Zusammenhang von Technikentwicklung und Gesellschaftsstruktur
Einschneidende Veränderungen von Technik und Produktionsweise sind immer auch mit gesellschaftlichen Prozessen verbunden. Die Erfindungen, die dazu führten, dass die mittelalterliche Agrarwirtschaft vom Industriezeitalter abgelöst wurde, konnten nicht vom Bauernstand und seiner (feudalen) Führung gehandhabt werden. Hierzu bedurfte es anderer gesellschaftlicher Gruppen, die auch von anderen Menschentypen geprägt waren.
Auch beim Wechsel von den konventionellen zu den erneuerbaren Energien handelt es sich um eine Veränderung, die nicht ohne gesellschaftliche Umstrukturierungen ablaufen kann: Die konventionelle Energieerzeugung ist zentralistisch, findet statt in Großkraftwerken, deren Betrieb wenige Konzerne unter sich aufgeteilt haben. Motiv ist die Profitgenerierung. Die Schädigung von Klima, Umwelt und Gesundheit wird daher in Kauf genommen.
Die erneuerbaren Energien – in erster Linie Sonne und Wind – sind ihrem Wesen nach dezentral, da sie von Natur aus überall zur Verfügung stehen und jeweils vor Ort genutzt werden können. Neben anderen Vorteilen (z.B. kein Brennstoffbedarf) werden sie vor allem deswegen entwickelt und eingesetzt, um die genannten schädlichen Auswirkungen der konventionellen Energien zu vermeiden. Motiv ist hier also nicht ein möglichst hoher Profit, sondern die Bereitstellung eines in jeder Hinsicht nützlichen Produktes.
Konzerne und Regierung bremsen die Erneuerbaren
Es liegt auf der Hand, dass die konventionellen Energiekonzerne sowohl hinsichtlich der Technik als auch hinsichtlich ihrer ganzen Mentalität nicht die Voraussetzungen mitbringen, um eine auf erneuerbaren Energien beruhende Versorgung aufzubauen. Dies war ihnen wohl selber klar, weshalb sie zunächst auch nicht versuchten, in die Erneuerbaren einzusteigen, sondern – seitdem deren grandioser Aufschwung infolge des EEG 2000 ihr überlegenes Lächeln vertrieben hatte – darauf setzten, deren weiteren Ausbau zu stoppen.
Hierfür erhielten sie von der schwarz-gelben Bundesregierung und insbesondere von deren Wirtschaftsminister Rösler (FDP) bereitwillige Unterstützung: Im Jahr 2010 wurde eine neue Berechnungsweise für die EEG-Umlage in Kraft gesetzt, die einen sprunghaften Anstieg der Umlage bewirkte, obwohl die Erneuerbaren nur moderat wie zuvor weiterwuchsen. Damit wurde der Grundstein für die nachfolgende Propaganda gelegt, die die Erneuerbaren Energien als „Strompreistreiber“ in öffentlichen Misskredit zu bringen versuchte.
Hierauf aufbauend wurde 2012 eine radikale Kürzung der Einspeisevergütungen vorgenommen, die die gewünschte Wirkung denn auch zeitigte: Der PV-Ausbau, der in den Jahren 2010 bis 2012 jeweils weit über 7 GW gelegen hatte, brach 2013 auf 3,3 GW ein und initiierte den Verlust von 40.000 Arbeitsplätzen in der Branche.
Auf Rösler folgte Gabriel. Er trat in die Fußstapfen seines gelben Vorgängers und führte dessen Politik mit dem EEG 2014 konsequent weiter, so dass der PV-Ausbau seit 2015 bei ca. 1,5 GW angekommen ist. Mit der neuesten Novellierung (EEG 2017) nahm sich Gabriel nun auch die Windkraft vor, der er (wie zuvor schon der Photovoltaik) das Ausschreibungsverfahren verordnete, wodurch auch hier mit einem Einbruch zu rechnen ist.
Gewerkschaften im Schulterschluss mit den Konzernen
Die Handlungsweise des Sozialdemokraten Gabriel erklärt sich daraus, dass nicht nur die Bosse der alten Konzerne ihr Geschäftsmodell erhalten wollen, sondern deren Belegschaften auch ihre Arbeitsplätze. Letztere haben über die Gewerkschaften einen starken Einfluss in der SPD und somit auf das Wirtschaftsministerium. Die IGBCE mit ihrem Vorsitzenden Vassiliadis und teilweise auch Verdi, bestärken ihre Mitglieder darin, den Kopf vor dem Klimawandel in den Sand zu stecken und an die Zukunft der Kohle zu glauben.
Ein weiterer die Kohle stützender Faktor ist die finanzielle Verquickung zahlreicher Gemeinden insbesondere mit RWE.
Fehlende Langzeitspeicherung
Eine Tatsache gibt es, auf die die retardierenden Kräfte pochen können: solange keine Langzeitspeicherung existiert, mit der auch längere Dunkelflauten überbrückt werden können, bleiben fossile Kraftwerke notwendig. Da hiermit die Existenzberechtigung fossiler Energieerzeugung steht und fällt, bemüht man sich, die derzeitige Situation möglichst lange aufrecht zu erhalten durch Verbreitung von Behauptungen wie „Langzeitspeicherung ist technisch unmöglich, zumindest aber unbezahlbar“. Ganz im Einklang mit derartigen Vorurteilen werden in sämtlichen Veröffentlichungen des BMWi, vom „Grünbuch“ bis zu „Strom 2030“ Speichertechniken wie Power to Gas einer fernen, unrealen, quasi mythischen Zukunft zugeordnet (im Beilegheft fällt das Thema ganz unter den Tisch).
Würde man deutlich machen, dass ihr Ausbau jetzt unverzüglich beginnen muss, damit sie (wie jede Technik) ihre „Lernkurve“ rechtzeitig vollziehen können, wäre dies der Anfang vom endgültigen Ende der fossilen Energien, und der soll nicht sein.
Schönfärberei und Problem-Ausblendung im Beilegheft
So laboriert die deutsche Energiewende im Spannungsfeld zwischen der Bevölkerungsmehrheit, die die Energiewende will und den zahlenmäßig schwachen, politisch aber einflussreichen retardierenden Kräften.
Diese missliche Situation schlägt sich auch im Beilegheft nieder: Unliebsame Fakten fallen unter den Tisch, Defizite werden übertüncht, Probleme nicht angesprochen.
Wenn es z.B. (auf S. 5) heißt: „Damit setzen wir das Klimaschutzabkommen von Paris konkret um“, ist zu beachten, dass „konkret umsetzen“ nicht gleichbedeutend mit „einhalten“ ist! Um das in Paris angestrebte 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, müssten nach Berechnungen von Prof. Volker Quaschning („Energiewende: bald ohne Klimaschutz und Bürgerenergie?“ Vortrag gehalten am 22.09.2016 in Berlin) die CO2-Emissionen Deutschlands bis 2040 auf Null sein. Die Bundesregierung plant aber lediglich eine 80- bis 95prozentige Reduzierung bis 2050. Doch nicht einmal der Pfad auf dieses Ziel wird eingehalten. So liegt die Summe aller Treibhausgase im Jahr 2015 um 9%, der CO2-Ausstoß im Stromsektor sogar um 24% oberhalb des Zielpfades (EnergyWatchGroup: „Deutsche Klimapolitik – vom Vorreiter zum Bremser“ Nov. 2016, S.15 und S.17). Bei Fortsetzung des EE-Ausbautempos der letzten 15 Jahre wäre die deutsche Energiewende 2150 vollendet (Quaschning). – Bis dahin hätten wir eine Temperaturerhöhung von 6 Grad mit katastrophalsten Auswirkungen.
Wettbewerbsverzerrung durch Strommarktdesign
Der hauptsächliche Faktor, der die EE benachteiligt und ihr Wachstum bremst, ist das „Strommarktdesign“, das sich das BMWi als ganz besonderen Erfolg an die Brust heftet, da es „den Strommarkt fit für die Erneuerbaren“ (Beilegheft, Vorwort) machen würde. – Doch was meint das BMWi mit dieser „Fitness“? Ist der Strommarkt „fit für die Erneuerbaren“, wenn er deren Entwicklung befördert oder wenn sie klein hält? – Ganz klar das Letztere! Ginge es um die Entwicklung der Erneuerbaren, müsste deren entscheidender Vorzug, den Klimawandel zu bremsen, sowie Umwelt und Gesundheit zu schonen, gewürdigt werden, indem die externen Kosten der jeweiligen Energieerzeugungsart ins Marktgeschehen und in die Preisbildung hereingeholt würden. Dies geschieht jedoch nicht. Kohle & Co dürfen weiterhin auf Kosten der Gesamtgesellschaft Klima, Umwelt und Gesundheit schädigen und erhalten dadurch einen immensen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Erneuerbaren. Es geht um die langfristige Erhaltung der Kohlearbeitsplätze. Dafür wurde der Strommarkt fit gemacht!
„Speck im System“?
Auch dass bei den Pilotausschreibungen für Solarparks die Einspeisevergütung „von Ausschreibungsrunde zu Ausschreibungsrunde deutlich gesunken“ (S. 6) ist, verbucht das BMWi als Erfolg – zeige sich daran doch, dass „noch Speck im System“ (so Staatss. Baake am 22.09.2016 im Konvent des BBEn) gewesen und nun abgebaut sei. – Dass auch die PV-Ausbauzahlen „deutlich gesunken“ und 40.000 Arbeitsplätze hierbei kaum an Überfettung zugrunde gegangen sind, wird nicht thematisiert.
Das BMWI lobt sich (S. 7): „Seit 2014 ist die Summe aus Börsenstrompreis und EEG-Umlage Jahr für Jahr gesunken. Diese Entwicklung hat dazu beigetragen, dass sich die Strompreise für private Haushalte stabilisiert haben“, fügt aber nicht hinzu, dass der gesunkene Börsenpreis den EE zu danken ist.
Im Übrigen wären die Strompreise für private Haushalte noch deutlich niedriger, wenn der niedrige Börsenpreis an sie weitergegeben und die „Industrieprivilegien“ (Reduzierung der EEG-Umlage für stromintensive und – eigentlich! – in internationaler Konkurrenz stehende Unternehmen) etwas weniger großzügig ausgegossen würden.
Selbst erzeugter EE-Strom aus Anlagen ab 10 KWp und „Mieterstrom“ werden mit der EEG-Umlage beaufschlagt („Sonnensteuer“ = sinnwidrige Verkehrung der EEG-Umlage, die zwecks Förderung der EE erfunden wurde, in eine Ausbaubremse), konventionelle Eigenerzeugung z.B. in Kohlekraftwerken ist befreit.
Stromautobahnen kein Ersatz für Langzeitspeicherung
Das BMWi blendet das Thema „Langzeitspeicherung“ aus und verbreitet den Anschein, dass diese durch Netzausbau ersetzt werden könnte. Dies ist ein Irrtum, denn Netze verschieben den Strom räumlich und nicht zeitlich. Der Effekt durch einander ausgleichende Wetterlagen in verschiedenen durch Leitungen verbundenen Regionen ist geringfügig.
Zu sagen „Rückgrat der Energiewende ist der Netzausbau.“ (S. 9) ist daher falsch. Absurd ist die Idee „Über große Stromautobahnen soll der Strom aus Windenergie vom Norden in die Verbrauchszentren im Süden gebracht werden.“ Dieses Mammutprojekt mit mindestens den 5fachen Kosten von Stuttgart 21 würde den Strompreis in die Höhe treiben, und schuld wäre wieder die „teure Energiewende“. „Verbrauchszentren im Süden“ – sind die Hafenstädte an Nord- und Ostsee und die Großstädte in Norddeutschland etwa keine Verbrauchszentren?? – Erst wenn der gesamte Norden zu 100% mit EE-Strom versorgt wäre und dann immer noch Kapazitäten übrig hätte, würde sich die Frage eines Abtransportes stellen.
Klimaziele und „Bürgerenergie“ nicht der Kohle opfern!
Im Beilegheft fehlt jeder Ausblick auf die Zukunft, denn darin käme das BMWi nicht um das Eingeständnis herum, dass die proklamierten Klimaziele mit der gegenwärtigen Politik absolut unerreichbar sind.
Was auch fehlt, ist die „Bürgerenergie“. Auch an dieser Stelle zeigt sich die Blindheit des BMWi für die wesentlichen Aspekte und Eigenschaften der Energiewende. Denn die Bürgerenergie ist logische Folge bzw. Ausdruck des dezentralen Wesens der erneuerbaren Energien, welches dazu führt, dass Millionen von Menschen sich an der Energieerzeugung praktisch beteiligen. Wer diese Kraft aussperren will, wird die Energiewende an die Wand fahren. Er zerstört auch die Chance, dass mit der Verantwortungsübernahme für die Energieerzeugung durch Millionen von Menschen ein emanzipatorischer Prozess stattfindet, der die Demokratie und unser ganzes Gemeinwesen auf ein höheres Niveau hebt.
Man kann an alle Sozialdemokraten – und gerade auch an Kanzlerkandidaten
Schulz – nur die Frage richten: Sind Sie wirklich mit der Politik Ihres Wirtschaftsministeriums einverstanden? Wollen Sie diese Politik im Fall einer Regierungsbeteiligung auch nach den Wahlen weiterführen? – Oder sind Sie mit uns der Auffassung, dass ein „Energiewende-Beschleunigungsgesetz“ dringend erforderlich ist?
— Der Autor Christfried Lenz ist unter anderem Musikwissenschaftler, Organist und Rundfunkautor. Er ist in der 68er Studentenbewegung politisiert worden. Ein Grundzug seines Bestrebens ist "Verbindung von Hand- und Kopfarbeit": Theorie ja, aber immer mit Übersetzung in die Praxis! So versorgt er sich in seinem Haus in der Altmark (Sachsen-Anhalt) seit 2013 zu 100 Prozent mit dem Strom seiner PV-Inselanlage. Nach erfolgreicher Beendigung des Kampfes der BI "Kein CO2-Endlager Altmark" engagiert er sich ganz für den Ausbau der EE in der Region, z.B. als Vorstandsmitglied der aus der BI hervorgegangenen BürgerEnergieAltmark eG, die in Salzwedel eine 750 Kilowatt-Freiflächenanlage betreibt. Christfried Lenz kommentiert das energiepolitische Geschehen in verschiedenen Medien und mobilisiert zu praktischen Aktionen für die Energiewende. —
Die Blogbeiträge und Kommentare aufwww.pv-magazine.de geben nicht zwangsläufig die Meinung und Haltung der Redaktion und der pv magazine group wieder. Unsere Webseite ist eine offene Plattform für den Austausch der Industrie und Politik. Wenn Sie auch in eigenen Beiträgen Kommentare einreichen wollen, schreiben Sie bitte an redaktion(at)pv-magazine.com.
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