Ersetzung der Kohle durch Erdgas – und obendrauf jetzt auch noch CCS

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Im „Tagesspiegel“ vom vergangenen Montag war zu lesen: „Die Bundesregierung will die Risikotechnologie CCS auf Industrieemissionen beschränken. Auf EU-Ebene stimmte sie hingegen für deren Einsatz auch in Kohle- und Gaskraftwerken. Das EU-Votum ebnet den Weg für Großprojekte mit deutscher Beteiligung zur CO2-Verpressung unter der Nordsee.“

Hierfür hat das von der EU-Kommission finanzierte (FP7 work program topic OCEAN.2010.3 Sub-seabed carbon storage and the marine environment) „ECO2  project“ einen Persilschein ausgestellt. Das koordinierende Institut Geomar teilte im Mai 2019 mit: „In den letzten Jahrzehnten wurden … mehr als 10.000 Bohrungen in den Meeresboden der Nordsee niedergebracht, um Öl und Gas zu fördern. An vielen dieser Bohrlöcher tritt Methangas … aus, da die umgebenden Sedimente während des Bohrprozesses mechanisch gestört und geschwächt wurden. Kohlendioxid, das in der Nähe solcher Bohrlöcher gespeichert wird, könnte die Speicherformationen ebenfalls verlassen, ins Meerwasser entweichen und schließlich in die Atmosphäre zurückkehren.“

In diesem Umstand sah es aber keine Veranlassung, den Auftraggeber zu enttäuschen, wie die Aussage von Professor Wallmann zeigt: „Wir kommen daher vorläufig zu dem Schluss, dass es möglich ist, CO2 sicher in Formationen unter dem Meeresboden zu speichern, wenn sich der Speicherort in einem Gebiet mit wenigen undichten Bohrlöchern befindet“.

Dass es ein Gebiet ohne undichte Bohrlöcher gibt, schließt Professor Wallmann also selbst aus. Und an den „wenigen undichten Bohrlöchern“ tritt CO2 dann eben aus, wie es in dem Text des Instituts Geomar heißt. Zusätzlich hinzuweisen ist darauf, dass die poröse Formation, in die das CO2 gepresst wird, auch an ihren Seiten porös ist, so dass sich das CO2 seitlich über viele Kilometer ausbreitet. Ob es da bei „wenigen“ undichten Bohrlöchern bleiben wird?

Übertragen auf die Automobilbranche wäre es, wie wenn ein Kfz-Sachverständiger folgendes Gutachten ausstellen würde: „Lenkung und Radlager ausgeschlagen, Bremswirkung unter Soll, Motor verliert Öl, Tankleck – Kauf des Fahrzeugs wird empfohlen.“

Gewissermaßen „ins Meer getrieben“ haben die Bürgerinitiativen, die Verlogenheit und Absurdität der CO2-Verpressung herausgearbeitet haben, die CCSler. Aufs Land getrauen sie sich nicht mehr. Doch unterm Meer – wer ist dort persönlich betroffen, wie kann man dort demonstrieren, wie kann man dort herausfinden, wo das CO2 aus den Löchern blubbert?

Die Betreiber wissen besser als jeder andere: Das ganze Unterfangen hat mit Klimaschutz so viel zu tun wie Schweineschnitzel mit Veganismus.

Siehe etwa die CCS-Resolution des EU-Parlaments vom Januar 2014, worin verlangt wird, den Betreibern die Verantwortung für die Sicherheit der sogenannte „Speicher“ abzunehmen: „Das Europäische Parlament nimmt die Bedenken einiger potenzieller CCS-Entwickler zur Kenntnis, die die Ansicht vertreten, dass die Anforderungen und Haftungsbedingungen, die ihnen für die geologische CO2-Speicherung in von Mitgliedstaaten genehmigten Speicherstätten auferlegt werden, nicht quantifizierbar und übermäßig seien.“

Es geht nicht um Verschließung von CO2-, sondern um Eröffnung von Profitquellen. Allein schon durch die Produktion der CCS-Infrastruktur würden diese gewaltig sprudeln.

Es waren die Betreiber der Kohlekraftwerke, die vor einem Jahrzehnt das durch CCS angeblich „klimafreundlich“ werdende Kohlekraftwerk an den Mann bringen wollten. Dieser Versuch wurde ihnen von den Bürgerinitiativen um die Ohren geschlagen. Von dieser Niederlage haben sich die Fossil-Konzerne durch staatliche Hilfe inzwischen aber wieder erholt: Mit Erdgas können sie ihre Geschäftsmodelle weiter betreiben, ihre alten Kohlekraftwerke bekommen sie versilbert und obendrauf sollen sie nun doch auch noch CO2 verpressen dürfen.

Zusätzlich wird ein „Dialogprozess CCS“ mit NGOs, Verbänden, Unternehmen und Wissenschaft finanziert … Deutschland brauche eine neue Debatte um CCS, wie es im Tagesspiegel-Artikel weiter heißt. Im Klartext: Man will testen, ob mit den Durchblickern und Bekämpfern des CCS noch zu rechnen ist. Sonst etwas „Neues“ kann es in der Debatte nicht geben. Wie eh und je geht es um nichts anderes, als von der Verhinderung der Treibhausgase an der Quelle –  durch rapiden und vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien –  Gelder abzuziehen und in eine Sparte zu lenken, in der sich ein paar Konzerne noch für ein paar Jahre Profite erhoffen – auf Kosten der Überlebenschancen der Menschheit.

„Gemäßigte CCS-Befürworter“ (unter anderem auch der ehemalige energiepolitische Sprecher der Grünen, Oliver Krischer, mit seinem damaligen Vorschlag eines „kleinen“ CCS-Gesetzes) klammern sich an die „industriellen“ CO2-Emissionen, die auch bei einer 100-prozentigen Energieerzeugung durch Erneuerbare erhalten bleiben und daher verpresst werden müssten. Bloß, würde denn CO2, weil es aus der Industrie stammt – im Unterschied zu CO2 aus fossilen Kraftwerken – dauerhaft im Untergrund verbleiben, statt – allenfalls zeitversetzt – wieder in die Atmosphäre zu entweichen? Daran zeigt sich die grundsätzliche Absurdität des ganzen CCS, dass niemand sagen kann, wie lang das CO2 im Untergrund verbleibt.

Tatsächlich gibt es auch in der Industrie eine Menge Potenzial zur CO2-Vermeidung an der Quelle. So kann Stahl per „Direktreduktion“ mit Wasserstoff statt Koks klimafreundlich erzeugt werden, sofern der Wasserstoff regenerativ gewonnen wurde.

Besser ist es, Beton und Stahl ganz zu vermeiden und stattdessen Holzprodukte als Baumaterial einzusetzen. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das bis vor einigen Jahren auch zu den CCS-Befürwortern gehörte, empfiehlt inzwischen, hierdurch der Atmosphäre CO2 zu entziehen und in Holz festzulegen, wodurch Gebäude zu einer globalen CO2-Senke werden. Es handelt sich um ein begrüßenswertes Aufgreifen des von Fritz Scholz, Professor der Universität Greifswald, bereits 2008 veröffentlichten Vorschlags, durch Aufforstung und anschließende Vermeidung der Oxydation des Holzes – also mit natürlicher Photosynthese als treibender Kraft – die Atmosphäre zu sanieren.

— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Erneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende. —

Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.

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