Mit Bestürzung erleben wir in den letzten Jahren den weltweiten Niedergang der Solarbranche. Zwar wächst jedes Jahr die installierte Leistung und immer mehr Länder starten mit Photovoltaik-Programmen und großen Ankündigungen, gleichzeitig verfallen Preise und Vergütungen, oder es werden sogar rückwirkende Steuern und Abgaben diskutiert oder wie in einigen EU-Ländern eingeführt. Derweil stehen fast alle Hersteller entlang der Wertschöpfungskette mit dem Rücken zur Wand und kämpfen ums Überleben. Übrigens auch die meisten Chinesen, die nur mit massiver finanzieller Hilfe von meist staatlicher Seite vorerst im Markt verbleiben können. Dabei nützt der Kampf um Importzöllen und Local-Content-Regelungen am meisten den etablierten alten Stromlieferanten, die sich sicher ins Fäustchen lachen, wie sich eine Branche selber zu Grunde richtet, sichert es doch den weiteren Verkauf von Atom, Kohle und Öl erzeugten Strom über Jahrzehnte hinaus. Man stelle sich nur umgekehrt vor Eon, RWE und Gasprom würden in einen internationalen Handelsstreit treten.
Es ist an der Zeit ein ehrliches Fazit zu ziehen und mit bestimmten Mythen und Irrtümern aufzuräumen um sich die zu leistende Aufgabe, nämlich nichts Geringeres als eine lebenswerte Erde zu erhalten zuzuwenden.
These 1
„Moore“ oder gar „more Moore“ hat gar nicht stattgefunden.
Die Preiskurve für PV-Module oder Systeme folgt nicht der Lernkurve. Vielmehr drücken Überkapazitäten bzw. verlangsamte Marktzugänge auf die Preise. Der Preisdruck führt unweigerlich auch zu schlechterer Qualität, da kein Unternehmen auf Dauer Schulden machen kann. Vielmehr wird der Druck auf Lieferanten weiter gegeben, die ihre Produkte durch kostengünstigere Materialien substituieren müssen. Zeit für umfangreiche Qualitätsprüfungen, Felderfahrung, Auditierung der neuen Lieferanten oder des OEM-Herstellers ist nicht mehr ausreichend gegeben oder man scheut sich den notwendigen Aufwand zu betreiben. Der Zwang zum billiger führt auch zu falschen Angaben über Produktqualitäten, oder Rezepturen werden geändert ohne die Kunden zu informieren. Teure Additive wie z.B. UV-Schutz in EVA-Folien werden reduziert oder weggelassen. Eine Lernkurve, die sich aufs billigere Sourcing konzentriert ist in Wahrheit keine nachhaltige Lernkurve. Vielmehr wird nur der Aufwand und Nutzen umverteilt.
Die Folge wird sein, dass immer mehr minderwertige Qualität in den Markt drückt um das Preisniveau zu erreichen. Wer möchte den gerne im Jahr 2017 Module aus 2012/2013 auf dem Dach haben, die unter solchen Rahmenbedingungen gefertigt wurden?
These 2
Innovation braucht Zeit zum Lernen.
Die Innovation bei steigendem Marktvolumen von bis zu 65 Prozent/Jahr hat gar nicht stattgefunden.
Wurden Zellen im Jahr 2000 noch mit 350 Zellen/Stunde gelötet, schaffen moderne Maschinen heute 1200 Zellen/Stunde. Gleichzeitig ist der Markt aber um das 100fache gewachsen. Der Preis/Wattpeak ist von ca. 4 Euro auf 0,4 Euro pro Wattpeak gefallen. Stringer müssten also bei gleichen Investitionen heute 3500 Zellen/Stunde verlöten um die Kosten/Lötung entsprechend zu senken. Im Wesentlichen ist zwar die Qualität der Anlagen gestiegen, dies aber auch zu steigenden Kosten. Die spezifischen Kosten zur Lötung einer Zelle sind heute nur unwesentlich günstiger als vor 13 Jahren.
Gleichzeitig wurden Produktionsanlagen in gleicher Bauweise hochgezogen, als exakte Kopie der gerade in Betrieb genommenen Anlage. Erfahrungen konnten nicht gemacht werden und in die nächste Generation einfließen. Somit fehlt die Lernkurve von 5 Jahren Produktionserfahrung im Design und den Kosten von Produktionsanlagen. Vielmehr hat man das C&A Vertriebskonzept für Socken genutzt, 3 Farben-ein Preis, kaufe 4 und zahle 3 also der normale Mengenrabatt von 25-30 Prozent.
Innovationen blieben im Wesentlichen auf der Strecke, es ging ja auch mit dem Modell von vor 3 Jahren ganz gut.
Konzepte für Stringer mit 10.000 Zellen/Stunde, Rollenlaminatoren mit 10 Meter/Minute Prozesszeiten und die Reduktion des Betriebspersonals wurden kaum entwickelt, bzw. die durchgeführten Verbesserungen konnten das Wachstum nicht adäquat abbilden. In der Papierindustrie würde man das mit dem Schritt vom Papyrus zum geschöpften Blatt vergleichen können, bei einem Markt, der moderne Rollenware von einigen Tonnen Gewicht und mehreren Kilometern Länge erwartet.
Dieses riesiges Kostenreduktionspotenzial ist noch gar nicht gehoben.
These 3
Neue PV Technologien werden in einem neuen Marktumfeld aus ihrer Nische erwachsen und Marktanteile erobern können.
Zurzeit leider nein. Mit dem Beginn des rasanten Preisverfalls im Jahre 2009 steigen Reihenweise z.B. die innovativen Dünnschichttechnologien aus dem Markt aus, auch wenn sie in ein paar Jahren die kostengünstigste Technologie sein könnten.
Leider kann keine Technologie ihre Marktreife ausspielen, solange nicht bekannt ist wie die Preise in 2013, 2014 oder 2015 sich entwickeln werden. Jeder Businessplan, jede Restrukturierungsmaßnahme hat sich seit 2009 spätestens nach 3 Monaten überlebt. Wie sollen Investoren gefunden werden, wenn kein Szenario belastbar dargestellt werden kann. Die Folge ist Abwarten, Zurückhaltung oder die Hoffnung auf den weißen Ritter mit den berühmten „deep pockets“.
Diese Umfeld befördert keine nachhaltige Innovation, Lernkurven, die Fehler und Irrwege zulassen um vielleicht im zweiten Anlauf zu Erfolg führen.
Stabilisieren sich die Preise, können auch wieder Businesspläne erstellt werden, die reelle Kostendegressionen durch Lernkurven berücksichtigen und Investitionen in neue Produkte oder die Überführung von F&E in Referenz Produktionen erfolgen.
Totgesagt Technologien werden wieder kommen und neue Produkte in Märkte liefern, die wir heute noch nicht im Fokus haben wie z.B: leichte Module (kg/Wp) für schnelle (Hilfs)-Lieferungen per Flugzeug in Katastrophengebiete.
These 4
Wenn die Grid parity erreicht ist steht uns der Markt fast unlimitiert offen.
Auch hier, Fehlanzeige. Der Einstieg in den PV-Boom ist aufgrund des politischen Willens zu einer nachhaltigen, sauberen, unabhängigen und risikoarmen Energieversorgung entstanden. Die Politik, getrieben von einem gesellschaftlichen Willen, hat ein Bündnis mit der Industrie geschlossen. Wir liefern euch berechenbare, zuverlässige langfristige Rahmenbedingungen und Ihr die Industrie verpflichtet euch zu lernen, innovativ und mutig zu sein und die Kosten kontinuierlich zu senken.
Die Industrie hat ihre Verbündeten dazu in der Finanzwelt, im Risikokapital und im modernen Management gesucht. Neben der notwendigen Kapitalausstattung kam auch überzogene Gewinnerwartung von 20 Prozent und mehr in den Markt.
Schneller Erfolg, schnelles Kapital, schnelles Agieren war somit mehr an der Tagesordnung statt nachhaltiges Wirtschaften mit nachhaltigen Produkten. Die Börse lockt und die Story war super!
Die Verwurzelung in Gesellschaft und Politik blieb dabei auf der Strecke, der Erfolg und die Renditeaussicht war ja scheinbar Beleg genug das Richtige zu tun. Vertrauensvoll aufgebaute Kooperationen wurden aufgelöst, da ja die Rendite über die Wertschöpfungskette auch alleine erwirtschaftet werden kann. Wir haben in den letzten 10 Jahren fast so viele „world market leader“ gesehen, wie dieser Artikel Wörter hat. Ich erinnere nur kurz an die so fairen „take or pay“-Verträge mit Laufzeiten von 10 Jahren, die alle nach spätestens 2 Jahren nicht mehr erfüllt werden konnten. Danke nochmals für diese überflüssige „Professionalisierung der Branche“.
Heute versuchen wir wieder über die Nische Batteriespeicher und Lastmanagement neue Märkte im Eigenverbrauch zu erschließen, was wieder engere Kooperationen zwischen den Komponentenhersteller ermöglicht. Hier kann sich die Nische zum neuen Massenmarkt entwickeln wenn Produkt und Service als Packet funktioniert. Dies wird sicherlich auch in der Produktionstechnik oder entlang der Wertschöpfungskette Upstream bei Wafer, Zelle und Modul erfolgen.
These 5
Solar ist tot, es lebe Solar!
Jetzt, wo die Preise wirklich niedrig sind (auch 70 Cent/Wattpeak Modulpreis ist hervorragend!), reißt die Diskussion über zu hohe Kosten für PV-Energie nicht mehr ab. Politik und Gesellschaft scheint zunehmend Abstand von der sauberen Energie und der sauberen Industrie zu nehmen.
Wenn wir wieder deutlich machen warum wir als Gesellschaft Solarenergie in Deutschland brauchen und welche Rolle diese im Strommix einnimmt, kann der Boden für den nächsten Boom bereitet werden.
Wir müssen neues Vertrauen der Gesellschaft in die PV-Industrie aufbauen, gute Produkte für faire Preise in hoher Qualität zu liefern ohne uns an Förderungen und gesellschaftlicher Unterstützung übermäßig zu bereichern.
Platz im Stromnetz wird nicht allein durch den Preis bewirkt. Warum schalten wir nicht alle AKWs morgen ab, um übermorgen auch die Kohlekraftwerke still zu legen?
Leider hält sich gerade die PV Industrie mit solchen notwendigen Forderungen aus Sorge um den letzten Kunden oder politischen Förderer eher zurück.
Dreckiger Strom ist viel zu billig. Das Thema sparen, Verbrauch (und damit Verbrauchskosten) senken, ist völlig vom Tisch. Viel und billig scheint die Losung zu sein.
Wir müssen klar definieren, welche Rolle die PV im Team der Energieversorgung spielen soll. 10, 20 oder gar 30 Prozent. Dies sind politische Fragen, die nur durch einen öffentlichen Willen befördert werden kann.
Sollte die aktuelle Wahrnehmung so weiter laufen, würde der Zugang ins Netz auch noch bei unter 2 Cent/Kilowattstunde Kosten verwehrt werden.
Was also tun? Jeder konzentriert sich auf das, was er wirklich effizient und qualitativ hochwertig kann. Kooperationen bilden den gemeinsamen Erfolg, mit geteilter Verantwortung und geteilten Kosten und natürlich auch geteilten Gewinnen.
Die Solarbranche hat bewiesen, dass man in Deutschland nicht nur neue Technologien entwickelt sondern diese auch in Produktionen überführen kann. Wir haben der Welt eine Energieoption geliefert, die den Friedensnobelpreis verdient. Zugang zu Energie an jedem Punkt der Erde zu bezahlbaren Kosten ist heute Realität.
Wir haben eine Generation von engagierten, mutigen und innovativen Ingenieuren hervorgebracht, die sich mit Leib und Seele ihrem Job verschrieben haben und selbstständig Entscheidungen getroffen haben. Die oft träge gewordene „old economie“ mit ihren 2-3 Prozent Marktbewegungen/Jahr hat sich gewundert, dass dies in Deutschland wieder möglich ist.
Wir haben eine hervorragende Forschungslandschaft mit innovativen Ideen und solider Entwicklung. Hier zählt eine Zusage, Garantie und ein Versprechen noch was. Verlässlichkeit bildet die Grundlage für jedes wirtschaftliches Handeln.
Wir haben die finanziellen Mittel zu investieren, wir müssen unseren Kunden nur wieder deutlich machen, dass die PV-Technik unsere Zukunft sichert, belastbar funktioniert und damit zu unserem Wohlstand beiträgt. Wenn wir die Egoismen der letzten Jahre überwinden gibt es genug für alle zu tun.
Ich freue mich auf die PV-Revolution 2.0.
Markus Steinkötter ist Vorstandschef von Sunnyside upP. Das Unternehmen entwickelt unter anderem neue Produktionsverfahren, evaluiert Produktionsequipment und führt weltweit Qualitätsaudits durch.
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