Ursprünglich war im Vorstandsantrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ein Lippenbekenntnis zum Pariser Abkommen enthalten, das Thema „Umsetzung“ aber komplett ausgeblendet. Proteste von Delegierten und eine campact-Petition führten zu dem Zusatz, dass die Klimaziele 2050 der Bundesregierung „unterstützt“ werden, jedoch nur als „sinnvolle Grundlage“, anhand derer „der Weg in eine kohlenstoffarme Wirtschaft diskutiert werden kann“. Bloße Diskussion über Klimaschutz – damit konnte auch die IGBCE gut leben. 249 von 355 Delegierten stimmten zu.
Früher war der DGB so etwas wie ein „Hort der Fortschrittlichkeit“. Unter Fortschritt war der „soziale Fortschritt“ zu verstehen: materielle und rechtliche Verbesserungen für die Arbeitnehmer, mehr Demokratie und vieles mehr. Der technische Fortschritt war nicht gemeint. Dieser war Angelegenheit der Arbeitgeber, die ihn zwecks Gewinnmaximierung vorantrieben. Den Gewerkschaften brachte er Ungemach, da er in aller Regel mit Arbeitsintensivierung und Arbeitsplatzabbau verbunden war.
Beim Wechsel der Energieerzeugung auf die erneuerbaren Energien handelt es sich um einen noch nie dagewesenen Typ technischen Fortschritts: um die gleiche Menge Energie zu erzeugen, werden erheblich mehr Arbeitskräfte benötigt als auf dem konventionellen Weg! Der Wechsel geht also einher mit einem Zuwachs an Arbeitsplätzen! Und: Bisher war die Effektivierung von Technik und Produktionsprozessen verbunden mit Konzentration und Zentralisierung des Kapitals. Konzerne wurden weniger und größer. Die erneuerbaren Energien führen in die entgegengesetzte Richtung: Da Sonne und Wind überall naturhaft gegeben sind, können sie (zumindest fast) überall in die vom Menschen benötigten Energieformen umgewandelt werden. Somit findet Dezentralisierung statt.
Das gewerkschaftliche Bemühen bewegt sich auf einem in sich widersprüchlichen Feld: Einerseits ist der „Arbeitgeber“ (ein unstimmiger Begriff, denn in Wirklichkeit ist es ja der Arbeiter, der die Arbeit gibt, während der Unternehmer sie nimmt) Kontrahent, gegen den man mitunter auch zu Kampfmaßnahmen greift, andererseits will/darf man ihn aber keinesfalls vernichten. Denn besser suboptimale Arbeitsplätze als keine. So haben Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften schon oft erhebliche Zugeständnisse gemacht, um ein Unternehmen zu erhalten.
Beim Übergang von den konventionellen auf die erneuerbaren Energien verschwinden die bisherigen Arbeitsplätze und zusätzlich ändern sich auch noch alle möglichen sonstigen Strukturen. Da greift nun in ganz besonderem Maß die tief eingeprägte Erfahrung: Arbeitsplätze sind unsere Existenzgrundlage, wenn die weg sind, sitzen wir auf der Straße. Dass dieser Arbeitsplatzwegfall einer ist, bei dem für jeden wegfallenden zehn neue Arbeitsplätze entstehen, ist ein völlig neuer Umstand, für den es keinerlei historische Vorbilder gibt. Dem traut man nicht. „Reingelegt“ wurde man schließlich schon nur zu oft.
Würden die Gewerkschaftsapparate ihre Aufgabe der Interessenvertretung verantwortungsvoll und ehrlich wahrnehmen, würden sie ihren Mitgliedern die grundsätzlichen Unterschiede des derzeit stattfindenden Wandels zu früheren Maßnahmen der Ausbeutungsverschärfung erklären. Sie könnten hierbei auch darauf hinweisen, dass alle bisherigen Rationalisierungsmaßnahmen und sonstigen Umwälzungen immer nur dem Ziel der Gewinnmaximierung und des Konkurrenzvorteils dienten. Auslöser der Energiewende ist demgegenüber schlichtweg das Lebensinteresse der Menschheit – und die umfassende Verbesserung der Lebenssituation, die durch die sauberen Energien und die umfassende Säuberung der Umwelt eingeleitet wird.
Mit der Dezentralisierung der Energieerzeugung und der in ihrer Folge vermutlich ebenfalls erfolgenden Dezentralisierung weiterer Produktionsbereiche werden allerdings auch die Gewerkschaften als große zentralistische Strukturen in Frage gestellt. Leitende Funktionäre ahnen dies vielleicht und haben kein Interesse, diesen Prozess zu beschleunigen, in welchem auch ihre Position in Frage gestellt werden könnte.
Die Gewerkschaft ÖTV hatte als Symbol eine Schildkröte. Damit wurde ausgedrückt, dass die vielen für sich allein schwachen Mitglieder unter diesem breiten Schild gemeinsam Zuflucht und Sicherheit finden. Das entspricht nicht dem Menschentyp, der die erneuerbare Zukunft gestalten wird!
Sehr viele Menschen sind aber auch nicht in erster Linie als Schutzsuchende in der Gewerkschaft, sondern weil sie aktiv und verändernd tätig sein wollen. Einige von ihnen (aus der IG Metall) sind auch auf dem DGB-Kongress hervorragend aufgetreten. Ihnen ist zu danken und zu wünschen, dass ihre Botschaft bei immer mehr Kollegen ankommt! Die Gewerkschaften haben bisher mit dem technischen Fortschritt zwar so manches Problem gehabt, haben ihn aber nie grundsätzlich negiert, sondern bei seiner Gestaltung im Interesse der Beschäftigten mitgewirkt. So sollten sie es auch bei der Energiewende halten: vor den hiermit verbundenen Herausforderungen nicht die Augen verschließen, sondern an der Gestaltung mitwirken.
— Der Autor Christfried Lenz war unter anderem tätig als Organist, Musikwissenschaftler und Rundfunkautor. Politisiert in der 68er Studentenbewegung, wurde „Verbindung von Hand- und Kopfarbeit“ – also möglichst unmittelbare Umsetzung von Erkenntnissen in die Praxis – zu einer Leitlinie seines Wirkens. So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI „Kein CO2-Endlager Altmark“ engagiert er sich ganz für den Ausbau der Ereneuerbaren in der Region. Als Mitglied des Gründungsvorstands der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, wirkte er mit an der Realisierung einer 750 Kilowatt-Freiflächenanlage in Salzwedel. Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende —
Die Blogbeiträge und Kommentare aufwww.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.
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Die gespaltene Seele der Gewerkschaften wird ganz gut beschrieben. Letztlich sind aber deren Bekenntnisse zum Fortschritt nur Lippenbekenntnisse, da sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Tatsächlich ist den heutigen Gewerkschaftsmitgliedern und ihren Funktionären das Hemd näher als der Rock. Das heißt: Gewerkschaftsmitglieder sind die Beschäftigten, und die sind bei den alten Dinos beschäftigt. Daraus resultiert die konservative Haltung: „Bloß nichts ändern, solange ich lebe und noch arbeiten will“.
Das mit den 10mal so vielen Arbeitsplätzen ist zum Glück nicht wahr. Wenn dem so wäre, wären die Erneuerbaren unbezahlbar, oder es müssten sehr schlecht bezahlte Arbeitsplätze sein. Da die Erneuerbaren aber, zumindest bisher, nicht billiger sind, bedeutet die Umstellung sicher netto keinen Verlust von Arbeitsplätzen. Es ist allerdings nicht gesagt, dass die neuen Arbeitsplatzbesitzer dann auch Gewerkschaftsmitglieder sein werden. Das wäre eine immerwährende Herausforderung für die Gewerkschaften, in neuen Industrien Mitglieder zu rekrutieren, was ein anstrengendes Geschäft ist. Leider befinden sich, jedenfalls bei der PV, ein Großteil der Arbeitsplätze nichteinmal in Deutschland, sondern in China und Südostasien. Da wir immer noch einen viel zu hohen Handelsbilanzüberschuss haben, ist das aus übergeordneter Sicht eigentlich kein Problem, aus der Graswurzelperspektive der Gewerkschaftsfunktionäre aber schon.
Da man gegen die Gewerkschaften nur schwer ankommt – sie stellen in unserem Verbändestaat immer noch eine relevante Gruppe dar – bleibt einem nichts anderes übrig, als sie mit ins Boot zu holen. Das schafft man einerseits durch einen sozial verträglichen Abbau der Kohleverstromung und andererseits durch eine Unterstützung auch durch die neuen Arbeitgeber! des Aufbaus gewerkschaftlicher Strukturen in den neuen Industrien. Letztlich hat sich das kooperative Prinzip in Deutschland sehr bewährt und ist eine der Ursachen für den wirtschaftlichen Erfolg, dass Gewerkschaften nicht bloß Klassenkampf gemacht, sondern sich auch konstruktiv in die Arbeitsorganisation eingebracht haben.
JCW: „Das mit den 10mal so vielen Arbeitsplätzen ist zum Glück nicht wahr.“
Wenn man davon ausgeht, dass die EE rund 33% im Strommix ausmachen und hierfür über 300.000 Beschäftigte tätig sind, während Braun- und Steinkohle mit rund 38% im Mix vertreten sind und rund 30.000 Beschäftigte haben, dann ist das genannte Verhältnis von 10 zu 1 doch noch zurückhaltend.
Anzudeuten, dass die derzeitige Struktur der Gewerkschaften bei einer dezentralen Versorgung mit EE nicht unverändert bleiben wird, ist ein Anliegen des Artikels.
„Da man gegen die Gewerkschaften nur schwer ankommt – sie stellen in unserem Verbändestaat immer noch eine relevante Gruppe dar – bleibt einem nichts anderes übrig“
Das wird der sehr wichtigen Aufgabe der Gewerkschaften nicht gericht. Arbeitnehmerschutzrechte gelten auch für Beschäftigte im EE-Bereich. „Im Nahmen der Sache der EE“ wird hier gerne auch mal über diese Schutzrechte hinweggesehn. An der Front wo man sich die Finger dreckig macht geht man nicht so zimperlich mit den Arbeitnehmern um. Schließlich muß knapp kalkuliert werden für die ausreichende Rendite der großen und kleinen Investoren und der Betriebe die unter starkem Konkurenzkampf stehen . Wir betrügen uns doch selber wenn wir die Akteure der EE immer als die Engel darstellen die immer nur altruistich an der Rettung der Welt arbeiten und die anderen Akteure bei den „Alten Energien“ sind die immer nur die Bösen. Das ist doch viel zu einfach. Es sind auch Rauptierkapitalisten bei den Erneuerbaren tätig, denen die Sache und die Menschen ziemlich egal sind. Und diese gilt es auch ehrlich zu benennen. So gehört die soziale Frage auch zu den Qualitätskriterien die sich die Branche stellen muß.
Das etablierte Verhältnisse und alte Denkmuster so lang als möglich aufrecht erhalten bleiben sollen, wollen viele Gruppen des gesellschaftpolitischen und wirtschaftlichen Lebens. Natürlich auch manche Funktionäre der Gewerkschaften. Ist es nicht eher die Frage, wie die Soziale Gerechtigkeit mit der Energie- und Umweltpolitischnen Gerechtigkeit verbunden wird. Sie sind doch zwei Aspekte einer größeren Herausforderung. Der Befreiung aus desdruktiven Abhängigkeitsverhältnissen.
Aus diesen Gründen ist es wichtig die Gewerkschaften mit ins Boot zu nehmen und nicht von oben herab mit dem erhobenen Zeigefingers des Oberlehrers zu kommen.
Mit dem Übergang auf 100% EE ist möglicherweise auch eine „Sozialwende“ verbunden: „Hilfe den sozial Schwachen“ wird allmählich abgelöst durch Verschwinden sozialer Schwäche, indem der grundlegende Wirtschaftszweig „Energieerzeugung“ in die Hände und den Besitz von Millionen Akteuren, „Prosumern“ übergeht – mit entsprechendem Emanzipations- und Reifeprozess der ganzen Gesellschaft. – Derartiges war schon immer die Vision auch der Arbeiterbewegung, die die Linderung des Elends nie als ihren Endzweck betrachtet hat.