Der chilenische Präsident Sebastian Piñera steht eigentlich nicht im Verdacht, ein Öko zu sein. Lange Jahre war er Großaktionär und Geschäftsführer der Fluggesellschaft LAN Chile und trieb die rasante Expansion des Unternehmens voran. Als jedoch Brasilien Ende vergangenen Jahres von der Ausrichtung der UN-Klimakonferenz COP25 zurücktrat, ergreift die chilenische Regierung die Chance. Kurzfristig springt das Land ein, und wird im Dezember 2019 die Klimakonferenz ausrichten. Was für ein Glück, dass der Präsident auf Marketing steht, sagte mir dazu ein Bekannter aus der chilenischen Erneuerbaren-Branche. Und in der Tat: das Land wird in den Fokus der internationalen Berichterstattung rücken und kann seine Erfolge bei der Energiewende vorzeigen.
Der Traum der chilenischen Energiewende
Denn zwischen Atacama-Wüste und Patagonien wurden seit 2013 rund vier Gigawatt an Photovoltaik- und Windkraftanlagen zugebaut. Im vergangenen Jahr erreichte die Photovoltaik einen Anteil von sieben Prozent an der Stromerzeugung – und das Wachstum geht munter weiter: 800 Megawatt PV-Leistung befinden sich derzeit im Bau oder sind schon im Probebetrieb. Ganz ohne Fördersystem konnte das kleine Land einen relevanten Markt für erneuerbare Energien etablieren. Das Erfolgsrezept basiert auf einem enormen Solar- und Windpotenzial, subventionsfreien Strompreisen und gesunkenen Systempreisen.
Mit Bemühungen für den Klimawandel haben diese Erfolge übrigens recht wenig zu tun, das ist ein angenehmer Nebeneffekt und wurde bisher vor allem für die Besucher aus Deutschland hervorgehoben. Es ging in Chile in erster Linie um eine sichere Stromversorgung durch die Nutzung eigener Ressourcen und die Senkung der Energiekosten.
Mittlerweile sucht die Regierung nach Exportmöglichkeiten für Erneuerbaren-Strom. Die Investitionsbedingungen sind besser als in den Nachbarländern, so dass mit einer Verbindung der Stromnetze auch Argentinien oder der Süden Perus mitversorgt werden könnten. Darüber hinaus arbeitet die Regierung gerade an einer Strategie für den Export von grünem Wasserstoff nach Japan.
Die lang vergessene Süßigkeit der proaktiven Energiewendepolitik
Was in Gesprächen mit Akteuren der chilenischen Energiewende immer wieder auffällt: Politik und Regierung haben die Chancen der erneuerbaren Energien für das Land erkannt. Die beiden politischen Lager unterstützen den Ausbau der Erneuerbaren, die großen Energieversorger sind proaktiv dabei und auch die Bevölkerung ist überwiegend stolz auf das Erreichte. Aus Deutschland kommend ist das in etwa so, als ob man nach langer Zeit zum ersten Mal wieder eine lang vergessene Süßigkeit aus der Kindheit isst: herrlich. So kann es also laufen, wenn eine positive Politik zum Erneuerbaren-Ausbau gestaltet wird. Lange nicht gehabt.
Interessanterweise ist die deutsche Regierung ein wichtiger Treiber der chilenischen Energiewende. Seit 2004 berät die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an zentraler Stelle, moderiert Runde Tische für gesellschaftlichen Konsens zur Energiewende und führt innovative Ansätze in die Debatte ein. Die GIZ hat in Chile mittlerweile eine Rolle wie Agora Energiewende in Deutschland – finanziert vom Bundesumweltministerium.
Parallelen zwischen chilenischer und deutscher Energie- und Klimapolitik
Und so überrascht es nicht, dass es viele Parallelen gibt. Jüngst haben Energiesektor und Regierung in Chile einen Kohleausstieg bis 2040 verkündet. Der Anteil der Kohle liegt derzeit bei 40 Prozent an der Stromerzeugung. Was wohl passiert wäre, wenn Deutschland einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 verkündet hätte, und nicht bis 2038?
Nicht-Regierungsorganisationen in Chile kritisieren, dass die Regierung bisher wenig konkrete Maßnahmen zu wichtigen Fragen im Klimakontext benannt hat. Besonders kontrovers diskutiert werden der Schutz der Gletscher vor Bergbauaktivitäten und Maßnahmen der Forstwirtschaft gegen Waldbrände. Ein weiteres Dauerthema ist die seit 2010 anhaltende Trockenperiode mit Auswirkungen auf Trinkwasserversorgung, Landwirtschaft und Wasserkraft. Vor diesem Hintergrund klingt die Ankündigung des Präsidenten Piñera, die chilenische Volkswirtschaft bis 2050 vollständig zu dekarbonisieren, nun ja, langfristig. Im gleichen Stil hatte die Bundesregierung schon 2010 eine „weitgehende Treibhausgasneutralität“ bis 2050 verkündet.
Ähnlich wie die deutsche Regierung hat Chile mittlerweile erkannt, dass sich eine (vermeintliche) Vorreiterrolle in Klimaschutzfragen in Soft Power ummünzen lässt. Mit Blick auf die schwierige politische Situation in den eigentlichen regionalen Schwergewichten Brasilien und Argentinien steht das kleine Chile nun als Stabilitätsanker da, mit wachsendem Einfluss auf der internationalen Bühne. Kennen wir ja irgendwie auch.
Allerdings werden große Inszenierungen beim Umsteuern in der Umwelt- und Klimapolitik nicht reichen, weder hier noch dort. Und eines sollten wir uns klarmachen: die Wirkung der deutschen Politik ist mittlerweile global. Falls mal wieder jemand hervorhebt, dass wir eh nur einen Anteil von zwei Prozent an den globalen Emissionen haben. Deutschland muss relevante Maßnahmen zum Schutz der Umwelt angehen. Damit können wir dazu beitragen, dass aus der Ausrichtung der COP25 in Chile keine Marketingshow wird, sondern ein wirklicher Meilenstein der internationalen Klima- und Umweltpolitik.
— Der Autor Stephan Franz ist als freier Berater tätig, aktuell in Santiago de Chile, sonst in Berlin. Er erstellt seit 2007 Marktanalysen in den Bereichen erneuerbare Energien und dezentrale Energiesysteme. www.burof.de —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com
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