Seit Wochen gibt mir die Mitunterzeichnung des Berichts der Kohlekommission durch Sie, BUND-Vorstand Hubert Weiger und zwei weiteren Akteuren aus Umweltverbänden sehr zu denken. Offen gestanden, kann ich diesen Schritt bis heute nicht nachvollziehen. Ich befürchte vielmehr, dass diese Unterzeichnung ein folgenschwerer Fehler ist. Er ist aus meiner Sicht folgenschwer deshalb, weil er von der Kohlelobby und von denen, für die der Klimaschutz politisch nachgeordnet bleibt, gegen uns ins Feld geführt wird. Schon jetzt wird überall und öffentlich erklärt, dass der Kohlebericht im Konsens mit „den“ Umweltverbänden verabschiedet worden ist und entsprechend bindet.
Ich möchte Ihnen darlegen, warum ich die Mitunterzeichnung nicht inhaltlich nachvollziehen kann:
- Die Kohlekommission wertet ihren Bericht (unter Zustimmung von Ihnen, Hubert Weiger) als einen tragfähigen gesellschaftlichen Konsens, auf den sich alle Beteiligten in den kommenden Jahren verlassen können. Demokratiepolitisch gesehen halte ich das für schlicht anmaßend. Ein gesellschaftlicher Konsens könnte nur als Ergebnis breiter Debatten in der Gesellschaft erreicht werden, nicht durch Aushandlung zwischen wenigen berufenen Personen in einer Kommission.
Die anmaßende Bewertung als „gesellschaftlicher Konsens“ hat aber weitreichende Konsequenzen und öffnet den Raum zu politischen Instrumentalisierungen: Wir werden in den kommenden Jahren immer wieder hören, dass „die“ Umweltverbände (es waren de facto drei nominierte Personen) dem zugestimmt haben. Das wird den Handlungsspielraum der Klimabewegung einschränken, übrigens auch innerhalb des Bundestags und der Länderparlamente
- Es wird im Bericht behauptet, dass die Vereinbarungen zur Beendigung der Kohleverstromung beispielgebend für andere Länder sei. Aus meiner Sicht ist eher das Gegenteil der Fall: Überall wird man jetzt darauf hinweisen können, dass im wirtschaftsstarken Deutschland 45 Milliarden Euro als zentralstaatliche Subventionen in betroffene Kohleregionen geleitet und zudem Kohlestrom-Unternehmen finanziell entschädigt werden. Welches ärmeres Land kann sich das leisten? Polen, die Slowakei, Tschechien, Griechenland, Serbien oder Bosnien, um nur europäische Beispiele zu nennen? Die Kohlelobby dort wird argumentieren, dass ein – zudem auf 20 Jahre gestreckter – Ausstieg nach deutschem Modell eben nicht möglich ist.
- Die Erklärung, dass laut Bericht bis 2022 insgesamt 12,7 Gigawatt (GW) an Kohlestrom abgeschaltet werden sollen, stellt sich bei genauerer Lektüre selbst als Beschönigung dar. Auch dort wird dargelegt, dass die 42,6 GW Kohlestrom (Stand Ende 2017) bis Ende 2022 umstandsbedingt und ohne äußere Einwirkung auf voraussichtlich 37,7 GW sinken werden. Sollte „Datteln“ doch ans Netz gehen: auf 40,3 GW. Die mit der Unterschrift der Vertreter der Umweltverbände erreichte Reduzierung betrüge also (ohne Datteln) knapp 8 GW, davon maximal 3 GW Braunkohle. Das ist ziemlich genau der Umfang, den die Verhandlungskommission von Bündnis 90/Die Grünen in den „Jamaika“-Koalitionsverhandlungen bis zum Jahr 2020 erreicht hatte (nachträglich gesehen scheint es klimapolitisch kein Wunder, dass die FDP in letzter Sekunde absprang).
- Die Kohlekommission erwartet (sic!) ausdrücklich, dass Rechtsänderungen des Umwelt- und Planungsrechts das erzielte Ergebnis nicht gefährden. Es geht dabei um die neue EU-Richtlinie zu Emissionsgrenzwerten insbesondere zu Stickoxiden und zu Quecksilber, die Deutschland übrigens bis Ende 2018 hätte umsetzen müssen. Die EU gibt Bandbreiten der Minderung vor. Wenn sie in Deutschland für Stickoxide übernommen würden, könnten nur noch vier Braunkohlekraftwerke weiter am Netz bleiben; die Nachrüstung der Steinkohlekraftwerke wäre voraussichtlich unwirtschaftlich, was so sicher auch zu vorzeitigen Abschaltungen führen muss. Dass die Kohlelobby sich gegen ein anspruchsvolleres Umwelt- und Planungsrecht sperrt, ist ja durchaus nachvollziehbar. Aber die Umweltvertreter mussten doch die Erwartung der Kohlekommission, die Grenzwerte auf jeden Fall nicht zu verschärfen, nicht mittragen! Jetzt wird es geradezu unmöglich, überhaupt noch eine Verschärfung der Emissionsgrenzwerte in Deutschland einzufordern. Die Gegenseite wird sich für ihr „nein“ auf die Zustimmung in der Kohlekommission berufen können – und sie wird das mit Sicherheit auch tun.
- Das gesetzte Enddatum 2038 für die Kohleverbrennung ist, da sind wir uns ja einig, aus Klimasicht weitaus zu spät. Hinzu kommt, dass 2030 laut Kommissionsbericht noch 17 Gigawatt am Netz sein sollen (also C02-Emissionen pro Jahr im hohen fünfstelligen Bereich). Des Weiteren können die vereinbarten Überprüfungen 2023 und 2026, je nach Machtkonstellationen, auch dazu führen, dass mehr Kohle am Netz bleibt, die 17 für 2030 zugestandenen Gigawatt Leistung also noch übertroffen werden.
Die Umweltvertreter schreiben in ihrem Kommentar zwar zutreffend, dass auch sie das Datum für zu spät erachten. Sie haben sich jedoch mit dem Kommissions-Bericht, einer Handhabe dagegen begeben. Ein deutlich früheres Enddatum kann nur im offenen Widerspruch zur jetzigen Zustimmung eingefordert werden. Denn, so der Bericht: erst im Jahr 2032 soll befunden werden, ob das Ende auf 2035 vorgezogen werden „kann“ – also klar zu spät!
Eine Werbung für einen Kohleausstieg in anderen Ländern ist das keinesfalls. Man wird dort mit Blick auf Deutschland geltend machen können, dass Deutschland, dass die potenteste Wirtschaftsmacht sich 20 weitere Jahre Zeit zugestanden hat.
Dass das Abschlussdatum – immerhin! – 2026 und 2029 durch ein „unabhängiges Expertengremium geprüft und „gegebenenfalls angepasst werden“ kann, scheint ein gewisser Rettungsanker und Hoffnungsschimmer zu sein; doch auch hier sind mit umfangreichen Faktoren, die zu berücksichtigen seinen, starke Bremsen eingebaut, ich zitiere S.64:
Das Abschlussdatum wird „hinsichtlich der Auswirkungen auf die Erreichung der Klimaziele, der Entwicklung der Strompreise und der Versorgungssicherheit, der Beschäftigung, der strukturpolitischen Ziele und der realisierten strukturpolitischen Maßnahmen sowie der regionalen Wertschöpfung“ überprüft. Klimaschutz steht hier unter „ferner liefen“.
- Schließlich und kurz: Der Erhalt des Hambacher Forst sei „wünschenswert“; die Einführung einer CO2-Bepreisung möge „geprüft“ werden. So unverbindlich formuliert ist das in der Politik von geringem Wert. Was „Hambach“ betrifft, scheint es ja schon jetzt von RWE und der NRW-Regierung ignoriert zu werden.
Ich bin seit den 1980er Jahren Mitglied des BUND und seit nunmehr 40 Jahren in vielen Feldern der Umweltbewegung aktiv, gegen die fortschreitende Deregulierung des Klimas setze ich mich seit mehr als 30 Jahren in den verschiedensten Zusammenhängen ein.
Diesen Text schickte Hartwig Berger in einem offenen Brief an Hubert Weiger und die weiteren BUND-Vorstandsmitglieder.
— Der Autor Hartwig Berger, von Beruf Hochschuldozent für Soziologie, ist seit 35 Jahren Mitglied des BUND. Er war von 2002 bis 2014 Vorsitzender des „Ökowerks“ eines Umweltverbands in Berlin. Von 1989 bis 2001 war er Mitglied des Abgeordnetenhaus Berlin. —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.
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Hallo und weiter so, mit Vollgas im Zug auf dem Weg zum Abgrund (wir sitzen bestimmt im letzten Wagon),
solche und weitere kritische Beiträge zum verabschiedeten „Kohlekompromiss“ sind viel zu selten und zeigen was die Lobby und die Politik, trotz Druck aus der Bevölkerung, mit uns veranstalten. Es ist keine „Lügenpresse“ sondern „Fakt“ wenn uns diese Ergebnisse als „Erfolg“ in der „handelsüblichen Medienlandschaft“ verkaufen wird.
Auszug aus einer Nachricht vom 30.08.2018 an den MP NRW zu dessen Äußerung über die Kohlekommission:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Laschet,
haben Sie vielen Dank für die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit Ihrer vorgenannten Stellungnahme, soweit Sie erklären, man streue den Menschen Sand in die Augen, wenn man den Eindruck vermittele, dass in Berlin Entscheidungen zu dem Wald bei Aachen getroffen würden; die Kohle-Kommission in Berlin habe klar gemacht, dass der Hambacher Forst nicht in ihr Mandat falle.
Auszug aus einer Email vom 30.08.2018 an den MP des Landes NRW wegen einer Meldung zu einer über dpa verbreiteten Meldung des MP NRW vom gleichen Tage unter folgender Titelüberschrift der Aachener Nachrichten: Politischer Streit um den Hambacher Forst geht in die nächste Runde!
05.03.2019
Kurt Claßen
Ja, Ja, und Ja; 20 Jahre sind ein sehr langer; mit Sicherheit zu langer Zeithorizont.
Jetzt haben wir ersteinmal ein ESTIMATE einer wie auch zusammengesetzter Expertenkommision!
Und jetzt? Warten der Schlange auf das Kaninchen?
Wer hat bessere Ideen; Strom aus–und gut. So einfach wird es auch nicht werden.
Jedoch sollten wir nicht müde werden, einen weitaus schnelleren Ausstieg zu forden; aber bitte mit sachl. Vorschlägen, aber nicht mit schulschwänzenden Freitagsdemos auf Dauer; das wird der Bildung leider abträglich!
Verbrauch:
Hat sich wirklich jeder der hier Beteiligten schon um seinen pers. Footpring gekümmert?
Alle Haupt-Beleuchtungen daheim umgerüstet auf stromsparende LED? das geht!
Heizungspumpen, die mehr als 3000 h/a in Betrieb sind, auf stromsparende Modelle umgerüstet?
In Betrieben und Arbeitsstätten auf einen recourcenschonenden Energieeinsatz hingearbeitet?
Über einen Wohnungswechsel, näher zur Arbeitsstätte nachgedacht, um Transport zu reduzieren?
Konzepte für reduzierten Energieeinsatz für Fertigung, Verkehr oder…innerhalb der Arbeitsstätte hingearbeitet?
Ja,??? mit mäßigem Erfolg.
Es fehlt maßgeblich eine VISION der Bundesregierung für die Energielandschaft 2020, 2030 usw; leider hab ich die Nummer von Herrrn Altmeiernicht gerede nicht parat.
Wir sollten nicht davon ausgehen dass der Energie-Verbrauch 2038 der gleiche wie 2018 sein wird.
Die Ansätze sind offensichtlich zu überarbeiten und FORTZUSCHREIBEN. Dass sehe ich als MUSS!
Ja, es werden jede Menge KWh allein für den E-Verkehr, trotz Einsparungen in den bisher bekannten Bereichen dazukommen; wurde das ausreichend berücksichtigt?
ich fühle mich da nicht ausreichend informiert, geschweige denn gut aufgehoben mit den bislang Agierenden.
Eine Expertenkommission stelle ich mir da anderst vor.
Thomas
Herr Berger unterschätzt den Wert eines „gesellschaftlichen Konsenses“. Wahrscheinlich lebt er in einer Blase, in der eine ziemlich radikale Energiewende Konsens ist, und liest allenfalls noch Umfrageergebnisse, nach denen eine Mehrheit der Deutschen für die Energiewende ist. Das ist aber nur die Hälfte der Wahrheit: Ich sitze täglich mit promovierten Physikern zusammen, die aus allen Wolken fallen, wenn man ihnen erzählt, dass bereits 40% des deutschen Stroms aus regenerativen Quellen stammen. 10% hätten sie für möglich gehalten. Und das sind immerhin Menschen, die wissen, was Energie ist. Wie sieht es da in der Allgemeinbevölkerung und den Massenmedien aus? Sehr düster. Wenn es nach den Fachleuten in der Bevölkerung und den Medien geht, lautet die Devise vor allem „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Theoretisch möchte man schon die Energiewende, aber vor der eigenen Haustür (und noch weniger im Haus!) soll sich nichts ändern. Das ist wie mit der Brexit-Abstimmung: Gegen Geldabflüsse an Brüssel war es leicht eine Mehrheit zu finden, aber dass mit ihrer Beendigung auch alle möglichen Nachteile verbunden sind, das war dann zu viel der Komplexität für Lieschen Müllerin (bzw. Jane Doe).
Der „Kohlekompromiss“ zeigt einen Weg, wie es gehen könnte und mindestens müsste, aber ob man ihn so geht oder schneller oder langsamer, wird sich mit jeder Wahl neu zeigen. Immerhin können sich alle Betroffenen auf das einstellen, was sie erwartet. Insofern kommt er zwar 10 Jahre zu spät, aber jetzt herrscht „offiziell“ keine Investitionsgarantie mehr für Investitionen, die nicht mit ihm vereinbar sind. Vor 10 Jahren hatten wir Finanzkrise und damit andere Probleme. Dafür ist heute deutlicher, welche technischen Lösungen möglich sind. Das hätte vor 10 Jahren noch wesentlich spekulativer gewirkt.
Die Meinung von Herrn Berger ist eine extremistische. Schaut man in die Geschichte, dann waren die kompromisslos vertretenen Extrempositionen meist problematisch, weil sie verhinderten, dass ein eigentlich wichtiges Anliegen so erstrebt wird, dass es für eine Mehrheit akzeptabel wird. Die Meinung selber darf man natürlich haben, und für ihre Ziele weiter kämpfen. Wenn es aber zur Folge hat, dass man nicht mehr miteinander reden kann, auch nicht reden will, dann dient das der Sache nicht. Die Lerngeschwindigkeiten sind leider unterschiedlich. Jemand, der schon vor 20 Jahren als Extremposition das vertreten hat, was heute weitgehender Konsens ist, ist natürlich versucht zu glauben, dass er es auch heute besser weiß als die Bremser. Trotzdem leben wir mit den Bremsern zusammen, und jeder muss sich in einer Demokratie wiederfinden, sonst wird es zur Diktatur.
Ich war schon vor 20 Jahren der Meinung, dass es wichtiger ist, den Energiebedarf durch bessere Wärmedämmung zu senken, als überall blaue Kacheln auf die Häuser und in die Landschaft zu setzen. Und ich habe immer noch recht! Mit einem Euro konnte man vor 20 Jahren das 5-fache an CO2-Emissionen einsparen, wenn man ihn in Wärmedämmung steckte statt in PV. Heute herrscht immerhin Gleichstand. Ich habe auch mein heute 20 Jahre altes Passivhaus vor 10 Jahren mit PV-Modulen erweitert und hätte das nicht getan, wenn sie nicht – dank der Chinesen – so billig geworden wären. So ergibt sich das letztlich Gute aus Kompromissen: Der eine kümmert sich um Wärmedämmung, der andere um PV und zum guten Ende hat man beides.
Natürlich kann man mit dem Ergebnis aus Sicht der Umweltverbände unzufrieden sein. Weil die eigenen radikal Forderungen nicht erfüllt wurden – für die sich jedoch scheinbar derzeit in der Bevölkerung keine Mehrheiten finden lassen.
Viel wichtiger ist als Erfolg zu werten, dass jetzt ein Ausstiegsdatum in 2038 (oder früher) festgelegt wurde. Und nun liegt es beim Wähler darauf zu achten, dass durch das Kreuz auf dem Wahlzettel bei den kommenden Wahlen dieser Termin nicht abhanden kommen.
Alle Interessengruppen können sich nun mit ihren Möglichkeiten auf diese Energiewende einstellen und die Probleme die es noch zu lösen gilt zeitgerecht lösen.
Die Umweltverbände haben jetzt die Möglichkeit ihre Ressourcen zu bündeln um auf die Beschleunigung der Forschung und Entwicklung alternativer Energien zu drängen. Dadurch werden automatisch die fossilen Energiequellen wegen Unwirtschaftlichkeit reduziert. Denn wer forscht noch ernsthaft an einer Energiequelle bei der feststeht das sie in 20 Jahren keine Rolle mehr spielt.
Der Kohlekompromiss ist wichtig um ein gemeinsames Ziel als Orientierungshilfe festzulegen – dies können die Umweltverbände auch als ihren Erfolg verbuchen.