Faires Lithium aus Chile – geht das?

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„Die dreckige Wahrheit der Mobilitätswende“, „Der wahre Preis des Elektroautos“, „Hier sterben Menschen für unsere E-Autos“ – mit reißerischen Titeln wird die Nachhaltigkeit von Lithiumbatterien infrage gestellt. Und die Argumente sind einleuchtend: Der hohe Verbrauch von Rohstoffen verschlechtert die Umwelt- und Klimabilanz, die Lieferketten sind wenig transparent und das Recycling ist ungeklärt. Also doch besser weiterdieseln?

Ein genauerer Blick lohnt sich, vor allem auf das gern als trendiges Leichtmetall bezeichnete Lithium. Lithium ist namensgebend für die verschiedenen Lithium-Ionen-Akkumulatoren, obwohl es mit rund fünf Prozent nur einen geringen Anteil am Gesamtgewicht der wiederaufladbaren Batterien hat. Andere verwendete Rohstoffe sind Kupfer, Aluminium, Nickel, Graphit und das ebenfalls oft kritisch diskutierte Kobalt. Der genaue Rohstoffverbrauch variiert zwischen den verschiedenen Akkutypen. Generell wird jedoch versucht, die Verwendung problematischer Rohstoffe zu reduzieren und zumindest den Kobaltgehalt zu senken und stattdessen Nickel zu verwenden. Aktuell führt in kommerziellen Anwendungen jedoch kein Weg an der Verwendung von Lithium an den Elektroden und bei den Elektrolyten vorbei.

Pro Kilowattstunde nutzbarer Speicherkapazität eines Batteriesystems geht man von einem Lithiumbedarf von 200 Gramm aus. Trotz dieser vergleichsweise geringen Mengen: Der Boom der Elektroautos und auch der stationären Batteriespeicher führte bereits in den vergangenen Jahren zu einem starken Anstieg der Lithiumproduktion. Wurden im Jahr noch 31.500 Tonnen des Leichtmetalls gefördert, waren es im vergangenen Jahr schätzungsweise 85.000 Tonnen (siehe Grafik). Und dabei steht die Elektromobilität gerade erst am Anfang.

Vorerst keine Lithiumknappheit

Trotz des steigenden Abbaus ist erst einmal nicht zu erwarten, dass das Lithium knapp wird: weltweit liegen die ökonomisch verwertbaren Reserven bei rund 14 Millionen Tonnen, die gesamten nachgewiesenen Ressourcen bei rund 62 Millionen Tonnen. Lithium kommt in mineralischen Gesteinen mit einem Anteil zwischen ein bis fünf Prozent vor, etwa in Australien, Simbabwe und China. Ökonomischer ist jedoch die Gewinnung aus Solen, also wässrigen Lösungen von Salzen. Diese finden sich unterhalb der Salzseen im sogenannten Lithiumdreieck zwischen Chile, Bolivien und Argentinien. Der Lithiumanteil liegt in den Solen bei kaum 0,2 Prozent, die Gewinnung durch Verdunstung in der Sonne ist aber weitaus günstiger als die Abscheidung von mineralischem Gestein.

Das Lithiumdreieck in Südamerika

An den Salzseen in Südamerika führt also kein Weg vorbei. Ein Epizentrum ist der Salar de Atacama in Chile, allein hier sollen 50 Prozent der weltweiten Reserven liegen. Zur Gewinnung des Lithiums wird Sole aus 20 bis 40 Metern Tiefe hochgepumpt und in Verdunstungsbecken geleitet. Über mehrere Monate verdunstet das Wasser, bis eine Schlacke übrig bleibt, die eine Lithiumkonzentration von sechs Prozent enthält. Bei der chemischen Weiterverarbeitung zum handelsfähigen Lithiumkarbonat wird neben Chemikalien auch weiteres Wasser verbraucht. Die Fabrik zur Weiterverarbeitung zum Lithiumkarbonat befindet sich allerdings an der Küste nahe Antofagasta, wo zunehmend Anlagen zur Meeresentsalzung zum Einsatz kommen.

In der Folge der Lithiumgewinnung sinkt der Grundwasserspiegel in der Wüstenregion ab, was zur weiteren Desertifikation beiträgt. Bei der Lithiumgewinnung im Salar de Atacama werden rund 1,5 Millionen Liter Wasser pro Tonne Lithiumkarbonat verbraucht. Der hohe Wasserverbrauch in Wüstenregionen ist der wunde Punkt der Lithiumgewinnung. „In der trockensten Region der Erde wird Wasser verdunstet – das ist paradox“, erklärt etwa die auf Lithium spezialisierte Rechtsanwältin und ehemalige Abteilungsleiterin im Bergbauministerium Carolina Ferreira aus Santiago.

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In dem Naturschutzgebiet „Laguna Chaxa“ nahe der Lithiumförderung der Firma Soquimich im Salar de Atacama sprechen die Mitarbeiter nicht gerne über die Auswirkungen des Lithiumabbaus. Auf die Frage, ob die Lagune früher größer war, bedeutet ein Touristenführer auf die vereinzelten Tümpel und sagt: „Das war früher ein zusammenhängender See.“ Das Austrocknen der Lagunen hat vor allem Auswirkungen auf die Flamingos, die sich von Mikroorganismen im Wasser ernähren – und wiederum beim Fuchs auf dem Speiseplan stehen. Von dem Absinken des Grundwasserspiegels ist auch die Subsistenzwirtschaft anliegender indigener Gemeinden betroffen. Eine besonders artenreiche oder von starker landwirtschaftlicher Aktivität geprägte Region ist die Atacamawüste jedoch nicht. Haupteinnahmequellen der Region um den Salar de Atacama sind der Bergbau und der Tourismus rund um das Städtchen San Pedro.

Neben Soquimich baut auch das Unternehmen Albemarle aus den USA in Chile Lithium ab. In den Fokus der Kritik bezüglich der Rohstoffgewinnung ist jedoch vor allem der heimische Anbieter geraten. Soquimich hat über Jahre illegale Spenden an Politiker verschiedenster Parteien gezahlt und auf diese Weise versucht, Gesetzesvorhaben zu beeinflussen. Des Weiteren wird der Firma vorgeworfen, sich illegal Wasserrechte gesichert zu haben und damit eine Neuausschreibung der Minenrechte verhindern zu wollen, die Gebühren für die Lithiumgewinnung zwischen 2009 bis 2014 nicht vollständig bezahlt und Umweltauflagen nicht erfüllt zu haben.

Mit der neuen Bedeutung des Lithiums wurden die Verträge zum Abbau am Salar de Atacama zwischen 2016 und 2018 neu verhandelt. Das Ziel der chilenischen Regierung war in erster Linie, den Weltmarktanteil Chiles zu sichern, nachdem in den vergangenen Jahren vor allem die Lithiumgewinnung in Australien deutlich zugelegt hatte. So ist auf Grundlage der neuen Verträge vorgesehen, den Export von Lithiumkarbonat von 80.417 Tonnen im Jahr 2017 auf 300.000 Tonnen zu steigern. Die nachverhandelten Verträge sehen eine Pachtgebühr von maximal 40 Prozent der Erlöse aus dem Lithiumkarbonat und Lithiumhydroxid vor, abhängig von den Weltmarktpreisen.

Im Jahr 2018 lagen die Erlöse des chilenischen Staates an der Obergrenze, mit den derzeit sinkenden Lithiumpreisen könnte die Pacht in diesem Jahr auf 25 Prozent sinken. Weitere 1,7 Prozent der Einnahmen kommen der Abbauregion zugute, ein vergleichsweise geringer Ausgleich. Mit verschiedenen Gesetzesinitiativen versuchten die chilenischen Regierungen in den vergangenen Jahren, einen Regulierungsrahmen für den Lithiumabbau zu schaffen. „Bis 2016 war die Regulierung und Überwachung der Lithiumgewinnung sehr schwach. Durch die verschiedenen Regelungen in den neuen Verträgen mit Albemarle und Soquimich hat der Staat nun eine stärkere Rolle eingenommen“, betont Ferreira. Ein Gesetzesvorhaben für ein theo­retisches Recht einer Verstaatlichung der Lithiumgewinnung wurde jedoch im September im Parlament abgelehnt.

In den neu verhandelten Verträgen mit den Lithiumabbaufirmen ist auch festgeschrieben, dass für die vorgesehenen Erweiterungen neue Technologien verwendet werden. Vertreter der Minenindustrie verweisen darauf, dass der Prozess der Lithiumgewinnung aus Solen noch vergleichsweise neu ist und sich die Prozesse noch verbessern werden, zum Beispiel durch die Kondensation des Verdunstungswassers, damit es später wieder dem Grundwasser zugeführt werden kann. Ein anderer Ansatz ist, die Sole wieder in das Grundwasser zurückzupumpen, nachdem das Lithium daraus gewonnen wurde. Eine gänzlich neue Methode ist, das Lithium mit Membranfiltern direkt aus der Sole herauszufiltern und damit die wasserintensive Verdunstung zu umgehen.

Im chilenischen Bergbausektor ist man sich bewusst, dass der Druck der Abnehmer der Rohstoffe zunehmen wird. Daher ist er durchaus offen für einen nachhaltigeren Abbau der Rohstoffe. Es wurden verschiedene Strategiepapiere für einen grünen Bergbausektor erarbeitet. Im August dieses Jahres hat das Bergbauministerium einen Runden Tisch für grünen Bergbau ins Leben gerufen. Dort sollen übergreifende Ansätze für den Minensektor des Landes vereinbart werden, vor allem zum Wassermanagement, der Emissionsminderung und zur Kreislaufwirtschaft. Allzu strenge Vorgaben sind nicht zu erwarten; wie die deutsche Regierung setzen auch Chiles Behörden eher auf freiwillige Verpflichtungen der Industrie.

Dennoch kommt die Klimadebatte aus Europa auch in Südamerika an. Internationale Unternehmen mit relevanter Marktmacht können durchaus Einfluss nehmen auf die Nachhaltigkeit am Anfang der Wertschöpfungskette. Es ist zu erwarten, dass Autokonzerne und Batteriezulieferer zunehmend Wert darauf legen, einen nachhaltigen Abbau der Rohstoffe gegenüber ihren Kunden nachweisen zu können. Es ist auch anzunehmen, dass sich die deutsche Autoindustrie nach dem Dieselskandal sicher nicht gleich wieder böse Schlagzeilen wegen der Umweltschäden durch den Lithiumabbau einhandeln will.

So könnte eine durchgängige Zertifizierung der Lieferanten nach ISO-Standards zumindest mehr Transparenz in die Prozesse bringen. Denkbar ist zum Beispiel eine Zertifizierung nach ISO 9000 zum Qualitätsmanagement als Indikator für gute Unternehmensführung, nach ISO 14000 zum Umweltmanagement oder nach ISO 50001 zum Energiemanagement. Die Zertifizierungen sind mit zusätzlichen Kosten für die Unternehmen verbunden und werden sich damit auch auf den Preis des Endproduktes auswirken. Da der Umweltschutz jedoch ein wichtiger Treiber der Nachfrage nach Lithiumbatterien ist, sollte ein bewusster und nachhaltiger Umgang mit den Ressourcen selbstverständlich sein. Die aufkeimenden Strategien der Unternehmen und Politik geben Anlass zur Hoffnung, dass der Wille dafür auch vorhanden ist.

Es bestehen also Ansatzpunkte, um die Umweltauswirkungen des Lithiumabbaus zu reduzieren. Unternehmen aus Europa können darauf Einfluss nehmen, dass diese zunehmend angewandt werden. Schwieriger ist jedoch die Verteilung der Einnahmen in den Förderländern selbst. So steht für viele Chilenen das Geschäftsgebaren der Firma Soquimich stellvertretend für den Zustand des Landes. Seit Mitte Oktober wird mit unerwarteter Wucht gegen das chilenische Wirtschaftsmodell protestiert. Denn der Reichtum aus dem Abbau von Rohstoffen ist längst nicht bei allen angekommen. Dabei gilt die Wut aber nicht speziell dem Lithiumabbau. Die derzeitigen Proteste drehen sich vor allem um die steigenden Lebenshaltungskosten bei stagnierenden Einkommen. Mit Blick auf den Lithiumboom fordern Bewegungen wie „Litio para Chile“ und „Atacama es de todos“ seit Jahren eine andere, soziale Verteilung der Einnahmen aus dem Abbau des weißen Goldes.

Die Diskussionen um den Lithiumabbau in Chile verdeutlichen: Die Gewinnung von Rohstoffen ist immer kompliziert. Dies gilt auch für Kupfer aus Chile, Kohle aus Kolumbien, Schiefergas aus den USA, Erdöl aus Nigeria. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Batteriespeicherbranchen sollten schon aus Eigeninteresse besonderen Wert auf einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen legen: um keine weitere Angriffsfläche für diejenigen zu bieten, die gerne Überschriften zur „dreckigen Wahrheit der Mobilitätswende“ sehen.

— Der Autor Stephan Franz ist als freier Berater tätig, aktuell in Santiago de Chile, sonst in Berlin. Er erstellt seit 2007 Marktanalysen in den Bereichen erneuerbare Energien und dezentrale Energiesysteme. www.burof.de —

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