Nach Überzeugung des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) wird Gas auch langfristig eine zentrale Rolle im deutschen Energiesystem einnehmen. Das geht aus dem „Dialogprozess Gas 2030“ hervor, dessen erste Ergebnisse Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Mittwoch vorgestellt hat. Den Dialog hatte das Ministerium Ende vergangenen Jahres angestoßen, um mit Unternehmen, Verbänden und Wissenschaftlern die mittel- und langfristigen Nutzungsperspektiven des Energieträgers und der Gasinfrastruktur zu erörtern.
Das Bundeswirtschaftsministerium erwartet, dass die Nachfrage nach Gas bis 2030 tendenziell zunehmen wird. Erdgas wird aber nach und nach durch CO2-neutrale Energieträger, allen voran Wasserstoff, ersetzt. Allerdings kann nur ein Teil des nötigen Wasserstoffs in Deutschland hergestellt werden, da die dafür nötigen Ökostrommengen nur in begrenztem Maße in der Bundesrepublik erzeugt werden können. Kurzfristig könnte anstelle von grünem auch blauer Wasserstoff zum Einsatz kommen, der aus Erdgas gewonnen wird. Eine CO2-Abscheidung soll ihn klimaneutral machen.
Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) sieht im „Dialogprozess Gas 2030“ einen zentralen Baustein für eine sichere Energieversorgung und das Gelingen von Energiewende und Klimaschutz. „Er korrigiert einen Fehler des Energiekonzeptes aus dem Jahr 2010, in dem Gas keine Rolle gespielt hat“, sagt Dena-Chef Andreas Kuhlmann. „In der Folge hat es Irritationen in diesem wichtigen Wirtschaftszweig gegeben und einige Jahre den Anschein gehabt, die Politik wolle quasi allein durch Elektrifizierung die klimapolitischen Ziele erreichen. Mittlerweile wissen alle Beteiligten, dass dies nicht möglich ist.“
Dekarbonisierte Zukunft der Gase
Nun stehe die Tür für eine dekarbonisierte Zukunft der Gase offen. „Das gilt in besonderer Weise für das Gas Wasserstoff, dem eine besondere Bedeutung zukommen kann, als Grundlage auch für weitere gasförmige und flüssige Energieträger und Grundstoffe“, so Kuhlmann. Er verweist zudem darauf, dass der dialogorientierte Ansatz von ‚Gas 2030‘ das Potenzial als Blaupause auch für den nötigen Austausch über weitere Transformationsprozesse habe, etwa was die künftige Bedeutung flüssiger Energieträger und industrieller Grund- und Rohstoffe betrifft.
Verbände wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH), der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) und der Biogasrat begrüßen in einer gemeinsamen Erklärung, dass das Bundeswirtschaftsministerium gasförmige Energieträger als langfristig notwendigen Bestandteil der Energieversorgung in Deutschland anerkennt hat. Dabei sei allen Beteiligten klar, dass der Anteil grüner Gase mit Blick auf die Klimaziele 2030 und 2050 stetig und deutlich steigen muss.
„Die vorhandene Infrastruktur ermöglicht es bereits heute technisch, CO2-neutrale Gase wie Wasserstoff, Biogas und synthetisches Methan zielgerichtet zu nutzen“, erklärt Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Es bestehe jedoch regulatorischer Handlungsbedarf bei der Frage, wie die Beimischung von Wasserstoff in bestehende Gasinfrastrukturen erfolgen soll. „Dies wäre nicht nur aus klimaschutztechnischen Aspekten von Bedeutung, sondern hätte auch eine wichtige Signalwirkung in die Geräteindustrie und ist somit von wirtschaftlicher Relevanz bei der Transformation des Gasnetzes und dem Ausbau der Gasinfrastruktur“, führt Linke aus.
DUH: „Wirtschaft- und klimapolitische Sackgasse“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht in dem Bericht dagegen eine „wirtschafts- und klimapolitische Sackgasse“. Die Empfehlungen aus dem Wirtschaftsministerium lasse den dringend notwendigen Umstieg auf erneuerbares Gas weitgehend außen vor. „Wie beim Strom brauchen wir einen Zielwert für erneuerbares Gas für 2030“, erklärt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. Unabdingbar für den Umstieg sei ein wirksamer CO2-Preis, ein steigender Anteil erneuerbaren Stroms sowie eine Anschubförderung für den Aufbau und Betrieb von Power-to-Gas-Anlagen.
Explizit wendet sich die DUH gegen den Einsatz von blauem Wasserstoff. „Die Technologie ist energieintensiv und es besteht das Risiko, dass das gespeicherte CO2 später wieder in die Atmosphäre austritt“, sagt Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz der DUH. „Die Gaswirtschaft und das Wirtschaftsministerium greifen nach diesem Strohhalm, um ihre fossilen Geschäftsmodelle zu retten.“
Grüne fordern zügigen Abschied vom fossilen Gas
Die energiepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Julia Verlinden sieht das ähnlich. „Das Bundeswirtschaftsministerium verpasst mit seiner Strategie „Gas 2030“ die Chance, frühzeitig die notwendigen Weichen für eine komplette erneuerbare Energieversorgung zu stellen“, erklärt sie. „Wir brauchen eine ambitionierte Energieeffizienzpolitik, die den Energiebedarf in allen Anwendungen senkt. So ist auch ein zügiger Abschied von dem fossilen Gas möglich.“ In einer hundertprozentig erneuerbaren Energiewelt würden erneuerbare Gase wie Wasserstoff aus Ökostrom und Biomethan eine relevante Rolle spielen – aber der Bedarf werde deutlich niedriger sein als der für fossiles Erdgas heute. „Die Bundesregierung darf keinesfalls Anreize für klimaschädliche und teure Fehlinvestitionen in Gas-Infrastruktur geben, die für eine erneuerbare Gaswelt gar nicht mehr nötig wären“, sagt Verlinden. „Dabei darf auch blauer Wasserstoff nicht als vermeintlich klimafreundliches Feigenblatt herhalten, um die Erdgasnutzung unnötig in die Länge zu ziehen.“
Millionen für die Erforschung von grünem Wasserstoff
Unterdessen hat Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) mitgeteilt, dass ihr Ministerium auf Grundlage des jetzt vom Bundeskabinett verabschiedeten Klimapakets für die Entwicklung neuer, klimafreundlicher Technologien zusätzliche Mittel bereitstellen wird – allein über den Klimafond bis 2023 insgesamt 360 Millionen Euro. Das Geld soll vor allem in die Erforschung von grünem Wasserstoff fließen. Bereits heute investiere das Ministerium bis 2021 insgesamt 180 Millionen Euro in diesem Bereich. Karliczek sieht in grünem Wasserstoff einen Transmissionsriemen, der erneuerbare Energien in alle Lebensbereiche bringe. „Stahl- und Chemieindustrie, Schiffs- und Flugverkehr sowie der Wärmesektor erhalten durch ihn eine neue Möglichkeit für Klimaneutralität“, erklärt die Ministerin.
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