Sinn oder Un-Sinn

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Emissionshandel versus EEG? Hans-Werner Sinn sieht die Klimapolitik auf dem Holzweg.
Christopher Field schlägt Alarm. Der Klimaexperte arbeitet an der kalifonischen Elite-Universität Stanford und ist maßgeblich am letzten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC beteiligt. Die weltweiten Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid haben von 2000 bis 2007 jedes Jahr um durchschnittlich 3,5 Prozent zugenommen, erläutert Field. Dieser Anstieg sei dreimal so stark wie in den 1990er Jahren. Damit erreiche die Klimabelastung im laufenden Jahrzehnt die Grenzen der Szenarien des Weltklimarates.
Field zufolge droht die Erderwärmung außer Kontrolle zu geraten, wenn es nicht endlich bald gelingt, den Anstieg der CO2-Emissionen zu drosseln. Die Zunahme der letzten Jahre zeige, dass global kein wirksamer Klimaschutz betrieben wurde.
Aber wie kann das sein? Schon 1997 war doch mit dem Klimaschutzprotokoll von Kyoto der Startschuss für vielfältige Klimaschutzbemühungen gegeben worden, insbesondere in Europa. Warum hat die Klimabelastung trotzdem weiter zugenommen, obwohl in den führenden Industriestaaten binnen weniger Jahre eine milliardenschwere Umwelttechnologie-Branche entstanden ist und die klimafreundliche Energieproduktion der herkömmlichen immer größere Marktanteile abjagt?
Hans-Werner Sinn hat eine Erklärung für diesen Widerspruch. Er hat darüber sogar ein Buch geschrieben, „Das grüne Paradoxon“. Sinn gilt als einer der einflussreichsten Volkswirte Deutschlands. Er ist nicht nur Präsident des Münchener Ifo- Instituts und des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler, sondern tummelt sich auch eifrig in den deutschen Medien. Das vernichtende Urteil, das er in seinem neuen Buch über die deutsche und die europäische Klimaschutzpolitik fällt, stößt daher auf großen Widerhall und sorgt für kontroverse Diskussionen.

Klimapolitik auf dem Holzweg?

Statt den Klimawandel zu bremsen, beschleunige ihn die aktuelle Politik, so Sinn. All die Verordnungen, Gesetze und Förderprogramme, mit denen Politiker den Ausstoß von Treibhausgasen verringern wollen, seien letztlich wirkungslos. Denn sie zielten allein auf die sinkende Nachfrage von fossilen Brennstoffen ab. Doch dadurch provoziere man die Erzeuger, möglichst schnell möglichst viel davon zu verkaufen und bewirke damit einen noch schnelleren Anstieg der Treibhausgasemissionen. Der Ökonom sieht die Klimapolitik auf dem Holzweg und will in die richtige Richtung weisen: „Wer die Paradoxa durchschaut, wird seine Illusionen verlieren und eine andere Klimapolitik betreiben, die mehr Chancen hat, die Welt vor dem Kollaps zu bewahren“, behauptet Sinn.
Seit Jahren wird über die Erderwärmung überall geredet, Klimaschutzkonferenzen reihen sich aneinander wie Perlen an einer Schnur, Milliarden fließen in klimaschonende Technologien wie die erneuerbaren Energien. Und dennoch ist die weltweite Klimabelastung in diesem Jahrzehnt deutlich gestiegen.
Sinns Bannstrahl trifft vor allem das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das Vorzeigeinstrument der deutschen Klimapolitik. Seit es im März 2000 das Stromeinspeisungsgesetz ersetzte, hat es in Deutschland einen Boom der regenerativen Energieerzeugung bewirkt. Binnen kurzem ist es zu einer Art Exportschlager geworden; es hat in vielen EU-Staaten, aber auch in fernen Ländern wie etwa Südkorea Nachfolger gefunden, dort ebenso wie in Deutschland die regenerative Energieerzeugung beflügelt.
Doch nach Ansicht von Sinn ist das EEG klimapolitisch trotzdem kontraproduktiv. Zum einen koste es die Steuerzahler Unsummen, zum anderen führe es sogar zu einem Anstieg des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes, statt ihn zu verhindern. Denn durch eine solche Förderung erneuerbarer Energie verringere man nicht nur die Menge von Treibhausgasemissionen, auch die Preise der Verschmutzungszertifikate im EU-weiten Emissionshandel gerieten damit unter Druck. Weil es deshalb billiger werde, Klimaschutzzertifikate zu erwerben, bremse das EEG indirekt das Klimaschutz-Engagement der Unternehmen innerhalb der Europäischen Union insgesamt. Unterm Strich werde weniger Klimaschutz erreicht, als wenn man sich darauf konzentriere, einen wirksamen Emissionshandel zu organisieren.
Dieser Auffassung widerspricht Björn Klusmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE). Die Einschätzung sei schlichtweg falsch. „Die erneuerbaren Energien produzieren inzwischen große Mengen an CO2-freiem Strom, der auf den europäischen Strommarkt kommt. Da die Nachfrage nach Strom insgesamt nicht steigt, wird entsprechend weniger Strom aus fossilen Kraftwerken produziert und somit durch die Erneuerbaren verdrängt. Also sinkt der CO2-Ausstoß im Stromsektor“, stellt er klar. Klusmann weiter: „Das EEG ist das wirksamste Klimaschutzinstrument, das wir haben.“ Insbesondere schaffe das Gesetz mit den festen Vergütungen eine verlässliche Grundlage für private Investoren. Deren Mittel wiederum ermöglichten eine schnelle technische Weiterentwicklung von Anlagen zur klima-schonenden Energieerzeugung.
Carsten Körnig ist Geschäftsführer des Bundesverbandes der Solarwirtschaft (BSW). Er wirft Sinn vor, „wichtige energie-, klima- und technologiespezifische Zusammenhänge außer Acht“ zu lassen. Zwar sei der Emissionshandel noch weit vom Ideal entfernt. Doch statt eines „entweder oder“ plädiert er für ein „sowohl als auch“. „Die CO2-Einsparungen durch den Emissionshandel und die Förderung erneuerbarer Energien müssen Hand in Hand gehen, um die Klimaschutzeffekte zu maximieren“, meint Körnig.

Widerspruch aus der Wissenschaft

Nun überrascht es nicht, dass Branchenvertreter der alternativen Energien sich nicht mit den Thesen von Sinn anfreunden können. Doch auch unabhängige Wissenschaftler widersprechen ihm, so etwa Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin. Sie sieht „gute Gründe“ für die Beibehaltung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. „Das EEG hat sich bewährt“, sagt die Expertin. „Es wäre falsch, die Förderung jetzt auslaufen zu lassen. Im Gegenteil: Die Förderung der Wachstumsbranche Erneuerbare Energie muss engagiert weiter-entwickelt werden.“ Indem das Fördergesetz technologische Neuerungen und deren Verbreitung beschleunige, verbessere es mittel- und langfristig die Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung.
„Werden die Förderung der erneuerbaren Energien und der Emissionshandel gezielt aufeinander abgestimmt, lassen sich größere Klimaeffekte erzielen, als wenn nur eines der beiden Instrumente angewandt wird“, sagt Kemfert. Sie hat gemeinsam mit 14 weiteren Wissenschaftlern aus der Klima- und Umweltforschung einen gemeinsamen Aufruf veröffentlicht, in dem die Gruppe sich für eine weitere gezielte Förderung erneuerbarer Energie ausspricht. Wie sie erklärt, wird ab der nächsten Periode des EU-Emissionshandels die Kohlendioxid-Minderung durch alternative Energien ohnehin in die Obergrenzen für den erlaubten Treibhausgasausstoß einkalkuliert. Der von Hans-Werner Sinn befürchtete Effekt sei dann ausgeschlossen.

Verlagerung der Emissionen

Sinn bezweifelt allerdings ohnehin, dass der europäische Handel mit Emissionszertifikaten dem Klima nutzt. Er führe nicht zu einem Abbau der Treibhausgasemissionen, sondern lediglich zu einer Verlagerung. Wenn etwa deutsche Firmen Energie einsparten und daher Emissionsrechte verkauften, würden diese zum Beispiel von Unternehmen aus Polen erworben, um entsprechend mehr Kohlendioxid ausstoßen zu können.
Auch diese Auffassung teilt Kemfert nicht. Dergleichen lasse sich durch die Anpassung der Emissionsobergrenzen vermeiden. Durch starken Lobbyeinfluss seien diese Obergrenzen zu großzügig bemessen worden, kritisiert sie. Die Regierungen der EU-Staaten würden zu viele Emissionsrechte kostenlos ausgeben, meint die DIW-Expertin und wird durch die Deutsche Emissionshandelsstelle bestätigt. Nach deren Angaben umfasst ihr aktuelles Budget knapp 452 Millionen Klimazertifikate. Davon würden rund 390 Millionen unentgeltlich verteilt. Laut Claudia Kemfert hat in erster Linie das so entstandene Überangebot den Preis der Verschmutzungszertifikate verfallen lassen. Nicht das EEG sei die Ursache dafür, dass der Emissionshandel der EU bislang hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibe.

Anbieter werden ignoriert

Aber ohnehin sind EEG und Emissionshandel für Sinn nur die Pfeiler einer schon im Grundsatz verfehlten Klimapolitik. Die sei einseitig auf die Nachfrage im weltweiten Markt für CO2-intensive Produkte ausgerichtet und ignoriere die andere, die entscheidende Seite: die Anbieter. Indem insbesondere die Europäer daran arbeiten, den Verbrauch etwa der fossilen Brennstoffe zu verringern, motivieren sie nach Auffassung des Ökonomen deren Erzeuger, ihre Reserven möglichst rasch auf den Markt zu werfen. Um so noch möglichst viel mit diesen klimaschädlichen Produkten zu verdienen, ehe es sich in einigen Jahren nicht mehr lohne.
„Der Glaube, wir könnten das Klima retten, wenn wir Energie einsparen, ist pure Illusion. Denn wenn die Scheichs den Hahn nicht zudrehen, senken wir mit unserer Sparsamkeit nur den Weltmarktpreis für Öl“, führt Sinn aus. Statt nach Europa würden CO2-intensive Produkte eben verstärkt in andere Regionen verkauft. „Ob wir das Klima retten, wird nicht von der EU-Kommission oder uns Verbrauchern bestimmt, sondern von den Eigentümern der fossilen Kohlenstoffvorräte in der Erde. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der kolumbianische Präsident Hugo Chávez, die arabischen Ölscheichs und Putins Oligarchen sind die wahren Klimamacher. Sie bestimmen, wie schnell die Erderwärmung fortschreiten wird“, so der Präsident des Ifo-Instituts. Die Strategie der Europäer, mit gutem Beispiel beim Klimaschutz voranzugehen, verfange bei diesen nicht.

„Zentralplanerische Lösung“

Doch wie will Sinn das grundlegende „grüne Paradox“ auflösen, das er entdeckt hat? Ganz einfach, er fordert eine „zentralplanerische Lösung“. Es müsse gelingen, eine globale „Emissionsmengenbewirtschaftung“ einzuführen und so den Preis für CO2-intensive Produkte effizient zu steuern. Für einen neoliberalen Denker wie Sinn ist das eine überraschende Volte. Ein derartiges internationales System hat nach seiner Einschätzung nicht nur die Macht, Ölscheichs und Potentaten zu einem gemäßigten Abbauverhalten zu zwingen. Es mache auch jede Förderung von Energiesparmaßnahmen und alternativen Energien überflüssig. Denn in dem von ihm vorgeschlagenen System werde das freie Spiel der Marktkräfte die Technologien und Verhaltensweisen befördern, die man für eine Minderung der Treibhausgasemissionen benötige. Dann sei Schluss mit der „Regulierungswut“, die aus seiner Sicht die europäische Klimapolitik bestimmt und die erneuerbaren Energien einseitig fördert.
Wobei Sinn aufstößt, dass der alternativ erzeugte Strom nach seinen Berechnungen die Energieversorger im Schnitt mehr als doppelt so teuer kommt wie herkömmlicher Strom. Auch die Atomkraft, nach Einschätzung von Sinn in Deutschland zu Unrecht auf dem Abstellgleis, könne in der weltweiten Emissionsmengen-Bewirtschaftung ihren klimaschonenden Nutzen entfalten. Dass die Klimabilanz der Kernenergie inklusive Uranabbau letztlich negativ ist, unterschlägt er allerdings dabei ebenso wie die früheren Milliardensubventionen für bestehende Atommeiler, die weiter offene Frage der Entsorgung und die Gefahren für die Bevölkerung.
Die Argumentationskette von Sinn weist große Lücken auf. So ist fraglich, ob in den letzten Jahren immer mehr Treibhausgase emittiert wurden, weil aus Furcht vor einer wirksamen Klimapolitik mehr CO2-intensive Produkte angeboten wurden. Der enorme Anstieg des Ölpreises war gewiss eine stärkere Motivation. Tatsächlich ist aber vor allem der Bedarf gestiegen. Insbesondere der Wirtschaftsboom in Indien und China hat die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen enorm erhöht.

Renaissance der Kohle

Der explodierende Energieverbrauch dieser und anderer Schwellenländer verursacht wesentlich die zunehmende Klimabelastung, im Zusammenspiel mit einer „Renaissance“ der Kohle. Darauf weist Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hin. Mit dem Ölpreis, der bis zur Wirtschaftskrise 2008 auf immer neue Rekordwerte angestiegen ist, habe sich auch das Gas verteuert. Denn der Gaspreis sei an die Entwicklung des Ölpreises gekoppelt. Durch diesen Preisanstieg habe sich die Wettbewerbsfähigkeit der Kohle verbessert; sie konkurriere im Energiebereich in erster Linie mit dem weniger klimaschädlichen Erdgas. Mit der Folge, dass zum Beispiel China mehr auf Kohlekraftwerke setze als auf die Verbrennung von Gas. Auch diese Verkettung führt dazu, dass das Milliardenvolk binnen weniger Jahre die Vereinigten Staaten als die weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen abgelöst hat.
Die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris legte dazu in ihrem World Energy Outlook von 2008 Berechnungen vor. Sie geht davon aus, dass mehr als die Hälfte des bis 2030 zu erwartenden Anstiegs des Energieverbrauchs auf China und Indien entfallen wird. Noch bedeutender ist die Rolle speziell dieser beiden Länder beim prognostizierten Anstieg des Kohleverbrauchs. Die IEA erwartet, dass China und Indien dazu 87 Prozent beisteuern.
Der World Energy Outlook warnt vor dem alarmierenden Anstieg der CO2-Emissionen. Um ihn zu bremsen, schlägt die IEA übrigens „finanzielle Anreize und Regulierungsrahmen“ vor, die Investitionen in emissionsarme Technologien anstoßen und dazu motivieren, weniger Energie zu verbrauchen. Damit bestätigt sie die Klimastrategie der EU-Staaten und Deutschlands, die Sinn für schädlich hält, im besten Fall für nutzlos.

Die eigentliche Aufgabe des EEG

Doch der prominente Ökonom verkennt den tieferen „Sinn“ dieser Klimastrategie. Es ist nicht nur weit hergeholt, EEG und EU-Emissionshandel mit dem Anstieg der Klimabelastung zu verknüpfen. Sinns Thesen erfassen nicht, dass es bei diesen Instrumenten weniger darum geht, schon in diesen Jahren die Emissionen zu verringern. Vielmehr erproben die Europäer damit Instrumente für den forcierten Klimaschutz der nahen Zukunft.
Erst das kommende Jahrzehnt wird darüber entscheiden, ob es gelingt, die Klimabelastung so weit zu bremsen, dass die Erderwärmung in einem erträglichen Rahmen gehalten wird. Das gegenwärtige Jahrzehnt nutzen vor allem die Europäer dazu, die für den Durchbruch beim Klimaschutz dringend benötigten Umwelttechnologien weiterzuentwickeln. Mit Erfolg, viele Experten rechnen inzwischen damit, dass etwa Sonnen- und Windenergie schon sehr bald mit den Preisen für herkömmliche Energie konkurrieren kann. Zum anderen werden mit dem EEG und dem Emissionshandel Instrumente erprobt, mit denen auch in anderen Regionen ein dynamischer Ausbau klimaschonender Energieversorgung gelingen kann.
Im Emirat von Abu Dhabi kann Hans-Werner Sinn schon bald einen konkreten Gegenbeweis seiner Thesen besuchen. Dort setzt das Scheichtum seinen aus dem Abbau von Erdöl erlangten Reichtum ein, um mit Masdar City die erste emissionsfreie Stadt der Welt zu errichten, mit einem riesigen Solarkraftwerk als Energieversorger (siehe photovoltaik 08/2008). Der Staatskonzern Masdar steigt zudem mit enormen Summen in das Geschäft mit Klimaschutztechnologie ein. Unter anderem im deutschen Ichtershausen (siehe photovoltaik 10/2008), aber auch in Abu Dhabi selbst baut er derzeit Produktionsstätten für Solarmodule auf. Auch die von Sinn angesprochenen Ölscheichs beginnen also, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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