Wie die Großen Neues versuchen

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SMA, lange Zeit das Vorzeigeunternehmen der Solarbranche, zeigt mal wieder, wie es geht, schneller und innovativer zu sein als die Konkurrenz. Sie gewannen zweimal hintereinander den Intersolar Award und erhielten 2011 von der Wirtschaftswoche den Best Innovator Award. 1.000 von 5.000 Mitarbeitern seien an der Entwicklung neuer Ideen und Produkte beteiligt, sagt Innovationsmanager Jörg Kreiker. War 2013 noch der Sunny Boy Smart Energy ausgezeichnet worden, der Eigenheimbesitzern eine höhere Eigenverbrauchsquote beschert, ist es in diesem Jahr der Fuel Save Controller, der helfen soll, ganze lokale Stromnetze unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu machen. So rüstet SMA im Moment das weltweit größte Photovoltaik-Diesel-Hybridkraftwerk mit dem Fuel Save Controller, Wechselrichtern und Technologie zur Integration von Batteriespeichern aus. Das Kraftwerk wird in der Spitze ungefähr die Hälfte des Energiebedarfs der bolivianischen Provinzhauptstadt Cobija und angrenzender Ortschaften decken, die rund 37 Gigawattstunden pro Jahr benötigen.
Während SMA an Kraftwerken baut, preisen inzwischen sogar Energieversorger Eigenheimbesitzern Anlagen zur Eigenversorgung an. Beispiele finden sich vielfach bei kleineren Energieunternehmen in Deutschland und gelegentlich auch bei den Großen. Die Wemag in Schwerin hat sich beispielsweise eine Mehrheitsbeteiligung am Elektroautoausrüster Karabag aus Hamburg zugelegt. Karabag ist so etwas wie die Guerilla im Elektroautobereich. Sie verkaufen nicht nur elektrische Fiat 500, übrigens gegen den Willen von Fiat, sondern bieten auch ein Umbau-Kit an, um aus beliebigen Autos Elektrofahrzeuge zu machen. Der Energieversorger Wemag schnürt nun ein Bündel aus einer Photovoltaikanlage mit Speicher und Elektroauto und vermarktet das als „Reevolt – meine Energierevolution“. Die Grenzen der Branchen verschwimmen.

Mut zur Emanzipation

Der Blick über den Gartenzaun ist eine der Methoden, die Innovationsforscher besonders gern empfehlen. So könne das Aufbrechen industriespezifischer Schranken das Wachstum verbessern und die Margen erhöhen, Entwicklungsrisiken und -kosten senken und die Innovationskraft durch die Zusammenarbeit mit anderen Partnern stärken, schreiben Ellen Enke und Christoph Dürmüller in Oliver Gassmanns Standardwerk „Praxiswissen Innovationsmanagement“. Und beide Branchen, Energieversorger und PV-Industrie, sind auch gezwungen, diese neuen Wege zu gehen. Die einen, weil das Geschäftsmodell, Anlagen mit der Einspeisevergütung zu finanzieren, nur noch teilweise funktioniert und ganz auslaufen wird. Die anderen, weil, wie das Versicherungsunternehmen Euler Hermes analysiert hat, die Gewinne der großen Energieversorger sinken und sie außerdem oft hoch verschuldet sind. Übrigens haben auch regionale Versorger, die oft in kommunalem Besitz sind, Schwierigkeiten. So mussten die Stadtwerke Gera Insolvenz anmelden, unter anderem weil ein neu gebautes Gaskraftwerk nicht wirtschaftlich betrieben werden konnte.
Die Dringlichkeit, sich zu verändern ist hoch. Christoph Burger von der European School of Management and Technology erklärt: „Der drastische Anstieg der dezentralen Stromerzeugung erweist sich als Game Changer für Stromversorger. Sie werden plötzlich mit Schumpeters Prozess der kreativen Zerstörung konfrontiert. Der Druck, neue Geschäftsmodelle zu finden, ist damit deutlich gestiegen, da sie ansonsten Gefahr laufen, von den Neueinsteigern am Markt überrannt und schließlich marginalisiert zu werden.“ Burger hat aus Daten und Unternehmensangaben von 2007 bis 2012 von 16 führenden europäischen Energieversorgern einen Innovationsindex erstellt. Dieser soll zeigen, wie sie der Transformation des Energiemarktes begegnen. Eingeflossen sind zwei Dimensionen. Zum einen Eckpunkte in Forschung und Entwicklung, wie Budget, Zahl der Patente und die Breite des Entwicklungsspektrums. Zum anderen Verbesserungen bei der Produktivität und bei der Nachhaltigkeit der Unternehmen.

Erneuerung und Selbsterfindung

Dabei konnten zwei unterschiedliche Strategien identifiziert werden. Es gibt Unternehmen mit einem hohen Einsatz in Forschung und Entwicklung und Unternehmen, die sich weitestgehend auf die Anwendung von Innovationen anderer beschränken. Letzteren gelingt es, ihre Performance durch die Nutzung und Kombination von innovativen Technologien zu steigern und neue Märkte zu kreieren. So verbesserte der Sieger des Rankings Energias de Portugal (EDP) seinen Gewinn pro erzeugter Gigawattstunde und erhöhte gleichzeitig seinen Anteil an Strom aus neuen erneuerbaren Quellen. Die Plätze zwei und drei des Innovationsindex belegen Electricité de France (EDF) und RWE, die auf die erste Strategie setzen und sich durch eigene Forschung und Entwicklung und viele Patente auszeichnen.
So bietet RWE unter anderem Smart-Home-Lösungen, Stromspeicher, Ladesysteme für Elektroautos und Energieberatung an. Koordiniert wird das Spektrum von der Konzerntochter RWE Effizienz. „Ihre Aufgabe ist es, im Unternehmen das Wissen bereitzustellen, das in der neuen Energiewelt benötigt wird“, sagt Harald Kemmann, Innovationsmanager bei RWE. Schon heute sehe sich RWE Effizienz als Spezialist für Energiemanagement und biete Privatkunden Systeme, in die unter anderem auch Speicher, Wärmepumpen und Elektroautos eingebunden werden können. „Dabei stehen wir mit unseren Produkten im intensiven Wettbewerb“, erläutert Kemmann. „Deshalb ist es ein großer Vorteil, dass wir diese Aktivitäten in einer Hand bündeln.“ Innovationskultur im Unternehmen fördern Sicherlich ebenso vorteilhaft ist es, die neuen Modelle zunächst in einem abgeschlossenen Teil des Konzerns auszuprobieren, bevor die Weichen für das Unternehmen als Ganzes neu gestellt werden. Denn gerade für Energieversorger ist es schwer, aus den gewohnten Pfaden und aus der Branchenlogik auszubrechen, der sie Jahrzehnte lang gefolgt sind. Kreativitätstechniken können dabei helfen, mentale Barrieren zu überwinden (siehe Seite 16).
Die Solarbranche muss sich jedoch ebenfalls umstellen, ändern und weiterentwickeln. Nach Ansicht von Jörg Kreiker von SMA ist das Aufbrechen alter Gewohnheiten dabei aber kein Problem. „Es steckt immer noch sehr viel Pioniergeist in unseren Mitarbeitern, viele von ihnen sind schon seit der Gründerzeit dabei“, sagt er. „Sie stellen vieles in Frage, wie in einem Start-up. Das braucht eine Firma, das muss man sich bewahren.“ Getrieben werden sie vor allem von einer hohen Eigenmotivation, ihr vielleicht branchenspezifisches Bedürfnis, sich einzubringen. Es gehöre zur Kultur des Unternehmens, die Mitarbeiter auch unabhängig von ihrem Alltagsgeschäft zu „Der drastische Anstieg der dezentralen Stromerzeugung erweist sich als Game Changer für Stromversorger. Sie werden plötzlich mit Schumpeters Prozess der kreativen Zerstörung konfrontiert.“
Workshops und Klausuren einzuladen, in denen dann systematisch neue Ideen entwickelt werden, so Kreiker. Neben den geplanten und strukturierten Entwicklungsprozessen ermöglicht die Firma auch die Entstehung von ad hoc aufkommenden Projekten. Einzelnen Personen oder kleinen Gruppen wird für die Ausarbeitung neuer Ideen Zeit und Raum gegeben. Auf diese Weise sei beispielsweise Webconnect entstanden, die Möglichkeit, Wechselrichter per Plug-and-play an den Internetrouter anzuschließen.
Um jedoch regelmäßig mit Neuentwicklungen auf den Markt zu kommen, hat Kreiker seinen „Ideentrichter“, wie er es nennt, und die Wege der einzelnen Ideen genauestens im Blick. Dafür gibt es sogar ein eigenes Softwaretool. „Es ist wichtig, dem Ideengeber auch eine Rückmeldung zu geben, ihm zu sagen, was weiter passiert oder warum sein Vorschlag vielleicht auch abgelehnt wurde“, denn es sei demotivierend und ärgerlich, wenn eine Idee einfach versande.
Haupttreiber für Innovationen sind jedoch die Entwicklungsabteilungen. Das sei zum einen die Vorausentwicklung, die sehr forschungsnah sei und dem Unternehmen den Ausblick auf die Weiterentwicklung bestimmter Technologien liefere. Im Ergebnis erhielten die Geschäftsbereiche Roadmaps und langfristige Trends und Szenarien. Strategisch werde dann entschieden, welche Neuentwicklungsprojekte gestartet werden. Das können neue Generationen von vorhandenen Geräten sein oder wie der Fuel Save Controller ganz neue Produkte. Die Produktpflege beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung vorhandener Produkte und nimmt dafür gerne Kundenwünsche und Rückmeldungen etwa aus dem Service, der Solar Academy oder dem Partnerprogramm auf.

Zielgerichtet entwickeln

Auch bei Bosch Power Tec gibt es ein Technologiescouting und einen Ideentrichter, der aus vielen Quellen gespeist wird, erläutert Armin Schmiegel, der für Speichersysteme und F&E-Innovationen bei Bosch Power Tec verantwortlich ist. Der Bosch-Konzern verfüge insgesamt über 42.000 Mitarbeiter, die in der Forschung und Entwicklung für die einzelnen Geschäftsbereiche zuständig seien. Je nach Bedarf unterstützten Expertenteams auch Bosch Power Tec bei der Vorentwicklung einzelner Projekte. Üblich sei eine Vielzahl von Ideen als Ergebnis eines einzelnen Workshops, erzählt Schmiegel. Schwieriger ist dann schon die zielgerichtete Auswahl. So verbessere Bosch derzeit das Zusammenspiel seiner vielfältigen Produktpalette. Gleichzeitig bietet Bosch Speicherlösungen für Eigenheimbesitzer an und gibt somit zwei Antworten auf eine Frage, nämlich wie sich der Eigenverbrauch erhöhen lässt. Beide Entwicklungswege, sowohl die stärkere Vernetzung und das bessere Lastmanagement als auch die Batteriespeicher, werden vom Markt gefordert und müssen von einem Großunternehmen mitgegangen werden, auch wenn zunächst unklar ist, ob der Markt beide Investitionen letztlich honoriert. Ebenso können plötzliche Veränderungen des Marktes Fehlentwicklungen verursachen, die insbesondere für kleine Unternehmen gefährlich sind.
Jedoch sei es ebenfalls gefährlich, sich gegen Marktwünsche zu sperren, weil dann die Gefahr bestehe, wichtige Trends zu versäumen, sagt Innovationsforscher Gassmann. „Es gilt, eine Balance zwischen operativer Hektik durch Kundenprojekte, Auftragsabwicklung einerseits und langfristiger Technologie und Innovationsprojekten andererseits zu finden. Dies ist nur möglich, wenn man harte Vorgaben macht und diese dann auch regelmäßig überprüft.“ Zudem solle man lieber weniger machen, es dafür aber beschleunigen und richtig anpacken.

Innovation: Risiko und Chance

Mit solchem Einerseits-und-Andererseits können Innovationsforscher Bücher füllen. Einerseits ist es gut, als Erster eine Neuentwicklung auf den Markt zu bringen, andererseits hat es der Zweite leichter, kann Entwicklungskosten sparen und Fehler vermeiden. Einerseits braucht das Unternehmen Innovationen zum Überleben, andererseits ist jede Entwicklung mit Risiken behaftet. Keine leichte Aufgabe, das richtige Maß zu finden, und so ist die Antwort häufig ein Sowohl-als-Auch. „Natürlich schützen wir unsere Technologie durch Patente“, sagt beispielsweise Pierre Blanc, der technische Leiter von Leclanché, einer der wenigen Batteriezellenhersteller in Deutschland (siehe Seite 36). Gleichzeitig sei es nicht in Leclanchés Interesse, sie nur für sich zu behalten, denn nur, wenn sie breit eingesetzt würden, könnten sie sich als Standard durchsetzen und in größeren Stückzahlen produziert werden. Deshalb geht das Unternehmen bewusst Kooperationen mit starken Partnern ein.
Diese Sichtweise lässt sich analog auch auf die Photovoltaik anwenden. Der Zwang zur schnellen Innovation aufgrund der deutschen Marktsituation darf nicht dazu führen, dass die deutschen Firmen im Sprint am Ziel vorbeischießen. Nicht die neueste Wechselrichterfunktion ist letztlich auf dem Weltmarkt entscheidend, sondern dass ein ausgereiftes Produkt in Massen installiert wird. Und hier könnten sich die großen Energieversorger und die kleineren Technologieführer sehr gut ergänzen, indem sie ein innovatives Modell mit der nötigen Finanzkraft durchsetzen. Unternehmen wie RWE haben diese Zeichen erkannt und erklären eine grundsätzliche Bereitschaft zur Kooperation: „Wenn mehrere Spezialisten ihre Kenntnisse zusammentragen, entstehen die besten Produkte und die größten Chancen“, sagt Unternehmenssprecherin Nina Henckel. Zu den bekannten Partnern im Netzwerk von RWE Effizienz gehören zum Beispiel Sonnenbatterie, Hoppecke und Energiebau. „Dabei haben wir nicht den Anspruch, alleine die Richtung zu bestimmen, und könnten uns auch vorstellen, als Juniorpartner mitzuwirken.“ Nun gilt es, diese neue Bescheidenheit zu nutzen. Bei dem Innovationsindex von Christoph Burger kamen bislang nur Unternehmen vor, die entweder ihre Performance verbesserten oder forschten und entwickelten. Das Siegertreppchen gebührt jedoch dem Unternehmen, das beide Strategien erfolgreich vereint.

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