Es ist nicht zu fassen: In den ersten Wochen der neuen Regierung werden sogar noch die minimalen und vollkommen unzulänglichen Klimaschutzvereinbarungen des Koalitionsvertrages missachtet.
Dabei hatte die Große Koalition (GroKo) im Koalitionsvertrag vereinbart, die Lücke der aus ihrer Sicht nicht mehr zu erreichenden nationalen Klimaschutzziele bis 2020 möglichst doch noch zu schließen, weil die weltweite Resonanz oft von Entsetzen über das Klimaschutzversagen Deutschlands geprägt war.
Doch wie soll die Bundesregierung denn wieder das Vertrauen der Welt für Klimaschutz erreichen, wie wenn in der Kürze der verbleibenden Zeit, gleich in den ersten Handlungen nicht einmal die unzulänglichen Maßnahmen des Koalitionsvertrages eingehalten werden? Genau dies findet aber statt.
Zwei aktuelle gravierende Bespiele mögen dies beleuchten:
* Der letzte Woche vorgelegte Haushaltsentwurf für den Bundeshaushalt sieht keine Förderung der energetischen Sanierung von Gebäuden vor. Dabei steht im Koalitionsvertrag: „Wir wollen die energetische Gebäudesanierung steuerlich fördern. Dabei werden wir für die Antragsteller ein Wahlrecht zwischen einer Zuschussförderung und einer Reduzierung des zu versteuernden Einkommens vorsehen.“ Doch von der Förderung energetischer Gebäudesanierung steht nun nichts im Haushaltsentwurf 2019 des Finanzministers Olaf Scholz (SPD), so kritisiert es zu Recht Christian Noll, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff), im Handelsblatt:
* Die im Koalitionsvertrag vereinbarten zusätzlichen Ausschreibungen von jeweils 2 Gigawatt Windkraft und PV für die nächsten beiden Jahre sind im ersten Entwurf der nächsten EEG-Novelle nicht enthalten:
Damit will die Bundesregierung offensichtlich nach jahrelangem Verlangsamen der Erneuerbaren Energien-Ausbaudynamik diesen Rückgang weiter verschärfen.
Dabei werden Union und SPD selbst mit den zusätzlichen je 2 Gigawatt Ausschreibungen die aktuelle, schon verlangsamte Ausbaudynamik im Ökostromsektor weiter reduzieren. Auch das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel von 65 Prozent Ökostrom bis 2030 ist nichts anders als eine weitere Verlangsamung der bereits erreichten Ausbaudynamik. Leider macht sich kaum jemand die Mühe genau in die Zahlenarithmetik zu gehen.
Dabei ist dies schnell zu erkennen: Mit dem rot-grünen EEG wurde eine wie in der Industrie (z.B. bei den Informationstechnologien) meist vorhandene exponentielle und eben nicht lineare Wachstumsgeschwindigkeit angestoßen. Sie äußert sich in etwa gleich bleibenden Verdopplungszeiträumen.
So wurde nach Einführung des EEG im Jahre 2000 in etwa 7 Jahren der Anteil des Ökostromes am Bruttostromverbrauch von gut 6 auf etwa 14 Prozeng im Jahre 2007 sogar mehr als verdoppelt. Bis 2014 ergab sich erneut in 7 Jahren fast eine Verdopplung auf etwa 27 Prozent. Die nächste Verdopplung auf etwa 54 Prozent wäre demnach bis etwa 2021 zu erwarten. Bis etwa 2030 wäre, selbst wenn man eine Abflachung der Wachstumskurve gegen Ende wie üblich einkalkuliert eine 100-prozentige Ökostromversorgung zu erwarten.
Doch die GroKo strebt eben nur 65 Prozent und eben nicht 100 Prozent an, obwohl dies aus Klimaschutzgründen zwingend erforderlich wäre und – wie andere industrielle Wachstumsprozesse längst bewiesen haben – auch leicht möglich wäre. Doch die gesetzlich verordneten Wachstumsbremsen im EEG verhindern eben eine normale industrielle exponentielle Wachstumsdynamik bei Erneuerbaren Energien.
Denn täuschen darf man sich nicht lassen. Selbst wenn die Bundesregierung nun die im Koalitionsvertrag vereinbarten 2 Gigawatt (GW) Zusatzausschreibungen für Wind und Solar für 2018 und 2019 tatsächlich umsetzen würde (was sie mit dem EEG-Entwurf aber gar nicht machen will), dann wären die jährlichen Neuzubauten immer noch deutlich unter dem was in Deutschland längst als Ausbautempo erreicht wurde. Bei Windkraft waren es 2017 etwa 6,5 GW und dies soll für zwei Jahre dann auf 4,8 GW reduziert werden und ab 2020 sogar auf 2,8 GW. Bei der PV sieht es ähnlich aus. Mit den Zusatzausschreibungen soll es zwei Jahre lang einen Zubau von 4,5 GW geben, der dann ab 2020 wieder auf 2,5 GW sinken soll. Dabei hatte Deutschland 2011, 2012 und 2013 schon mal über 7 GW jährlich zugebaut.
Wer also genau hinschaut, sieht sofort, dass selbst die unzulängliche aktuelle Ausbaudynamik der Erneuerbaren Energien durch CDU/CDU/SPD weiter gedrosselt werden soll, um die Geschäfte mit Atom, Kohle und Erdgas nicht zu gefährden.
Diese neue GroKo ist auf dem Wege, Deutschland vom Klimasünder zum aktiven Klimazerstörer zu führen.
— Der Autor Hans-Josef Fell saß für die Grünen von 1998 bis 2013 im Deutschen Bundestag. Der Energieexperte war im Jahr 2000 Mitautor des EEG. Nun ist er Präsident der Energy Watch Group (EWG). Mehr zu seiner Arbeit finden Sie unter www.hans-josef-fell.de. —
Die Blogbeiträge und Kommentare auf www.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com
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Mit dem Glauben, eine exponentielle Steigerung ließe sich bis zum Anschlag fortsetzen, können Sie aber nicht erwarten ernst genommen zu werden. Realistisch ist: Der Anstieg wird in einer S-Kurve verlaufen. Die ähnelt am Anfang einer Exponentialkurve, geht im Mittelteil in eine lineare Entwicklung über (da sind wir gerade, bei über 40% EE-Anteil am deutschen Stromverbrauch, Steigerung von 2%/Jahr, sollte etwas steiler sein) und flacht dann oberhalb von 70% ab.
Wenn man den Lobbyisten der Kohle erfolgreich Paroli bieten will, dann muss man Konzepte entwickeln, die auch mit hohem EE-Anteil die Stromversorgung sicher und bezahlbar erhalten. Dazu braucht es den Ausgleich von regionalen Erzeugungsspitzen durch entsprechende Netze, damit (bspw.) norddeutscher Windstrom auch in österreichischen Speicherkraftwerken gebunkert werden kann. Außerdem Batteriespeicherung zum Ausgleich des Tagesgangs von Verbrauch und zeitlichen und regionalen Erzeugungsspitzen und – tälern. Da es mit den Netzen noch dauern wird, wäre es sinnvoll, jetzt schon Batteriespeicher erzeuger- und verbrauchernah im großen Stil zuzubauen, da sie hinreichend günstig geworden sind, und auch bei ausgebauten Netzen und weiter steigendem EE-Anteil weiterhin gebraucht werden.
Die Kohlelobbyisten spielen immer noch erfolgreich mit der Karte „Blackout“. Von „gesicherter Kraftwerksleistung“ ist da die Rede, womit suggeriert wird, man bräuchte die maximale Verbrauchsspitze als konventionelle Kraftwerksleistung. Es würde aber, dank Speichern, die durchschnittliche Tagesleistung, abzüglich des europaweit austauschbaren immer mindestens verfügbaren volatilen EE-Beitrags, völlig reichen. Den Aufbau der notwendigen Speicherkapazitäten und -leistungen aber wissen die Lobbyisten und die Netzbetreiber, die gleichzeitig in Schwestergesellschaften Betreiber von konventionellen Kraftwerken sind, erfolgreich zu verhindern.
Auf dem Wärmemarkt sind wir in der Tat noch ganz unten in der S-Kurve. Da wäre eine Verdopplung der Maßnahmen alle drei Jahre erforderlich, um die Handlungslücke der vergangenen Jahre zu schließen. Aber da denken maßgebliche Teile der CDU/CSU: „Nach mir die Sintflut“. Die wollen heute gut leben, Kinder oder Enkel haben sie keine.