Mitte Januar haben die Bundesregierung und die Kohleländer eine Einigung zum Kohleausstieg vorgelegt. Basis sollte der von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) vor über einem Jahr erarbeitete Kohlekompromiss sein. Frühere Mitglieder der sogenannten Kohlekommission sprechen in einer Stellungnahme jetzt jedoch von einer Aufkündigung dieses Kompromisses durch die Bundesregierung: Dieser sei mit der Bund-/Kohleländer-Einigung klar und sehr einseitig verlassen worden. Unterzeichner sind die ehemalige Vorsitzende Barbara Praetorius, Olaf Bandt (Vorsitzender des BUND), Antje Grothus (Initiative Buirer für Buir), Martin Kaiser (Geschäftsführer Greenpeace Deutschland), Felix Christian Matthes (Energieexperte), Kai Niebert (Präsident des Deutschen Naturschutzrings), Reiner Priggen (Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW) und der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber.
„Mit der Bund-Kohleländer-Einigung zum Kohleausstieg vom 15. Januar 2020 sehen wir Buchstaben und Geist der in den Empfehlungen der KWSB erzielten Kompromisse vor allem mit Blick auf den Klimaschutz sowie den Umgang mit den vom Braunkohletagebau betroffenen Menschen grob verletzt“, heißt es in der Stellungnahme. Die von Bund und Ländern beschlossenen Abweichungen von den Empfehlungen der KWSB gehen demnach „gravierend und einseitig zu Lasten von Klimaschutz und Tagebaubetroffenen“.
Fünf zentrale Kritikpunkte werden in dem Papier genannt und ausgeführt. Erstens sei der Kohleausstiegspfad klimapolitisch unzureichend und der EU-Emissionshandel werde geschwächt. Denn die nun vereinbarte Abschaltreihenfolge für die den Emissionsminderungspfad dominierenden Braunkohlekraftwerke bilde den gefundenen Kompromisspfad nicht ab und zeichne sich im Gegenteil durch höhere Emissionen aus. Durch hohe Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber könne zudem die zunehmende Wirksamkeit des Preissignals im europäischen Emissionshandel konterkariert werden. Zweitens kritisieren die Unterzeichner die Inbetriebnahme von Datteln 4 trotz anderslautender Empfehlung. Durch diese Inbetriebnahme würden für die 2020er Jahre auch im Bereich der Steinkohlekraftwerke die Emissionen steigen, wenn der von der KWSB empfohlene Kapazitätsabbau bei den Steinkohlenkraftwerken nicht deutlich verstärkt werde.
Drittens sei die „unnötige und unwiederbringliche Zerstörung von Dörfern“ nicht akzeptabel: „Mit Blick auf die im Abschaltplan vorgesehenen vorzeitigen Stilllegungen von Kraftwerksblöcken am Standort Weisweiler am Tagebau Inden und der damit verbundenen höheren Fördermengen im Tagebau Garzweiler sowie der damit verbundenen Belastungen für Dörfer und Menschen sehen wir den KWSB-Kompromiss ernsthaft verletzt.“ Viertens ist für die Unterzeichner die sogenannte Insellösung für den Hambacher Wald nicht nachvollziehbar: Die Pläne von RWE, den Tagebau um den Wald herum fortzuführen, seien „empörend“, da sie die mittelfristige Austrocknung des verbliebenen Waldes und die Zerstörung dahinterliegender Dörfer wie Manheim und Morschenich und der dazu gehörenden großen Bürgewälder bedeuten würde. Fünfter Kritikpunkt der Stellungnahme ist der fehlende Ausbau der erneuerbaren Energien: Vor dem Hintergrund von massiven Entlassungen in der Windindustrie und vom drohenden Einbruch der Photovoltaik durch den Solardeckel verstoße auch das gegen den Beschluss der Kommission.
„Wir sehen ohne entsprechende Korrekturen den in der KWSB gefundenen und von uns bisher mitgetragenen Kompromiss durch Bund und Länder aufgekündigt“, so die Unterzeichner. „Dies gilt auch und besonders, nachdem die Bundesregierung und die Bundesländer über einen Zeitraum von nahezu zwölf Monaten vielfältig und nachdrücklich zugesichert haben, dass der gefundene Kompromiss der KWSB 1:1 umgesetzt würde.“ Dieser mühsam ausgehandelte Kompromiss habe einen gesellschaftlichen Konflikt in weiten Teilen befriedet. Dieser gesellschaftliche Frieden werde nun von Bund und Ländern einseitig und leichtfertig gefährdet. Die Unterzeichner appellieren daher an den Gesetzgeber, die Bund-Länder-Einigung wieder auf den von der KWSB vereinbarten Pfad zurückzuführen.
„Dieser Kohleausstiegspfad ignoriert beim Klimaschutz zentrale Elemente des Kommissionsvorschlags. Damit bleibt die Bundesregierung weit hinter dem zurück, wozu sie sich mit ihren Pariser Klimazielen verpflichtet hat und auch hinter dem, was möglich wäre“, so Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. „Um die 50 Milliarden Euro fließen als Strukturhilfe in die Braunkohleregionen, in Vorruhestandsregelungen und Strompreisausgleichszahlungen für die Industrie, doch ausgerechnet der Klimaschutz bleibt auf der Strecke. Geld gegen Klimaschutz – dieses Kernprinzip des mühsam ausgehandelten Kohlekompromisses hat Kanzlerin Angela Merkel vergangenen Woche aufgegeben.“
Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt kritisert, dass die Bundesregierung die Abschaltungen auf den spätestmöglichen Zeitpunkt verschiebt, Datteln 4 ans Netz gehen soll, Kraftwerks-Betreiber „unnötige hohe Entschädigungen“ bekommen und weiterhin „Dörfer der Kohle geopfert“ werden. „Das ist eine schallende Ohrfeige für alle Menschen, die bereit waren gesellschaftliche Kompromisse einzugehen. So verschärft die Bundesregierung erneut den gesellschaftlichen Streit und handelt gegen nationale und internationale selbst gesetzte Klimaziele.“
„Der beschlossene Ausstiegsplan für Braun- und Steinkohlekraftwerke ist teuer erkauft. Die Entschädigungszahlungen für die Betreiber der umweltschädlichen Kraftwerke wären in Erneuerbaren Energien, Power-to-X-Anwendungen und anderen zukunftsgewandten Technologien wesentlich besser investiert gewesen“, so Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie. Zudem sei der vorgezeichnete Ausstiegspfad zu langsam.
„Ein Plan zum konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien auf mindestens 65 Prozent der Stromproduktion bis 2030 fehlt weiterhin“, bemängelt auch der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner. „Wenn Bund und Kohleländer ihre Entscheidung nicht umgehend korrigieren und zu einem schnellen, stetigen Kohleausstieg wie vereinbart zurückkehren, muss die nächste Bundesregierung ein neues Gesamtpaket verabschieden, mit dem die Klimaziele wirklich erreicht werden können.“
RWE hat unterdessen mitgeteilt, dass die Überlegungen des Energieunternehmens für den Hambacher Forst keine Insellage vorsehen. „Eine im Internet kursierende Karte zur Umplanung des Tagebaus Hambach stammt nicht von RWE. Sie stimmt nicht mit den laufenden Überlegungen und Planungen des Unternehmens überein“, so der Konzern. Ein wesentlicher Aspekt für die derzeitige Planung sei es, eine Insellage des Hambacher Forsts zu vermeiden. Den aktuellen Planungen des Unternehmens zufolge werde zudem die Ortslage Morschenich (alt) nicht bergbaulich in Anspruch genommen werden müssen. Eine abschließende Entscheidung hierüber soll im Rahmen der erforderlichen Genehmigungsverfahren erfolgen.
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