Mitte Oktober 2007 war die Welt für Hans-Martin Rüter noch in bester Ordnung. Soeben hatte er wieder einmal eine Auszeichnung erhalten, diesmal in der Frankfurter Alten Oper. Dort war ihm vor 950 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur der von Ernst & Young initiierte Preis als deutscher „Entrepreneur des Jahres“ verliehen worden. Die von ihm vor zehn Jahren gegründete Conergy AG galt als Vorzeigeunternehmen aus der Branche der Erneuerbaren Energien. Nur wenige Wochen nach ihrem fast 30 fach überzeichneten Börsengang im März 2005, war die Aktie des Hamburger Unternehmens in den TecDax aufgestiegen, hatte seither ihren Wert verdreifacht. Für das erste Halbjahr 2007 hatte Rüter wieder einen Gewinn bekannt geben können, positive 13,6 Millionen Euro, beim Umsatz einen Zuwachs um mehr als 70 Prozent auf 418 Millionen Euro. Der Auftragsbestand war mit rund 1,24 Milliarden Euro so hoch wie noch nie. Die Geschäfte schienen auf einem weiterhin guten Weg. In Australien nahm ein großes Windkraftgeschäft allmählich Gestalt an, in Brasilien wurden Ethanolprojekte mit einem Volumen von rund 100 Millionen Dollar geplant, mit der Übernahme der niederländischen Redenko die weltweite Einkaufstour fortgesetzt. Die Spezialistin für Wärmepumpen sollte sich einfügen in
das große, 28 Länder und fünf Kontinente umfassende Portfolio von Gesellschaften, mit dem Rüter seine Firma zum weltweit führenden regenerativen Systemanbieter machen wollte. Als Beleg für das Vertrauen des Finanzmarktes in seine Strategie konnte er auch den Konsortialkredit in Höhe von 600 Millionen Euro werten, den eine Bankengruppe Conergy kurz zuvor gegeben hatte, um weiteres Wachstum zu finanzieren.
Das war vor nur vier Monaten. Vor wenigen Tagen hat Conergy die vorläufigen Zahlen für das Geschäftsjahr 2007 vorgelegt. Demnach fiel der operative Verlust mit 210 Millionen Euro noch höher aus als in den vergangenen Wochen prognostiziert, netto betrug das Minus 157 Millionen Euro. Und das bei einem weltweit boomenden Markt für Erneuerbare Energien. Das Unternehmen gab bekannt, zusätzliche Kredite in Höhe von 240 Millionen Euro zu benötigen. Damit decke es etwa den laufenden Liquiditätsbedarf, die Projektfinanzierung und den Materialeinkauf für die Solarfabrik in Frankfurt / Oder. Dort werde man entgegen der bisherigen Pläne keine Wafer, sondern nur Solarzellen und -module herstellen, mit einer angestrebten Kapazität von rund 90 Megawatt in 2008 statt der ursprünglich anvisierten 250 Megawatt. Der Preis für diese Einsparung ist hoch: mit dem Verzicht auf die integrierte Waferproduktion fällt ein entscheidender Konkurrenzvorteil und Margentreiber weg. Doch Conergy muss konsequent restrukturieren. Denn nur wenn die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein positives Restrukturierungsgutachten vorlegt, gewähren Commerzbank und Dresdner Kleinwort die zusätzlichen Kredite. Das erklärte Firmensprecher Alexander Leinhos. Ihm zufolge betrug die Nettoverschuldung von Conergy Ende 2007 rund 400 Millionen Euro. „Aktuell verfügen wir insgesamt über Kreditlinien in Höhe von 840 Millionen Euro“, sagt Leinhos.
Ein Star wird zur Sternschnuppe
Was war geschehen? Nicht einmal einen Monat nach der Auszeichnung als „Entrepreneur des Jahres“ waren Rüters Träume geplatzt. Ein erstes Anzeichen für Risse in der nach außen heilen Conergy-Welt hatte es schon im Oktober gegeben, als das Unternehmen in dürren Worten den Austausch des Finanzvorstands ankündigte. Gerüchte über eine bevorstehende Gewinnwarnung machten daraufhin die Runde. Die Conergy-Aktie stoppte ihren Aufwärtstrend, vom Rekordwert knapp unter 70 Euro fiel sie schnell auf etwas unter 53 Euro. Am 26. Oktober platzte dann die Bombe: Die Gesellschaft teilte mit, dass in den ersten neun Monaten ein Verlust von rund zehn Millionen Euro angefallen war und gab eine Gewinnwarnung für das Gesamtjahr heraus. Vom Ausmaß der Probleme vollkommen überrascht reagierten die Börsianer panisch. Der Aktienkurs von Conergy brach innerhalb weniger Stunden um über 30 Prozent ein und stürzte bis zum Monatsende auf unter 33 Euro ab. Dazu trug auch bei, dass die Hamburger zur Erklärung lediglich Lieferverzögerungen bei Solarmodulen anführten, weshalb man viele Projekte nicht wie geplant habe fortführen können. Experten etwa der WestLB mutmaßten dagegen, das Unternehmen habe offenbar zu viele Produkte auf zu vielen Märkten angeboten und zwischenzeitlich den Überblick über das Kapital verloren. Dass etwas grundlegend falsch gelaufen war, musste Firmenchef Rüter schon am 6. November eingestehen. Da trat er von seinem Posten zurück und übergab die Führung an Conergy-Mitgründer und Aufsichtsrat Dieter Ammer, mit Rüter verwandt und früherer Tchibo-Chef. Er wolle es fortan erfahrenen Top-Managern überlassen, den internationalen Konzern mit 2.700 Mitarbeitern zu führen, zu dem das Unternehmen seit den Anfängen vor zehn Jahren als Ein-Mann-Betrieb angewachsen war, teilte Rüter mit.
Die neue Conergy-Führung schockte im Dezember mit einer konkreten Prognose von 150 bis 200 Millionen Euro operativem Verlust und gestand Liquiditätsprobleme ein. Um das Finanzloch zu stopfen, waren Mittelzuflüsse in Höhe von 100 Millionen Euro nötig gewesen. 30 Millionen stammten von Banken, 20 Millionen von Altaktionären wie Rüter. Mit 50 Millionen stieg Otto Happel ein. Der eng mit Ammer verbundene Happel erschien vielen nun als Retter von Conergy. Dies weniger durch sein Investment, auch wenn er neben dem neuen CEO zum größten Aktionären der Gesellschaft geworden war. Noch stärker dürfte sein Gewicht als Retter des Maschinenbauers Gea ins Gewicht fallen. Der war vor Jahren ähnlich wie Conergy in wirtschaftliche Schieflage geraten, nicht zuletzt durch Happels Engagement dann schnell wieder gesundet. Der Milliardär stellte sich demonstrativ vor die neue Conergy-Führung, die kurz nach Rüters Abgang um einen Restrukturierungsexperten als Chief Operating Officer (COO) ergänzt worden war. Er erklärte sein volles Vertrauen in den neuen Vorstand, der aber Zeit für die Umsetzung des Strate giewechsels benötige. Dieser sieht vor, den Schwerpunkt des Geschäfts künftig eindeutig auf die Photovoltaik zu legen. „Nicht-strategische Aktivitäten“ in den Bereichen Biomasse und Solarthermie will Conergy verkaufen und sich von fast jedem fünften Mitarbeiter trennen. Happels Einsatz dürfte es dem Unternehmen wesentlich erleichtert haben, die Unterstützung der kreditgebenden Banken zu erhalten.
Der Vertrauensverlust ist immens
In den jetzt zugesagten 840 Millionen Euro an Krediten ist eine Zwischenfinanzierung von 240 Millionen Euro enthalten, die Conergy noch 2008 mit einer weiteren Kapitalerhöhung ausgleichen will. Zwar hat Otto Happel bereits angekündigt, sich mit 25 Prozent an der geplanten Kapitalerhöhung zu beteiligen, und damit ein Zeichen für andere Investoren gesetzt. Aber der Aktienkurs der Gesellschaft ist von knapp 70 Euro auf rund 12 Euro eingebrochen. Um die angestrebten 250 Millionen Euro zu erhalten, müsste Conergy wohl etwa 25 Millionen neue Anteilsscheine ausgeben.
Inzwischen haben die Hexal-Gründer – die Milliardäre Thomas und Andreas Strüngmann – zugesagt, 25 Prozent der Kapitalerhöhung zu übernehmen. Trotzdem bezweifeln Experten wie Sven Diermeier, Wertpapieranalyst bei der Düsseldorfer WGZ Bank, den Erfolg der Sanierung. Die „Unsicherheiten bezüglich der weiteren Entwicklung von Conergy sind nach wie vor groß“, sagt Diermeier. Von einem erfolgreichen Turnaround sei man noch weit entfernt. Vor allem aber habe das Unternehmen seine Glaubwürdigkeit verloren: „Der Vertrauensverlust gegenüber Conergy ist immens“. Dem wolle Conergy insbesondere mit einer besseren Kapitalmarktkommunikation begegnen, sagt Sprecher Leinhos. „Underpromise and overdeliver“ sei die neue Maxime. Große Versprechungen hat die neue Führung in der Tat nicht gemacht: Ihr zufolge muss die Gesellschaft 2008 hohe Beratungs- und Finanzierungskosten tragen, sei selbst ohne solche Sonder- und Einmaleffekte vor Steuern mit einem „erheblichen zweistelligen Verlust“ zu rechnen. Die WGZ Bank erwartet einen Nettoverlust von mehr als 73 Millionen Euro. Der faire Wert der Conergy-Aktie liege knapp über neun Euro.
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