anlagen und Betreibern und dem Anteil volatiler Energieerzeugung auch der Koordinierungsbedarf.
Zugleich stockt derzeit der Neubau von Wind- und Photovoltaik-Anlagen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die für 20 Jahre gewährte Einspeisevergütung im Jahr 2021 für die ersten Erzeugungsanlagen ausläuft und Betreiber sich fragen, wie sie ihre Anlagen in den kommenden Jahren wirtschaftlich weiterbetreiben können. Um einen Rückbau von bestehenden Anlagen zu vermeiden und Anreize für den Anlagenneubau zu setzen, bedarf es dringend neuer Wege für die Vermarktung von Strom. Insbesondere für den Strom aus Kleinanlagen mit geringen Erträgen müssen transaktionskostenarme Vertriebswege geschaffen werden.
Somit stellen sich zwei Fragen, die zugleich zentral für das Gelingen der Energiewende sind: Wie können ausreichend Anreize für Investitionen in die Erzeugungs- und Speicherinfrastruktur geschaffen werden und wie lässt sich die Netzstabilität künftig gewährleisten?
Als elementarer Bestandteil einer Antwort auf beide Fragen und umsetzbarer Lösungsansatz bieten sich lokale Energiemärkte oder allgemein lokale Versorgungsnetzwerke an. In ihnen werden etwa durch den verstärkten Energieaustausch auf lokaler Ebene höhere Netzebenen weniger belastet und durch den Handel oder „Tausch“ von Strom völlig neue Vermarktungsmöglichkeiten geschaffen. Wie mithilfe der Blockchain funktionierende dezentrale Strukturen für einen lokalen Energiehandel, eine faire Stromspeicherbewirtschaftung in der lokalen Community oder digitale Herkunftsnachweise erbracht werden können, zeigen vier unterschiedlich ausgerichtete Projekte des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Technologieprogramms „Smart Service Welten“.
Energiehandel mittels Blockchain
Das Projekt „pebbles“ hat auf der Basis der Blockchain einen Peer-to-Peer-Energiehandel entwickelt. Durch einen lokalen Energiemarkt wird ein Anreizsystem für ein netzdienliches Erzeuger- und Verbraucherverhalten geschaffen. Über den Preis lassen sich schließlich Marktteilnehmer dazu animieren, Strom vor allem dann zu verbrauchen, wenn er in der Nachbarschaft besonders umfangreich erzeugt wird. Dank der entwickelten Plattform und eines smarten Energiemanagementsystems erfolgt der Energiehandel weitgehend automatisiert, wobei auch Netzrestriktionen explizit berücksichtigt werden. Zudem können die Teilnehmer individuelle Präferenzen festlegen, gegebenenfalls auf Basis von bereitgestellten Erzeugungs- und Verbrauchsprognosen.
Neue Anreize für Marktteilnehmer, die über die Teilnahme an einem lokalen Energiehandel zur Energiewende beitragen können, setzt auch „ETIBLOGG“. Das Projekt hat die techni-schen Voraussetzungen für einen regionalen, echtzeitnahen Handel geschaffen, bei dem Strom sogar untertägig in Intervallen von jeweils 15 Minuten auf Peer-to-Peer-Basis mit-tels Blockchain gehandelt werden kann. Damit will „ETIBLOGG“ insbesondere Nachbarn sowie stromproduzierenden Gewerbe- und Kleingewerbebetrieben die Möglichkeit geben, zukünftig auch ohne festgelegte Einspeisevergütung geringe Strommengen rentabel zu handeln. Für den Echtzeitenergiehandel per Blockchain, kommen vollautomatische Han-delsagenten zum Einsatz, die sich individuell von den Netzwerkteilnehmern konfigurieren lassen.
Gemeinschaftliche Speicherbewirtschaftung und Strom als Markenprodukt
Das Ziel, erneuerbare Energien effizienter zu nutzen und dabei die Energienetze nicht zu überlasten, verfolgt auch das Projekt „BloGPV“, geht dabei jedoch einen anderen Weg. Indem lokale Stromspeicher zu einem virtuellen Speicherverbund zusammengeschlossen werden, kann für lokale Energie-Communities zusätzliche Flexibilität zur Verfügung gestellt und damit ein Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch geschaffen werden, von der jedes Community-Mitglied gleichermaßen profitieren kann. Über den virtuellen Stromspeicherverbund können private Solaranlagenbetreiber überschüssigen Strom quasi in der Nachbarschaft verteilen und dann Strom abrufen, wenn sie ihn brauchen.
Da in der Blockchain regional erzeugter und verbrauchter Strom zeitnah und sicher erfasst werden kann, wissen die Teilnehmer stets, woher ihr Strom tatsächlich stammt. Diesen Umstand macht sich vor allem das Projekt „SMECS“ zunutze. Erzeuger mit Photovoltaik-Anlagen und Verbraucher schließen sich hier über eine Plattform zu lokalen Energie-Communities zusammen und tauschen untereinander Strom aus. Dabei wird ein sicherer Herkunftsnachweis auf Basis von Blockchain bereitgestellt, der dabei indirekt auch die Vermarktung von erneuerbarer Energie als regionales Qualitätsprodukt ermöglicht. Anlagenbetreiber erhalten auf der Plattform zudem fortlaufend umfangreiche Informationen und Prognosen zu ihren eigenen Photovoltaik-Anlagen und Verbraucher können wiederum ausgewählte Informationen zu den Erzeugern und deren Anlagen bekommen.
Der lokale, weitgehend automatisierte Energieaustausch soll letztlich in allen vier Projekten so gesteuert werden, dass für Netzwerkteilnehmer entsprechend der momentanen gesetzlichen Abgaben und Netzentgeltregelungen möglichst wenige Kosten anfallen. Über den Preis kann Verbrauchern ein Anreiz für netzdienliches Verhalten gegeben werden. Bereits heute können nicht EEG-geförderte Anlagen mit geringerer Kapazität im Rahmen der regionalen Direktvermarktung von der Stromsteuer befreit werden, wenn sich die Abnehmer in einem Umkreis von 4,5 Kilometern um die Erzeugeranlage befinden. Mit Blick auf die Zukunft der Energiewende wäre es jedoch sinnvoll, entsprechende Anreize regulierungsseitig noch deutlich attraktiver zu machen – zum Beispiel durch eine gezielte Förderung von Lokalstrom oder eine Flexibilisierung des Netzentgeltsystems.
— Der Autor Tom Kraus gehört zum Team der Begleitforschung des Technologieprogramms „Smart Service Welt II“, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Mehr Informationen über die vier Energieprojekte der „Smart Service Welten“ sind in der aktuellen Publikation „Energierevolution – getrieben durch Blockchain“ enthalten. Die Publikation aus der wissenschaftlichen Begleitforschung des Technologieprogramms kann auf der Website heruntergeladen werden: www.smartservicewelten.de. —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com
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Die Aussage
„Zugleich stockt derzeit der Neubau von Wind- und Photovoltaik-Anlagen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die für 20 Jahre gewährte Einspeisevergütung im Jahr 2021 für die ersten Erzeugungsanlagen ausläuft und Betreiber sich fragen, wie sie ihre Anlagen in den kommenden Jahren wirtschaftlich weiterbetreiben können.“
stimmt so definitiv nicht.
Sehe ich auch so Herr Bannasch!
Der stockt wegen:
– Geiselnahme des 52GW PV Deckels durch die CDU
– Abstandsregelungen für WKA (verhindert quasi jeden Neubau!)
– Bürokratischer Gängelung für PV Kleinanlagen (bis 30kWp, EEG Unlage etc.)
– EEG Paradoxon (EEG-Umlage steigt bei sinkenden EE Strompreisen)
– Politisch äusserst geschickter Lobbyarbeit der Vertreter der fossilen Erzeuger
-…..
Nun kommt noch still und heimlich die Untergrabung des Einspeisevorranges für EE (siehe: 50 Hertz und Statkraft erproben Redispatch mit Erneuerbare-Energie-Anlagen) hinzu.
Habe sicher noch einiges vergessen…..
Ob mit Blockchain oder einer beliebigen anderen Abrechnungstechnik… dass ich als Stromkunde (z.B. kWh-genau) eine bestimmte elektrische Leistung zu einer bestimmten Zeit / in einem bestimmten Zeitraum von einem bestimmten Erzeuger kaufen kann, das wäre sehr wünschenswert und m.A. nach eine wirklich sinnvolle Anwendung für smart metering aus Verbraucher- und auch aus Erzeugersicht. Ich könnte z.B. in meiner Firma den Strom von meiner PV-Anlage zu Hause beziehen. Aber wie würde das mit den Netzentgelten aussehen? Es macht ja doch einen Unterschied, ob ich den Strom meinem Nachbarn oder meiner 500km entfernt wohnenden Schwester verkaufe… allerdings wird der 50’er, den ich in Spanien aus dem Geldautomaten ziehe, ja auch nicht extra für mich dort hin transportiert. Was wäre ein brauchbares Abrechnungsmodell?