Bisher war die Stromwelt ziemlich einfach im Vergleich zu dem, was jetzt kommt. Verteilnetzbetreiber haben ausgerechnet, wie viel Strom die Kunden in ihrem Bereich maximal verbrauchen. Dann haben sie genug Kupferleitungen in der Erde vergraben, um den maximalen Verbrauch versorgen zu können, und gleich noch einen Sicherheitszuschlag draufgegeben. „Ziemlich überdimensioniert“, bezeichnet Steffen Funck, Mitglied der Geschäftsführung des Start-ups Venios, das Resultat. Dafür konnte man die Netze einfach laufen lassen, ohne ständig die Auslastung zu kontrollieren.
Schon in der Vergangenheit mag der Preis dafür hoch gewesen sein, dass das Netz, einmal aufgebaut, danach quasi im Blindflug betrieben werden konnte. In der neuen Energiewelt könnte dies unbezahlbar werden. Denn wer Wind- und Photovoltaikanlagen nach dem gleichen Modell anschließen will, buddelt sich zu Tode. Es ist schon seit einigen Jahren nicht mehr ausreichend, den maximalen Verbrauch als Messlatte zu nehmen, die maximale Erzeugung muss durch die Leitung passen.
Und das wird im Zuge der Energiewende zu immer größeren Leitungen führen. „Bleibt man bei dem alten System, legt man das Leitungsnetz zum Beispiel für den Erzeugungsüberschuss am Pfingstmontag aus“, sagt Funck. Viel Wind, viel Sonne, kaum Verbrauch und viel zu viel Energie, die man genauso gut abregeln könnte. Transparenz hilft in dieser Situation, so Funck. Der Netzbetreiber müsse wissen, wie oft denn wirklich kritische Situationen auftreten.
Um Transparenz zu schaffen, gibt es zwei Möglichkeiten. Eine teure, sagt er, indem man viele Messstellen einrichtet. „Das wäre noch teurer, als die Leitungen auszubauen“, ist sich Funck sicher. Und eine preisgünstigere. An dieser Stelle bringt er sein Unternehmen ins Spiel.
Venios bietet Verteilnetzbetreibern an, vergleichsweise kostengünstig Informationen über ihre Netze zu bekommen. Dazu simulieren die Experten des Frankfurter Start-ups sämtliche Leitungen, Lasten und Erzeuger, auch Photovoltaikanlagen, berechnen dadurch die Ströme im Netz und Kapazitätsengpässe, und zwar in Echtzeit, Sekunde für Sekunde. „Wir simulieren auch jeden Verbraucher, und das genauer als über die klassischen Standardlastprofile“, sagt Funck.
Daten sammeln ist nicht schwer
Dazu machen sie sich andernorts auf die Suche nach Daten, über den Haushaltstyp zum Beispiel in Marketingdaten, wie sie etwa die Post anbietet. Auch die Photovoltaik- und Windkraftanlagen sind in das Modell eingeschlossen. Die Venios-Mitarbeiter suchen sich im EEG-Anlagenregister zusammen, wo die Anlagen stehen und wie alt sie sind, und simulieren anhand aktueller Wetterdaten, wo sie vermutlich wie viel Strom einspeisen.
Der Stromkunde merkt davon gar nichts. Es geht darum, „günstiger zu sein, als überall teures Messequipment hinzustellen“. Auch Batteriespeicher bringen Funck nicht aus der Fassung. Klar, wenn sie beliebig agieren würden, wären sie nicht berechenbar. Aber in der Regel verfolgen die Verbraucher den Zweck, die Eigenverbrauchsquote zu erhöhen. Und auch das lässt sich simulieren. „Wir müssen wissen, wo sie stehen.“ Ganz ohne Messinformationen funktionieren die Simulationen nicht. Es seien aber viel weniger, als man bräuchte, wenn es keine Simulationen gäbe.
Was Netzbetreiber am Ende wollen
Gerade im Energiebereich ist schwer zu sagen, welche Innovation am Ende wirklich erfolgreich ist. Funck und seine Mitstreiter kämpfen damit, dass Netzbetreiber nicht unbedingt den Anreiz haben, an dieser Stelle die volkswirtschaftlich sinnvollste Lösung zu finden.
„Sie haben nicht den Anreiz, stattdessen ist es betriebswirtschaftlich für die Netzbetreiber oft sinnvoll, einfach Leitungen auszubauen“, sagt Funck. Deshalb sei es nötig, die Netzanreizregulierung zu ändern. Derzeit würden Investitionskosten bei der Umlage der Kosten bevorzugt berücksichtigt, nicht die Betriebskosten für solche Systeme wie das ihre. „Wenn die Anreize so bleiben, bekommen wir ein ineffizientes System“, sagt er. Es sei allerdings auch noch schwer, die finanziellen Vorteile „auf die Nachkommastelle genau“ auszurechnen. Außerdem hänge der Nutzen von der weiteren Entwicklung des Ausbaus dezentraler erneuerbarer Stromerzeuger ab. Daran zeigt sich jedoch auch, dass über den Erfolg und Nichterfolg einer Idee natürlich auch die Politik und der regulatorische Rahmen entscheiden.
Die Projekte, die Venios bisher umsetzt, seien noch nicht durch den harten finanziellen Aspekt motiviert. Bisher ist das System zum Beispiel in einem Netzteil von Bad Tölz installiert worden, in den mehrere Photovoltaikanlagen mit über 100 Kilowatt Leistung einspeisen.
Allerdings diskutieren Experten immer wieder, wie groß der Ausbaubedarf in den Verteilnetzen überhaupt ist. So hat Agora Energiewende kürzlich in einer Speicherstudie Szenarien zum Ausbau der Verteilnetze veröffentlicht. Danach liegt die Differenz zwischen einem vollständigen Ausbau der Mittelspannungsnetze, bei dem keine erneuerbaren Energien abgeregelt werden müssen, im Vergleich zu einem Ausbau, bei dem Solarstromanlagen auf 70 Prozent und Windenergieanlagen auf 90 Prozent abgeregelt werden müssen, ungefähr bei 150 Millionen Euro im Jahr, berechnet für 2033. Im Niederspannungsnetz beträgt der Hub rund 200 Millionen Euro. Agora hat jedoch den von der Bundesregierung gerade gebremsten Ausbau der erneuerbaren Energien angenommen. Bei einem schnelleren Ausbau sollte diese Summe steigen. Außerdem lassen sich Netze ja eventuell insgesamt intelligenter gestalten, wenn die Venios-Lösung zum Beispiel mit Lastmanagement kombiniert wird oder mit innovativen Lösungen, wie sie zum Beispiel das Start-up Tado bietet (siehe pv magazine, September 2014).
Geboren aus einem Doktorandennetzwerk
Ist Venios ein typisches Start-up? In dem Sinne, dass die Gründer ein neues Produkt entwickeln und das Unternehmen von Anfang an aufbauen, definitiv. Vermutlich wusste Gründer Jonas Danzeisen selbst nicht, dass er als Folge seiner ersten Gründung einmal CEO eines Start-ups sein würde. Denn er rief zunächst nur ein Netzwerk für Doktoranden aus der Automobilbranche ins Leben. Er, selbst Doktorand, traf dort auf seinen heutigen Partner Christian Köhler. Mit ihm und noch einigen weiteren Partnern gründete er im April 2012 Venios, finanziert von Business Angels aus seinem Netzwerk.
Diese kommen nicht von den viel zitierten Venture-Capital-Gesellschaften, sondern sind selbst Unternehmer und leitende Angestellte, die Geld investieren wollten. Weitere größere Finanzierungen strebt das Unternehmen laut Funck derzeit nicht an. Die Produkte sollen vom Markt angenommen werden, neben dem Netzsimulationsprodukt verkauft Venios allerdings auch Beratung. Mittlerweile sei die Zahl der Mitarbeiter auf 18 gestiegen. Wie sich das für ein Start-up gehört, nicht alle in Vollzeit, sondern teilweise auch als Teilzeitkräfte und Werkstudenten.
Kooperation mit General Electric
Ob solche Innovationen, wie Venios sie anbietet, auch von großen Energiekonzernen entwickelt werden können? Funck hält das für unwahrscheinlich. Die Kompetenzen gebe es dort natürlich. Aber es sei vielleicht schwieriger, die Energieexperten mit den Informatikern zusammenzubringen und wirklich neue Themen gemeinsam aufzubauen. Er habe beobachtet, dass große Konzerne eher versuchen, ihre Technologie weiterzuentwickeln, statt völlig neue Wege zu gehen. Venios arbeitet inzwischen übrigens unter anderem mit General Electric zusammen. Erst als Kunde von Messhardware. Inzwischen vermarktet GE aber auch Venios-Lösungen mit, wenn es hilft, die eigenen Produkte an den Kunden zu bringen.Michael Fuhs
In der Online-Serie „Gründerszene“ berichten wir über Start-ups und andere Gründungsgeschichten:www.pv-magazine.de/startups
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