Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ist günstiger als derzeit geplante Atomkraftwerke in mehreren osteuropäischen EU-Staaten – und das bei gleicher Versorgungssicherheit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Berliner Analyseinstituts Energy Brainpool im Auftrag des Ökoenergie-Anbieters Greenpeace Energy. Demnach planen derzeit Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien den Bau von Atomkraftwerken – Ungarn zum Beispiel mit russischer Reaktortechnik. Diese Projekte hätten zusammen eine Nettoleistung von 15,6 Gigawatt, was der Leistung aller zwischen 2011 und 2022 abgeschalteten deutschen Atomkraftwerke entspreche.
Energy Brainpool vergleicht in der Studie die Kosten der osteuropäischen AKW-Projekte mit denen eines verlässlich steuerbaren Erneuerbaren-Kraftwerksystems. Dieses System besteht aus Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen, deren Stromüberschüsse per Elektrolyse in erneuerbaren Wasserstoff umgewandelt werden. Dieses sogenannte „Windgas“ dient als Speichermedium und kann bei Bedarf in teils eigens gebauten Gaskraftwerken wieder in Strom umgewandelt werden.
Die Studie führt für jedes der genannten Länder Kosten und Dimensionierung der Erneuerbaren-Anlagen auf. Insgesamt müssten demnach in den vier osteuropäischen Ländern rund 85 Gigawatt an Erneuerbaren-Leistung errichtet werden. Bei Betrachtung der optimierten Aufteilung zwischen Windenergie und Photovoltaik überwiegt zumeist die Windkraft mit einem Anteil zwischen 70 und 80 Prozent. Nur für die Slowakei sehen die Analysten einen höheren Photovoltaik-Anteil von 41 Prozent. Dort werden lediglich 1334 Vollbenutzungsstunden für die Windkraft angenommen. Zum Vergleich: In Ungarn, Polen und Tschechien würden durchschnittlich 2093 Volllaststunden erreicht. Die Studie kommt durch den höheren Photovoltaik-Anteil in der Slowakei auch zu höheren Stromgestehungskosten von knapp 90 Euro pro Megawattstunde, das seien 24 Euro mehr als beim Durchschnitt der anderen drei Länder.
Dabei sei gerade in der Slowakei die Photovoltaik je erzeugter Megawattstunde deutlich günstiger als Wind an Land, sagt Fabian Huneke, Studienautor von Energy Brainpool, auf Nachfrage von pv magazine. „Möchte man allerdings eine möglichst kontinuierliche Belieferung erreichen – und das haben wir über stündliche, landesweiten Einspeisezeitreihen von Wind und Solar als Grundbedingung in der Studie angenommen und modelliert – so braucht man einen Mix aus Wind und Photovoltaik.“ Obwohl Photovoltaik also viel günstiger sei, brauche das Gesamtsystem auch den Windstrom für eine möglichst gleichmäßige Strombelieferung. Für Deutschland hat das Fraunhofer ISE vor wenigen Wochen die Photovoltaik als die Technik mit den niedrigsten Stromgestehungskosten ausgemacht.
Neben den Wind- und Photovoltaik-Parks müssen der Studie zufolge aber auch noch Elektrolyseure und Gaskraftwerke zur Steuerbarkeit der Versorgung aufgebaut werden. Die Kosten dafür belaufen sich demnach auf 40 bis 77 Euro pro Megawattstunde in den nationalen Szenarien, am teuersten ist es auch hier in der Slowakei. Insgesamt müssten in den vier betrachteten Länder Elektrolyseure mit einer Leistung von insgesamt 17 Gigawatt aufgebaut werden, dazu für die Verstromung des Wingases Gaskraftwerke mit insgesamt 15,6 Gigawatt Leistung.
Alles zusammengenommen lägen die Stromgestehungskosten in Polen bei 112 Euro, in Tschechien bei 119 Euro, in Ungarn bei 129 Euro und in der Slowakei bei 167 Euro je Megawattstunde. „Arbeiten die vier Staaten enger zusammen, indem sie das entstehende Elektrolysegas je nach Bedarf über das grenzüberschreitende Gasnetz verteilen und verbessern sie etwa über EU-Bürgschaften die derzeit schwierigen Finanzierungsbedingungen, so sinken die Kosten der Erneuerbaren sogar auf bis zu 100 Euro ab“, sagt Huneke. Dabei wäre die Kostendegression von Elektrolyseuren und erneuerbaren Energien bis 2035 mit einberechnet – bis 2027 käme man auf 120 Euro pro Megawattstunde.
Diesen Kosten stellt die Studie den Preis für die geplanten Atomkraftwerke gegenüber. In den osteuropäischen Ländern geht man demnach offiziell von Stromgestehungskosten für AKWs von 80 Euro pro Megawattstunde aus – der Studie zufolge ist dieser Preis zu niedrig gesetzt. „Die Planwerte beim Referenzprojekt Flamanville in Frankreich haben sich bisher mehr als verdoppelt, Hinkley Point C in Großbritannien erhält letztlich mit 119 Euro pro Megawattstunde eine staatlich garantierte Förderung deutlich über Marktpreisen“, sagt Huneke. „Warum gerade in den osteuropäischen Staaten Reaktorprojekte bei gleichem Sicherheitsstandard günstiger werden sollten als in Frankreich oder Großbritannien, ist nicht ersichtlich.“ Die AKW-Projekte in Osteuropa kämen stattdessen also auf bis zu 126 Euro pro Megawattstunde. Der finanzielle Vorsprung der Erneuerbaren würden außerdem noch größer, wenn man zusätzliche Kosten für AKW-Störfalle und die noch nicht eingepreiste Lagerung von Atommüll berücksichtigt, heißt es dazu.
Mit der Studie appelliert Greenpeace Energy direkt an die Regierungen der vier Staaten, ihre Atompläne auf den Prüfstand zu stellen. „Der Jahrestag von Tschernobyl mahnt, dass Atomkraft ehrlich betrachtet nicht nur immense Kosten, sondern auch unbeherrschbare Risiken beinhaltet“, sagt Greenpeace-Energy-Vorstand Nils Müller. Auch die deutsche Bundesregierung stehe in der Pflicht: „Ein Atomunfall in einem der östlichen Nachbarstaaten hätte auch verheerende Auswirkungen bei uns, und seine wirtschaftlichen Folgen wären nur zu einem Bruchteil versichert“, warnt Müller. Nun müsse Berlin endlich aktiv gegen entsprechende Atompläne der Nachbarstaaten vorgehen und die dortigen Regierungen von sauberen und sicheren Alternativen überzeugen.
Die Studie von Energy Brainpool steht in deutscher und englischer Fassung zum Download bei Greenpeace Energy bereit.
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Es bleiben Fragen offen: Wird bei der Rückumwandlung des H2 von einer Wirkungsgradsteigerung über Wärmekraftkopplung Gebrauch gemacht?
Kann man einen Teil des produzierten H2 auch dezentral in stromgeführten Brennstoffzellen zur Wohnungsheizung verwenden?
Kann man die Abwärme, die bei der Elektrolyse entsteht, sinnvoll nutzen?
Warum stellt man einen Teil der Windräder, die in der Slowakei einen so schlechten Jahresnutzungsgrad hätten, nicht in Gegenden auf, wo sie einen guten Jahresnutzungsgrad aufweisen, und transportiert dann das H2 an den Verbrauchsort, was ja wie bei Erdöl und Erdgas wirtschaftlich möglich sein sollte?
Mir scheint es bei diesen Modellrechnungen noch Optimierungsmöglichkeiten zu geben.