pv magazine: Hauptabsatzmärkte für europäische Anlagenbauer sind Asien und speziell China. Warum wünschen Sie sich wieder große Hersteller in Europa?
Gunter Erfurt (Foto): Um eine erfolgreiche Energiewende zu realisieren, benötigt die Photovoltaik-Industrie die Integration aller Lieferanten und Hersteller, um die besten Produkte für dieses Ziel zu entwickeln. Momentan sind letztere nicht mehr in dem Maße präsent, was für die Entwicklung neuer Technologien nicht förderlich ist. Wir brauchen in Europa die gesamte Wertschöpfung, zumal wir in Europa mit Abstand in der Technologieentwicklung global führend sind. Darüber hinaus ist es auch energiepolitisch und wirtschaftlich sinnvoll, integrierte Solarmodulfertigungen im Gigawatt-Maßstab in Europa wiederanzusiedeln. Dies benötigt aber vor allem eine geschlossene Industriepolitik für die Energiewende in Europa.
Welche industriepolitischen Maßnahmen sind erforderlich, um die Solarindustrie in Europa wiederaufzubauen?
Die Marktziele wurden bereits durch die EU festgelegt, dies ist ein erster guter Schritt – ein klares Bekenntnis zu einem Europa der erneuerbaren Energien. Europa muss aber auch seine technologische Führung besser industriepolitisch nutzen. Wenn Europa beispielsweise ein „Top Runner“-Programm wie die chinesische Regierung für China entwickelt und dies mit Stromgestehungskosten- und CO2-Zielen bezüglich der Herstellung und Logistik paart, dann hat die Solarindustrie in Europa wieder eine große Chance, auf ein Gigawatt-Level zu kommen. Kostenseitig gibt es keinerlei Gründe, warum die Industrie in Europa nicht bestehen könnte – eher im Gegenteil, denn der Transport von Solarmodulen von Asien nach Europa absorbiert mittlerweile circa 5 bis 10 Prozent der Herstellkosten, ebenso steigen Gehälter in Asien kontinuierlich und Europa ist auch auf dieser Ebene „wieder“ wettbewerbsfähig.
Wie groß müssten neue Fabriken in Europa sein?
Gemäß mehreren unabhängigen Analysen benötigt man in Europa Fabriken mit jeweils mindestens zwei Gigawatt Kapazität – damit wären Hersteller kostenseitig wettbewerbsfähig. Technologisch kommen ohnehin die neuen Solartechnologien mehrheitlich aus Europa. In diesem Zusammenspiel aus Skalierung und Technologieführerschaft ist ein profitabler Betrieb solcher Fertigungen möglich – braucht aber wie erwähnt strategische europäische Industriepolitik, um gegen die äußerst kluge und strategische Industriepolitik Chinas zu bestehen.
Welche Rolle spielt eine stabile Nachfrage in Europa?
Dies ist unabdingbar, um Herstellern eine entsprechende Planung und Skalierung zu ermöglichen. Die Nachfrage wird im Prinzip durch die bereits heute niedrigsten Stromgestehungskosten für Solarstrom gegenüber allen anderen Energieträgern sowie den klimapolitischen Zielen getrieben, aber nur wenn der Markt nicht staatlich künstlich beschränkt wird, wie etwa mit dem 52 GIgawatt-Deckel in Deutschland.
Inwiefern sind Kooperationen zwischen Maschinenbau und Herstellern in Europa für die Weiterentwicklung der Technologie wichtig?
Diese Kooperation waren und sind der Schlüssel für die gesamte Erfolgsgeschichte der Photovoltaik: Prozesse wurden im engen Forschungs- und Entwicklungsnetzwerk zu dem unter anderem Fraunhofer, CEA, CSEM, ISFH, ECN, IMEC, Uni Konstanz und einige mehr gehören – entwickelt und dann durch die europäischen Anlagenbauer und Materiallieferanten gemeinsam mit europäischen Wafer-, Zellen- und Modulherstellern industrialisiert.
Auf welche Technologie sollten europäische Gigawatt-Hersteller setzen?
Eindeutig auf die Technologie, die den meisten Vorsprung sowie die beste Stromgestehungskosten liefert. Aus Sicht von Meyer Burger ist dies mit Abstand die Heterojunction-Technologie sowie in wenigen Jahren die Kombination mit Tandem-Technologien, welche ein Potenzial für die Solarzelleneffizienz von mehr als 30 Prozent ermöglichen wird. Die Stromgestehungskosten werden damit auf unter zwei Cent pro Kilowattstunde sinken.
Wie schnell muss in der Industriepolitik etwas passieren? Ist es nicht schon zu spät?
Es ist definitiv bereits 12 Uhr. Änderungen müssen unverzüglich und auch äußerst konsequent erfolgen. Kleine Schritte werden keine Lösung mehr sein und die Industrie wird sich noch stärker nach Asien bewegen. Europa stünde dann in einer massiven Abhängigkeit von China mit der zukünftigen Energiequelle Nr. 1. Es ist bereits aus diesem Grund unverantwortlich, einfach so weiter zu machen. Weder bei Kohle, noch bei Atom, noch Öl und Gas hat Europa jemals so naiv agiert und das Feld anderen überlassen.
Warum ist die Photovoltaik für Europas Zukunft so zentral?
Die Solarenergie wird einer der Schlüssel in Richtung einer „Industrie 5.0“ sein, nämlich bezüglich der Sektorenkopplung von Solar mit etwa der chemischen Industrie – prominentes Beispiel ist solare Herstellung von Wasserstoff. Ein weiterer wichtiger Rohstoff der Zukunft kann beispielsweise CO2 sein. Mit Gas-to-liquid- oder Gas-to-solid-Prozessen könnte die Industrie „erneuerbare“ Kunststoffe oder Kraftstoffe herstellen. Oder es ließe sich Meerwasser mit Hilfe der Solarenergie entsalzen, um Landwirtschaft auch in ariden Gebieten im Zuge des Klimawandels zu betreiben. Beispiele für Sektorenkopplung gibt es noch viel mehr, alles ist abhängig von ultra-niedrigen Stromgestehungskosten von weniger als zwei Cent pro Kilowattstunde, die nur mit Solarenergie möglich sein werden.
Auf der EU PVSEC haben sich Anlagenbauer, Material- und Komponentenhersteller sowie Forschungsinstitute zum European Solar Manufacturer Council (ESMC) zusammengeschlossen. Ist eine neue Vereinigung notwendig, um das Thema Industriepolitik voranzutreiben und warum geht es nicht unter dem Dach von Solarpower Europe?
Momentan orientiert sich die europäische Industriepolitik neu, das ist gut. Getrieben wird dies durch Solarpower Europa, aber eben auch durch die neu gegründete ESMC-Initiative. Beide Organisationen sind komplementär und haben ihre Berechtigung, denn Solarpower Europe ist Sprecher für die gesamte Industrie, ESMC spezialisiert sich auf die herstellenden Sektoren.
Wird sich Meyer Burger an ESMC beteiligen?
Meyer Burger ist bereits Mitglied bei Solarpower Europe, prüft aber derzeit auch eine Beteiligung an der ESMC-Initiative.
Mehr zum Thema industriepolitische Bemühungen in Europa und die voraussichtlich größten Märkte im nächsten Jahr finden Sie in unserer November-Ausgabe.
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