Moral und Moralisierung in der Nachhaltigkeits­debatte

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Sie sprechen im Zusammenhang mit der derzeitigen Umweltdebatte von der Moralisierung politischer Fragen. Was meinen Sie damit?

Konrad Paul Liessmann: Technische und ökonomische, vielleicht auch ökologische und gesundheitspolitische Fragen sollten auch auf diesen Ebenen behandelt, diskutiert und gelöst werden. Durch die Moralisierung werden sie jetzt plötzlich zu einer Frage von Gut und Böse. Natürlich ist es sinnvoll, auf erneuerbare Energien zu setzen und Solarenergie zu forcieren. Aber diese Technologien sollten aus ökologischen Erwägungen forciert werden, nicht wegen moralischer Gewissensbisse. Moralisieren in diesem Zusammenhang bedeutet immer, mit Vorwürfen zu operieren: Wer nicht das vermeintlich Richtige tut, wer sich nicht besonders engagiert zeigt, vor allem nicht durch seine eigene Lebenspraxis, der ist jetzt plötzlich ein böser Mensch. Die Moral kennt ja nur zwei Kategorien: Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Himmel und Hölle.

Es geht gerade darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Einzelnen vom Druck permanenter Gewissensentscheidungen entlasten.

So ist die Welt aber nicht beschaffen. Stattdessen geht es gerade umgekehrt darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Einzelnen vom Druck permanenter Gewissensentscheidungen entlasten. Oder wie es der große Philosoph Immanuel Kant einmal gesagt hat: Gesetze müssen so beschaffen sein, dass auch ein Volk von Teufeln, sofern sie einen Funken Vernunft in sich tragen, miteinander leben können. Davon lenken wir durch die Moralisierung ab. Der ökologische Fußabdruck des Nachbarn und der hämische Finger, mit dem ich auf ihn zeigen kann, interessiert mich dann mehr als eine vernünftige Energiepolitik.

Konrad Paul Liessmann, Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien.

Foto: Zsolnay Verlag, Heribert Corn

Für diejenigen, die den Planeten nicht unbedingt für zukünftige Generationen so erhalten wollen, wie er ist, spielen ökologische Erwägungen vielleicht eine kleinere Rolle. Es hängt also von einer Wertentscheidung ab, welchen Stellenwert man ökologischen Erwägungen gibt. Wird die Entscheidung zur Forcierung erneuerbarer Energien dadurch nicht doch eine moralische Frage?

Vielleicht sollte man zwischen grundsätzlichen moralischen Fragen und der tagespolitischen billigen Moralisierung unterscheiden. Die Frage, ob es grundsätzlich menschliches Leben auf diesem Planeten geben soll, kann natürlich gestellt werden, aber soweit ich sehe, gibt es kaum jemanden, der offensiv künftigen Generationen das Lebensrecht absprechen will. Abgesehen davon ist die Existenz von Menschen ja auch die Voraussetzung für alle Moral. Für mich ist die Frage, welche Energie wir verwenden, primär keine moralische Frage, sondern eine Frage der politischen Konzepte zum Energiehaushalt, zur Mobilität und zur industriellen Produktion. Es ist eine Frage des Abwägens und des Ausgleichs verschiedener Interessen. Indem man diese Fragen moralisiert, lenkt man erstens davon ab, die Dinge nüchtern zu betrachten. Moralisieren erfolgt immer im Modus der Empörung, der Schuldzuweisung und der Scham. Das trübt den Blick. Zweitens macht man gesellschaftliche und politische Fragen zu einer Frage des Fehlverhaltens des Einzelnen. Indem die Politik diese Moralisierung zulässt oder sogar noch forciert, stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Dann braucht man zwar keine Gesetze, aber diejenigen, die das falsche Automodell fahren, sind einfach böse. Das bereitet mir Unbehagen.

Was verstehen Philosophen unter Moral? Oder anders gefragt: Kant hat geschrieben: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Die Wissenschaft hat festgestellt, wie sehr Fliegen den Klimawandel befördert. Also kann man auch im persönlichen Handeln verlangen, das Fliegen drastisch zu reduzieren. Das passiert zwar noch nicht, aber die Menschen entwickeln Flugscham.

Ich finde, es ist nicht viel gewonnen, wenn die Menschen weiterfliegen, sich dabei aber schämen. Das führt notgedrungen zu Scham- und Bußritualen, aber zu keiner Verbesserung der CO2-Bilanz. Moralisieren bedeutet aber auch, immer Sündenböcke zu suchen, die alle Schuld auf sich nehmen sollen. Einmal ist es der Dieselmotor, dann das Flugzeug, einmal das Kreuzfahrtschiff, dann jedes Neugeborene. Dinge, die uns wichtig sind, nehmen wir dabei ohnehin aus. Wer spricht von der verheerenden CO2-Bilanz der Digitalisierung? Niemand. Wenn es um die Richtlinien unseres individuellen Handelns geht, hat Kant natürlich recht. Aber ist es so einfach, sein Verhalten zu verallgemeinern? Kann ich wollen, dass per Gesetz jedem das Fliegen oder das Telefonieren mit dem Mobiltelefon verboten wird, weil ich diese Aktivitäten für schädlich erachte und darauf verzichte? Eben! Aber wenn etwas für uns alle schädlich ist, können wir gemeinsam versuchen, schadensminimierende Strategien zu entwickeln, denen fast alle zustimmen können.

Es ist nicht viel gewonnen, wenn die Menschen weiterfliegen, sich dabei aber schämen.

Und wenn es darum geht, Moral als System von Werten aufzufassen, dann liegt es im Wesen des Wertes, dass er nicht von allen geteilt wird. Weil wir unterschiedliche Wertvorstellungen und Präferenzen haben. Meine Werte anderen aufzuzwingen oder sich von anderen deren Werte aufzwingen zu lassen, ist eine problematische Sache. Wohl aber kann ich verlangen, dass Menschen sich an den Werten orientieren, die sie für sich selbst reklamieren – das heißt, ich kann sehr wohl den Wissenschaftler fragen, der als Vielflieger von Konferenz zu Konferenz jettet, um vor dem Klimawandel zu warnen, ob das nicht ein gewisser Widerspruch ist. Und er wird sagen: Er muss jetzt fliegen, damit insgesamt weniger geflogen wird. Sie sehen, so einfach machen es sich die Moralisierer.

Wenn ich im Freundeskreis, im Unternehmen oder auf politischer Ebene sage: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, wie das Autofahren zum Klimawandel beiträgt; und ich halte es für falsch, diesen SUV zu kaufen. Das geht doch.

Die Auseinandersetzung kann man führen. Man darf allerdings nicht vergessen: Politik bedeutet immer, dass Menschen mit unterschiedlichen Interessen versuchen, einen Ausgleich zu finden. Es geht eben nicht nur darum, dass der Einzelne dieses oder jenes Auto fährt. Es geht auch um die gesamte Mobilitätsinfrastruktur und um das gesamte Mobilitätskonzept.

Es ist die Gefahr der Moralisierung, dass wir Zielen gegenüber blind werden, die wir eigentlich forcieren wollen.

Wir wissen, dass Elektromobilität alles andere als klimaneutral ist. Wir tun aber so, als wäre sie ein Ausweg, um unser Gewissen zu beruhigen und als gute Menschen dazustehen. Das ist die Gefahr der Moralisierung; dass wir Zielen gegenüber blind werden, die wir eigentlich forcieren wollen. Wirklich radikale neue Mobilitätskonzepte wagen wir dann gar nicht zu denken. Wenn wir das täten, müssten wir zum Beispiel überlegen: Muss so viel Mobilität überhaupt sein? Stimmen hier unsere Wertvorstellungen? Müssen wir nicht prinzipiell dazu übergehen, Infrastrukturen wieder so zu gestalten, dass möglichst kurze und nicht möglichst lange Wege zurückzulegen sind? Solche Fragen stellen wir nicht, sondern wir fragen auf individueller Ebene: Fährst du das richtige Automodell? Deshalb tragen diese Moraldebatten nicht zur Lösung der Probleme bei.

Lädt Moralisierung dadurch zur Doppelmoral ein und kann man diese verhindern?

Wie schon angedeutet: Moralisierung führt zu einem Wettbewerb von Bekundungen des guten Gewissens, und dieses gute Gewissen hat übrigens auch seinen Preis: Man muss es sich leisten können, ein klimaneutrales Leben zu führen oder zumindest vorzutäuschen. Soziologisch gesehen wundert es wenig, dass es die meisten Vielflieger unter Grünwählern gibt. Natürlich führt das zur Doppelmoral. Produkte werden moralisch aufgewertet, deren teurerer Konsum wird als moralische Leistung verkauft. Gewonnen ist damit nichts. Nur eine radikale Entmoralisierung der Debatte würde uns auch vor den mitunter skurrilen Exzessen der Doppelmoral schützen –wenn ein einzelner besorgter Klimaschützer wie Bill Gates allein durch seine Flüge so viel CO2 ausstößt wie 16 000 Durchnittsflieger, kann man schon auf die Idee kommen, dass Moral heute ziemlich wohlfeil ist.

Viele kommen zu dem Schluss, der Klimawandel ist das drängendste Problem, vor dem die Menschheit je stand, und es geht am Ende um ihr Fortbestehen. Wie geht man damit um?

Dazu ein Beispiel: Auf der einen Seite haben wir jetzt diese große CO2-Debatte, die zweifellos sehr wichtig ist. Und es ist völlig klar, dass viele Menschen das Problem zu einem moralischen Problem machen: Vermeide CO2. Es gibt aber auch einige, die um genau dieses moralische Ziel zu erreichen, wieder die Forcierung der Atomkraft vorschlagen. Ich bin in einer Welt in den 80er Jahren groß geworden, in der der Kampf gegen die Atomkraft das absolut moralisch wichtigste Prinzip war. Atomkraft, nein danke! Also wer sagt mir, ob dieses damalige moralische Prinzip jetzt plötzlich falsch ist? Ich meine das als moralisches Prinzip, ich meine nicht einen rationalen Vergleich der Technologien. Gerade weil moralische Überzeugungen unterschiedlich sind und sich sehr schnell ändern können, gerade weil wir in diesen sensiblen gesellschaftspolitischen Bereichen unglaublich vom Zeitgeist abhängig sind, müssen wir aufpassen. Ich war seinerzeit sehr engagiert in der Anti-Atom-Bewegung. Wenn ich ehrlich bin, wusste ich damals nicht, ob das moralisch gesehen wirklich die richtige Position war. Ich habe es aber fest geglaubt.

Spätestens an dieser Stelle muss Moral wieder in Politik überführt werden, ich muss darum werben und dafür kämpfen, dass Entscheidungen getroffen werden, die gesellschaftlich akzeptiert sind.

Wer in solchen Situationen behauptet, er weiß das, vereinfacht in einer unzulässigen Art und Weise. Und es geht dabei aber auch nicht nur um individuelle Entscheidungen. Wenn ich gegen Atomkraft bin, hilft mir meine Moral nichts, wenn andere Atomkraftwerke bauen. Spätestens an dieser Stelle muss Moral wieder in Politik überführt werden, ich muss darum werben und dafür kämpfen, dass Entscheidungen getroffen werden, die gesellschaftlich akzeptiert sind. Und das ist nicht immer einfach. Ob die Klimaveränderungen die Lebensmöglichkeiten der Menschen mehr einschränken als die Gefahren eines Reaktorunglücks, der weite Gebiete für Jahrtausende unbewohnbar macht – wer wüsste es zu sagen? Es kann sein, dass wir uns durch unsere energiehungrige technische Zivilisation in eine Situation manö­vriert haben, in der es keine eindeutig positiven Lösungen mehr gibt, in der alles, was wir tun können, mit großen Risiken und Nachteilen verbunden sein wird. Moralisierung tut so, als gäbe es das Gute und das Schlechte und verharmlost damit eigentlich die Situation.

Sie sagen auch, dass das Abwägen die Aufgabe des demokratischen Entscheidungsprozesses ist.

Ja, ich sehe aber die Gefahr, dass das Argument „Es ist sonst zu spät, wir müssen unbedingt handeln, wir müssen alles tun, um dies und jenes aufzuhalten“ als Vorwand genutzt wird, um die demokratisch legitimierten Verfahren zur Entscheidungsfindung entweder abzukürzen oder ganz außer Kraft zu setzen. Die Ausrufung des Klimanotstandes einiger Kommunen etwa illustriert die Fragwürdigkeit der Moralisierung sehr gut. Sehr viele demokratische Verfassungen kennen Notstandsparagrafen. Diese sind ziemlich eng definiert, denn Notstand bedeutet immer, dass sich eine unmittelbare Katastrophe ereignet hat, wo unmittelbares, demokratisch nicht abgesichertes Reagieren notwendig ist. Das ist aber immer zeitlich befristet.

Die Ausrufung des Klimanotstandes einiger Kommunen etwa illustriert die Fragwürdigkeit der Moralisierung sehr gut.

Bei Überschwemmungen oder wenn ein Hurrikan droht, kann eine Stadt den Notstand ausrufen, weil in dem Moment alle gefährdet sind. Aber die Verkündung eines Notstandes hat immer einen demokratiepolitisch prekären Hintergrund. Deswegen sind die Gesetze dazu auch viel diskutiert worden und sehr exakt formuliert. Ich sehe durchaus die große Notwendigkeit, alles zu versuchen, um den Klimawandel zu stabilisieren oder einzudämmen. Aber dass der Begriff Notstand zutrifft, sehe ich nicht. Im Gegenteil: Unsere Regionen gelten als diejenigen, in die Menschen aus wirklich gefährdeten Gebieten fliehen werden, weil die realen Gefahren hierzulande – noch – geringer sind. Und trotzdem ruft man den Notstand aus. Wenn man demokratiepolitisch wach ist, sollte man damit nicht Propaganda machen.

Der Begriff wird von den Kommunen doch einfach in einem ganz anderen Zusammenhang verwendet.

Nein, wird er nicht. Man meint schon eine Situation, die so gefährlich ist, dass der Notstand ausgerufen werden muss und damit besondere Maßnahmen gerechtfertigt sind. Natürlich, der Begriff wird – noch – als Symbol verwendet. Aber es gehört meines Erachtens auch zu einer politischen Sensibilität, dass man weiß, welche Symbole man wann verwendet. Was ruft so eine Gemeinde dann aus, wenn mal eine wirkliche Notstandssituation ist? Die Ökodiktatur? Es stimmt mich bedenklich, wenn bestimmte Begriffe ihre Inhalts völlig entkleidet werden, nur um einen guten Marketinggag abzugeben. Das ist nicht gut für die Demokratie.

Aber man kann an der Politik doch verzweifeln. Nahezu alle Experten sagen, wir brauchen einen CO2-Preis von mindestens 40 Euro pro Tonne CO2, wenn wir etwas ändern wollen. Jetzt werden durch den demokratischen Prozess zehn Euro eingeführt. Was geben Sie den Leuten mit, die als einzige Möglichkeit sehen, den Einzelnen in die Verantwortung zu nehmen, weil die Politik nicht das Angemessene tut?

Der Einzelne kann natürlich schon etwas tun. Er kann auf den Wegen der politischen Gestaltung versuchen, etwas zu bewegen, kann argumentieren und Konzepte propagieren, um Menschen zu überzeugen. Das ist harte Arbeit. Aber das gehört genau zum Wesen einer Demokratie. Einzelne sind schon immer verzweifelt in der Demokratie, wenn ihre Anliegen nicht genügend berücksichtigt worden sind. Deshalb gibt es die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Parteien und ihren Programmen zu wählen. Aber in der Demokratie ist Politik als Interessenausgleich immer auch ein Resultat von Kompromissen.

Einzelne sind schon immer verzweifelt in der Demokratie, wenn ihre Anliegen nicht genügend berücksichtigt worden sind.

Jetzt kann man sagen, dass manche Regierungen zu feige sind und vorschnell Kompromisse eingehen. Die deutsche Öffentlichkeit hätte es wahrscheinlich auch verkraftet, wenn der CO2-Preis bei vielleicht 30 Euro festgelegt worden wäre. Die Demokratie hat auch das Problem, dass manche Verantwortungsträger nicht wissen, wie viel man den Menschen tatsächlich zumuten und zutrauen kann. Aber nur aus solchen Schwächen heraus das Prinzip Demokratie überhaupt infrage zu stellen, geht nicht. Was wäre die Alternative? Man muss auch die Rolle der Wissenschaft klarer sehen. Wissenschaftler können den Klimawandel und mögliche Gegenmaßnahmen beschreiben, analysieren, können versuchen, Kausalitäten zu finden und können Modellrechnungen für die Zukunft anstellen. Aber es ist nicht die Frage einer ökologischen Wissenschaft, wie hohe Energiepreise unter bestimmten sozialen, politischen, ökonomischen Verhältnissen einer Bevölkerung zumutbar sind. Das ist eine politische Frage.

Was halten Sie davon, wenn sich Unternehmen eine Nachhaltigkeitsstrategie geben und diese moralisch begründen?

Davon reden doch Unternehmen schon seit Jahrzehnten, seit dem ersten Bericht des Club of Rome vor einem halben Jahrhundert. Unternehmen haben immer gesagt, sie seien nachhaltig und ökologisch aufgeschlossen. Diese Strategien des Green Washings kennen wir. Kurz vor Auffliegen des Dieselskandals hat der VW-Vorstand noch die grüne Politik des Konzerns in allen Tönen gelobt. Auch hier sollte man sich nicht blenden lassen. Unternehmen haben ganz klare Ziele. Sie wollen Gewinne machen und in einem Markt reüssieren. Wenn es die Verhältnisse zulassen, werden sie sich ein entsprechendes Mäntelchen umhängen. Wenn nicht, dann werden sie sehr schnell wieder davon wegkommen. Unternehmen reagieren allerdings auf Märkte. Man kann einen sanften Druck auf Unternehmen erzeugen, um die Unternehmensstrategien zu beeinflussen. Die Kunden können bestimmte Produkte boykottieren oder ihr Kaufverhalten ändern.

Ist der Druck der Verbraucher nicht auch eine Art von Moralisierung?

So wie er bisher geübt wird, ja. Man boykottiert ja auch nicht Produktgattungen, sondern Unternehmen, die moralisch auffällig geworden sind. Man erfährt, dass ein Hersteller von Mobiltelefonen Kinderarbeit einsetzt und boykottiert dieses Unternehmen; aber man kauft sein Smartphone dann woanders. Die Bewährungsprobe für individuelle Moral wäre immer dann gegeben, wenn ich tatsächlich zum Beispiel aus Sorge um die Zukunft der Welt prinzipiell auf Smartphones und Computer verzichte und damit auch individuelle Nachteile in Kauf nehme. Ich kenne kaum jemanden, der das tut. Wenn ich aus welchen Gründen auch immer zur Überzeugung gekommen bin, kein Fleisch mehr aus industrieller Tierproduktion zu konsumieren, dann kaufe ich das einfach nicht mehr. Ich werde deshalb nicht verhungern. Das ist relativ einfach. Dass auch Gemüse alles andere als klimaneutral transportiert wird, vergesse ich dann ganz schnell.

Da brauche ich dann überhaupt keine Moral, um so zu essen, dass es der Um- und Tierwelt etwas weniger schadet

Klar: Wir können mit gutem Beispiel vorangehen; aber wir müssen da sehr aufpassen, nicht in die Falle der Doppelmoral zu tappen. Etwas anderes ist es, wenn man auf einer politischen Ebene zu einem Entschluss kommt, die Rahmenbedingungen für Nahrungsmittelproduktion und Nahrungsmittelhandel prinzipiell zu verändern, sei es ordnungspolitisch, sei es steuerpolitisch. Da brauche ich dann überhaupt keine Moral, um so zu essen, dass es der Um- und Tierwelt etwas weniger schadet.

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